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  Was war politische Partei für die Linke?

Historisch waren linke Parteien Orte der Selbstverständigung über das eigene Tun und Vermittlungsinstanzen der Herrschaftsüberwindung. Ein Essay.

Dass eine Partei etwas anderes sei als ein Werkzeug, der eigenen Gruppe einen möglichst großen Teil des gesellschaftlichen Mehrprodukts zuzuschanzen, scheint längst ein utopischer Gedanke. So beschwört das Wort „Partei“ für die Allermeisten Verwaltungsapparate der kapitalistischen Gesellschaft, deren Zuständigkeit es ist, den jeweils Begünstigten hie und da etwas mehr der knappen Ressourcen zu verschaffen. Kenner_innen der Linken mögen unter „Partei“ auch kleinste Zerfallsprodukte der marxistischen Arbeiter_innenbewegung verstehen. Abgeschnitten vom sich vollziehenden Kampf um die Ressourcen, scheinen sie kaum mehr als Programme zu sein, auf die sich umso leichter geeinigt wird, je ferner sie tagesaktueller Tat und Organisierung auf konkrete Ziele hin stehen.

Und doch hüten letztere Organisationen die Erinnerung an ein Ziel, welches Verteilungskämpfe entlang von Klassenlinien ordnete, um darin den Widerspruch von Kapital und Arbeit überhaupt zum Gegenstand von Politik – und einer potentiellen Aufhebung – zu machen: Das Ziel des Sozialismus, als eine universelle Befreiung und Entfesselung der menschlichen Tätigkeit, die nicht auf „gleiche“ oder „gerechte“ Verteilung materieller Güter unter partikularen Gruppen reduzibel ist. Wie sich diese Ziele „linker“ politischer Tätigkeit heute unvermittelt entgegensetzen, so auch die Sozialisierungen in den entsprechenden Organisationskulturen. Die Frage ist, ob diese Widersprüche im Aufbruch einer vorschnellen Einheit zugunsten stumm bleiben oder bewusst ausgetragen werden.

Die Partei als Akkumulator historischer Erfahrung

In der marxistischen Arbeiter_innenbewegung waren die Orte für diese theoretisch-argumentative Auseinandersetzung die Partei und ihre öffentlichen Publikationen. Als Selbstverständigung über das eigene Tun, dessen Bedingtheit und Objekt, diente die Partei als Akkumulator historischer Erfahrung. Luxemburg, Lenin und Trotzki setzten diese Funktion der Partei voraus, ihr Verdienst als marxistische Theoretiker_innen bestand unter anderem darin, die Partei als Symptom der Krise der bürgerlichen Gesellschaft – des Kapitalismus – geschichtlich zu fassen. Der Unterschied, ob sie pathologisches oder kathartisches Symptom sei, war eine Frage des Bewusstseins – und dessen politischer Durchsetzung innerhalb der Partei. So sah Luxemburg in der zunehmenden gewerkschaftlichen Organisierung und Regulierung des Kapitalismus, in der Eduard Bernstein bereits den Sozialismus erkennen wollte, eine Konkretisierung der Notwendigkeit, die politische Macht zu ergreifen – eine Politisierung des Widerspruchs von Arbeit und Kapital.

Die Frage der politischen Führung und Macht in der Gesellschaft – die Notwendigkeit der „Diktatur des Proletariats“ (1) – war für den Marxismus seit den Schlüssen, die Marx und Engels aus den Revolutionen von 1848 gezogen hatte, zentral. Die Sozialdemokratie des 19. Jahrhunderts, bald unter marxistischer Führung, drückte die notwendige Verbindung von sozial-ökonomischer und demokratischer Aktion aus. Während Liberale die Notwendigkeit des ersteren verneinten, verteufelten die Anarchist_innen letztere als Anbiederung an den bürgerlichen Staat. Doch in Abwesenheit der Führung durch die Linke würden andere die Führung in der Krise des Kapitalismus als Krise des Staats und seiner Politik übernehmen. Für die Radikalen der II. Internationale wie Luxemburg war die sozialistische Partei das notwendige Mittel für diese Machtergreifung – als Bankier, der die bankrotte Gesellschaft liquidiert.(2) Von dieser Verantwortung hat sich die Linke seither mehr und mehr zurückgezogen.

