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„Brechen wir das System auf“ Die neue Initiative Aufbruch hat bereits mehr als 35 Gruppen. Für Oktober dieses Jahres sind bundesweite Aktionstage geplant Als eine Aktivistin irgendwann während der Vorbereitungen „1000“ sagte, tönte breites Gelächter durch den Raum. Die meisten anderen gingen von höchstens 400 Personen aus. Doch die kühne Optimistin hatte recht: knapp 1000 Interessierte aus dem gesamten Bundesgebiet fanden sich Anfang Juni zur Aktionskonferenz von Aufbruch in Wien-Liesing ein. Die Veranstaltung war damit die größte linke Organisierungskonferenz, die Österreich seit Jahrzehnten gesehen hatte. An diesem Wochenende wurde in der großen Halle einer ehemaligen Sargfabrik in Liesing eines offensichtlich: Links ist ein Vakuum, hier sind Hoffnungen, Wünsche und Erwartungen, die offenbar bisher keine der aktuell vorhandenen Organisationen erfüllen konnte. Anwesend waren Junge und Alte, Arbeitende und Studierende, Männer und Frauen, MigrantInnen und Autochthone und Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen. Bei der ersten Aufstellung im Saal wurde klar, dass auch alle neun Bundesländer in der großen Fabrikshalle vertreten waren. Am zweiten Tag der Konferenz wurden die TeilnehmerInnen dann gebeten, sich bereits nach ihren Wohnorten zusammen zu finden, um in den kommenden Wochen sofort loslegen zu können. Die zweitägige Konferenz hatte einen doppelten Charakter: einerseits gab es sehr viele Präsentationen von der Bühne, andererseits zahlreiche kleinere Arbeitsgruppen. Von manchen wurde kritisch angemerkt, dass die generelle inhaltliche Debatte dabei zu kurz gekommen sei. Gleichzeitig setzten die Größe der Konferenz und der Umstand, dass die meisten TeilnehmerInnen sich im Vorfeld unbekannt waren und noch keinerlei Bezug zueinander oder zum Aufbruch hatten, auch strukturelle Limits für breite demokratische Debatten. Bundesweit organisiert Das Konzept der Aktionskonferenz ging jedenfalls voll auf: aktuell hat Aufbruch rund 35-40 Gruppen und ist in den meisten Bundesländern mit Strukturen vertreten. Der Schwerpunkt liegt dabei eindeutig in Wien, wo es rund zehn aktive Gruppen gibt. Doch auch in Graz, Salzburg, Linz, Innsbruck, oder Klagenfurt gibt es regelmäßige Treffen. Und sogar in kleineren Städten wie Amstetten, Mistelbach oder Gmunden gibt es AktivistInnen der neuen Initiative. Die verschiedenen Gruppen tauschen sich in sogenannten Planungstreffen aus, die ca. alle zwei Monate stattfinden sollen. Eines davon hat bereits stattgefunden, über 60 Delegierte waren dort anwesend. Für die tägliche Arbeit wurde eine Koordination aus rund zehn Personen gewählt. Politisch ist die neue Organisation breit aufgestellt. AktivistInnen aus verschiedenen Organisationen der (radikalen) Linken und aus unterschiedlichen politischen Spektren treffen auf sehr viele Menschen, die sich zum ersten Mal oder erstmals seit Langem wieder politisch engagieren. Dementsprechend ist die Zusammensetzung des Aufbruch auch weit vielfältiger als die klassische linke Organisierung von Studierenden im "roten Jahrzehnt" ihres Lebens zwischen 17 und 27. Susanne etwa, eine Alleinerzieherin aus Wien, hat nach der Teilnahme an der Aktionskonferenz beschlossen, sich in einer Aufbruch-Gruppe zu engagieren. Die 36-jährige Mutter eines Sohnes sagt: „Ich schätze es sehr, dass ich hier von Beginn an mitgestalten kann. Ich finde auch den Aufbau der Organisation sehr gut. Einerseits ist es eine Basisbewegung, andererseits gibt es funktionierende überregionale Strukturen.