Politik außerhalb des Staates?

Fernab dieses historischen Horizonts bewegen sich Sprache und Inhalt der Aufbruch-Kampagne in der nackten Empirie des vermeintlichen Alltagsverstands, wie ein von der autonomen antifa wien auf der Konferenz verteiltes Flugblatt bemängelt. Das autonome Milieu wünscht sich „eine Absage an Parteien und den Staat“ sowie ein Bekenntnis gegen Österreich und für den Kommunismus. Was mit solchen Lippenbekenntnissen, die in der Gegenwart nichts als unvermittelte Utopie sind, getan wäre, ist fraglich. Unmittelbar dienen sie nur der subkulturellen Abgrenzung. Politik fernab des Staats und ohne Partei ist eine Chimäre – sie war das demokratische Ideal des klassisch-liberalen Bürgertums, das vom Kapitalismus verzehrt wurde. Der autoritäre Staat, paradigmatisch beschrieben in Marx‘ Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte, ist ein gesellschaftliches Faktum. Eine Überwindung des vom Staat geführten Kapitalismus lässt sich nicht abseits von diesen vollbringen, sondern nur vermittelt durch sie. Das Mittel dieser versuchten Vermittlung war die sozialistische Partei.

Historisch war diese selbst Vermittlung des spontanen Kampfes der Arbeiter_innen um ihre bürgerlichen Rechte in der Wirtschaft und des utopischen Sozialismus der Intellektuellen. Ihr ähnelt, wenngleich auf niedrigerer Stufe, die Leerstelle, die zwischen den Polen des Aufbruchs und seinem Negativ – dem Flugblatt – klafft. Ist ersterer bezüglich der Partei bloß agnostisch, zeigt der Atheismus des letzteren umso klarer auf, was mit der Kampagne bereits gesetzt wurde: Strukturen, die an sich schon parteiähnlich sind. Deren Bedeutung – in Gegenwart und Zukunft – ist eine Frage des Bewusstseins, für den Moment noch rein subjektiv. Als die Linke ihrer höchsten Möglichkeit als Vollstreckerin des Fortschritts zur Freiheit hin bedeutend näher stand, war das Bewusstsein ihrer selbst und ihres historischen Moments institutionalisiert. Heute existiert es als Erinnerung zwischen den Trümmern dessen, was einst möglich war: Als Erinnerung der sozialistischen Partei. „Die Linke ist tot!“ – so muss historisches Bewusstsein ihrer Aufgaben heute beginnen, wenn es wieder eine Linke geben soll – „Es lebe die Linke!“

Florian Walch / Platypus Affiliated Society

Die Platypus Affiliated Society organisiert Lesekreise, öffentliche Veranstaltungen, Vorträge, Forschung und Journalismus im Hinblick auf überkommene, ungelöste Probleme und Aufgaben der Linken und die Möglichkeiten für emanzipatorische Politik.


Platypus Affiliated Society / Autria

(1) Brief an Joseph Weydemeyer, 5. März 1852
(2) Rede auf dem Stuttgarter Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1898

online seit 28.09.2016 12:04:20 (Printausgabe 76)
autorIn und feedback : Florian Walch / Platypus Affiliated Society


Links zum Artikel:
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www.malmoe.org/artikel/regieren/3212Feine Unterschiede. Eindrücke von TeilnehmerInnen der Aktionskonferenz
www.malmoe.org/artikel/regieren/3211Get the rich or die tryin. Der Aufbruch versteift sich auf Elitenparanoia



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