“ Wie radikal?! Die erste große Kampagne der Organisation steht unter dem Motto „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“. Schwerpunkte sollen die Verteilung von Reichtum sowie die Themenfelder Wohnen, Gesundheit und Arbeit sein, zu jedem dieser Bereiche gibt es eine eigene Themengruppe. Im Oktober wird es auch erstmals bundesweite Aktionstage von Aufbruch geben, das Thema Reichtum soll dabei im Fokus stehen. Sowohl das Kampagnenmotto wie die Themenfelder waren dabei Ergebnis einer breiten Diskussion, bei der es auch einige Kontroversen gab. So wurde der Kampagnenslogan von manchen als „zu weich“ betrachtet, während andere genau in diesem Slogan einen Bruch mit den herrschenden Zuständen sahen. Langer Atem Begonnen hatte alles viel früher: Mehrere kleinere Organisationen aus Wien versuchten 2012 ein gemeinsames neues Projekt auf die Beine zu stellen. Beteiligt daran waren unter anderem eine Links-Abspaltung der Sozialistischen Jugend und Organisationen aus dem (post-)trotzkistischen Milieu. Der Versuch scheiterte, doch Teile dieses Spektrums wollten sich damit letztlich nicht zufrieden geben. Anfang 2015 ging der Blog Mosaik online, der gleichermaßen als pluralistisches linkes Sprachrohr wie als Werkzeug zur Organisierung diente. Die Redaktion von Mosaik war zu diesem Zeitpunkt breit aufgestellt: die (Ex)-Nationalratsabgeordneten Daniela Holzinger, Sonja Ablinger (beide SPÖ) und Karl Öllinger (Grüne) waren genauso vertreten wie einzelne bekannte Personen der radikalen Linken. Diese erste Zusammensetzung der Redaktion ließ bei vielen die Befürchtung aufkommen, dass Mosaik als „top down“-Projekt konzipiert war. Bald sollte sich herauskristallisieren, dass der Umgang mit „Promis“ aus SPÖ und Grünen auch Schwierigkeiten barg. Holzinger begann Richtung Rot-Blau zu schielen, Ablinger erklärte im Kurier, keine neue Organisation aufbauen zu wollen und Öllinger musste sich in der Öffentlichkeit für Kontakte zum kasachischen Regime rechtfertigen. Auch ein weiterer Hoffnungsträger einer breiteren linken Öffentlichkeit, der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler, nahm sich letztlich selbst aus dem Rennen. Nachdem sein hohes Gehalt bekannt geworden war, war er als Speerspitze der Linken unglaubwürdig geworden. Diese Entwicklung war wohl auch kein Zufall, insbesondere hohe FunktionärInnen der SPÖ wären kaum in ihre Positionen gekommen, wenn sie nicht bereits zu Beginn ihrer Karriere zu großen Kompromissen bereit gewesen wären. Somit war aber auch die „top-down“-Debatte müßig, denn es war ohnehin kein „top“ mehr vorhanden. Bottom up Parallel versuchte Mosaik aber bereits, einen breiten Prozess zu initiieren, also Strukturen „bottom up“ aufzubauen. Beginnend mit Juli 2015 fanden in Wien vier sogenannte Ratschläge statt, bei denen im Lauf eines Jahres insgesamt rund 250 persönlich eingeladene AktivistInnen aus verschiedensten Spektren der Linken zusammentrafen. Für Martin Konecny, Redakteur von Mosaik, war dabei insbesondere die neue Qualität der Zusammenarbeit zentral: „Manche sagten, dass der Ratschlag-Prozesse zu lang dauerte. Doch für uns stand der Prozess im Mittelpunkt. Auch im Rückblick war es sehr wichtig, dass wir uns die Zeit genommen haben und Vertrauen zueinander aufgebaut haben.“ Einen weiteren Schub bekam der Organisierungsprozess über die Flüchtlingsbewegung. In der ersten Zeit waren sehr viele AktivistInnen in der Unterstützung geflüchteter Menschen engagiert, viele politisierten sich auch darüber. Mit Beginn des Jahres 2016 besann sich dann die Sozialdemokratie wieder auf ihren traditionellen rassistischen Kurs, die Grünen waren kaum wahrnehmbar. Damit wurden die Möglichkeiten und Räume für ein neues Projekt nochmals um einiges größer. Schließlich wurde auf dem vierten Ratschlag die Organisierung einer Aktionskonferenz beschlossen. Der Titel des Aufrufs zur Konferenz versuchte dabei das Gefühl, das in breiten Teilen der Linken herrschte, aufzunehmen und zu verdichten: „So wie bisher kann es nicht weitergehen“. Als Motto der Konferenz wurde der Titel „Aufbruch“ gewählt, der nun auch namensgebend für die neue Organisation wurde. Mit dem Ergebnis des Prozesses und der Konferenz ist Konecny zufrieden: „Wir wollten das große Ganze im Blick haben und nicht um Kleinigkeiten streiten. Das hat geklappt. Viele Menschen haben guten Willen bewiesen, deshalb hat sehr vieles sehr gut funktioniert.“ Wohin die Reise geht, ist unklar. Kein Wunder, bei Aufbruch treffen viele unterschiedliche politische Vorstellungen aufeinander. Die aktuelle Bundespräsidentschaftswahl etwa führte zu Diskussionen. Viele wollten eine Positionierung gegen Rechts ohne einen expliziten Wahlaufruf, andere wollten den Kandidaten der Grünen, Alexander van der Bellen, explizit unterstützen, wiederum andere sahen in der Bundespräsidentschaft insgesamt keine besondere Priorität. Ob der Aufbruch selbst bei Wahlen antritt, ist ebenfalls noch offen. Zu diesem Thema gibt es eine Arbeitsgruppe, die bald erste Vorschläge vorlegen soll. Die politische Dynamik würde einen Wahlantritt aber nicht unbedingt zu einer großen Überraschung machen. Auch viele Fragen der politischen Strategie werden debattiert, nicht zuletzt die eine große um Reform oder Revolution. Susanne sieht solche Debatten sehr positiv: „Die unterschiedlichen Meinungen in vielen Fragen helfen auch dabei, die eigene Position klarer zu sehen und zu schärfen. Das finde ich sehr positiv.“ Nützlich sein Derzeit existiert als programmatische Grundlage ausschließlich der Aufruf zur Aktionskonferenz, der kaum eine Seite umfasst. Dementsprechend ist Aufbruch wohl auch eine Projektionsfläche für viele unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse. Doch der Aufruf formuliert jedenfalls eine klare und radikale Absage an die herrschenden Zustände: „Lassen wir uns nicht länger gefallen, dass viele von uns Zukunftsängste haben müssen, während wenige im Überfluss leben. Brechen wir das System auf, das daran schuld ist. Bauen wir die neue Kraft auf, die dafür nötig ist.“ Breite Einigkeit herrscht auch darüber, dass die neue Organisation über die klassischen linken Milieus hinaus Einfluss auf gesellschaftliche Ereignisse und Bewegungen nehmen will. Der Begriff einer „nützlichen Linken“ wird dabei immer wieder betont, die am Alltag der großen Mehrheit der Bevölkerung ansetzen will. „Soziale Bewegungen, betriebliche Auseinandersetzungen und lokale Kämpfe werden in unserer Arbeit eine wesentliche Rolle spielen“, sagt Martin Konecny. Ob Aufbruch diesen Anspruch erfüllen kann, muss sich erst weisen. Als sicher darf jedenfalls gelten, dass in Österreich auf der Linken noch viel Platz ist. Die 1000 Aufbrechenden in Liesing waren jedenfalls ein guter Start – und bei der nächsten Schätzung könnten sich gleich zu Beginn die OptimistInnen durchsetzen. Michael Bonvalot ist Journalist in Wien. Er war einer der Erstunterzeichner des Aufrufs zur Aktionskonferenz. Seine gesammelten Artikel finden sich unter bonvalot.net online seit 28.09.2016 12:22:45 (Printausgabe 76) autorIn und feedback : Michael Bonvalot Links zum Artikel:
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