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  Gespräch mit Roman Schweidlenka („LOGO ESO.INFO“)

„Es existiert ein großer, rechter Rand im esoterischen Spektrum“

Um mehr über die Schnittstelle von Esoterik und Rechtsextremismus herauszufinden, sprach MALMOE mit Roman Schweidlenka. Er ist Leiter der „LOGO ESO.INFO“, einer Informations- und Präventionsstelle zu Esoterik, so genannten Sekten, Okkultismus und politischem Extremismus mit Sitz in Graz.

MALMOE: Welche Rolle spielt Esoterik in der heutigen Gesellschaft?

Schweidlenka: Eine sehr große! In den 1970er-Jahren war Esoterik noch recht verpönt. Das war damals etwas Seltsames, was vielleicht eher schrullige Personen praktiziert haben und ist allgemein mit Argwohn beobachtet worden. Heute jedoch blickt man voller Argwohn auf Personen, die Kritik an der Esoterik üben. Man kann sagen, dass bei circa der Hälfte der Bevölkerung Esoterik in intensiven Formen präsent ist. Esoterik ist eigentlich allgegenwärtig.

Was macht esoterische Ideen und Ideologien aus?

Esoterik bedeutet, dass etwas nicht sichtbar und mit dem Verstand nicht greifbar ist, also etwas Okkultes darstellt. Das war die Definition der antiken Mysterienschulen. Heute kann man in abertausend Büchern nachlesen, was Esoterik alles sein könnte. Esoterik ist aber eigentlich ein neutraler Begriff. Es gibt im Buddhismus eine eigene Esoterik oder auch im Christentum. Zum Beispiel die Verwandlung von Wein in das Blut Christi ist ja kein rational nachvollziehbarer Vorgang, sondern Glaubenssache und damit etwas Esoterisches. Die moderne Esoterik, die heute sozusagen eine markttragende Esoterik ist, geht sehr stark auf die Theosophie des 19. Jahrhunderts zurück. Das war eine spiritistische Strömung, die vor der Jahrtausendwende zum 20. Jahrhundert in sehr vielen Ländern sehr präsent war.

Warum lässt sich die Esoterik so gut mit einer reaktionären Gesinnung, wie dem Rechtsextremismus, verbinden?

Leute, die sich mit rational nicht fassbaren Dingen beschäftigen – von Yoga bis Meditation – gibt es grundsätzlich im gesamten politischen Spektrum. Am Beginn der modernen, abendländischen Esoterik stand Helena Petrovna Blavatsky, die Begründerin der Theosophie, mit ihrem Hauptwerk „Die Geheimlehre“. Darin schreibt sie einerseits von der Brüderschaft der Menschen, andererseits entwickelt sie die „Wurzelrassenlehre“, nach der die Arier die höchstentwickelte Rasse darstellen. Juden hingegen werden sehr negativ bewertet. Sie behauptet auch, dass so genannte Naturvölker aussterben müssen. Das ist ein rassistisches Weltbild, welches sich in der Folge weiterentwickelte. Am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert haben zwei Österreicher, Jörg Lanz von Liebenfels und Guido von List, die so genannte Ariosophie entwickelt, die diese „Wurzelrasselehre“ radikalisierte. Demnach könne nur der Arier Gott erkennen. Diese Arier-verherrlichende Form von Esoterik floss schließlich in den Nationalsozialismus ein.

Das lässt sich also als eine traditionelle Verbindung des Rechtsextremismus zur Esoterik bezeichnen?
Seit Blavatskys „Wurzelrassenlehre“ gibt es eine rechtsextreme Tradition der Esoterik. Man kann Blavatsky aber nicht unterstellen, dass sie direkt davon gesprochen hätte, die Juden ins KZ zu bringen. Bei ihr waren das eher ideelle bzw. theoretische Annahmen, die dann später radikalisiert und viel stärker politisiert wurden. Aber es gibt natürlich diese Tradition, wobei der esoterische Mainstream heutzutage mit Rechtsextremismus nicht unbedingt etwas zu tun hat.

Gibt es einen spezifisch österreichischen Beitrag zur rechten Esoterik?

Der liegt vor allem in der Geschichte, eben bei Liebenfels und List und ihrer Ariosophie, die auch den jungen Hitler beeinflusst hat. Ansonsten ist bei uns der bekannteste, rechtsextreme Esoteriker Jan van Helsing aus Deutschland. Er versucht in seinen Büchern die „Protokolle der Weisen von Zion“ – eine antisemitische Verschwörungsschrift, die im russischen Zarenreich entstanden ist – wieder salonfähig zu machen und als ,Wahrheit‘ zu verkaufen, indem er sie in allerlei esoterische Legenden einbindet. Das geschah schon vor der letzten Jahrtausendwende, um die herum es auch einen dramatischen Rechtsruck in der Esoterik gab. An die Geschichten von van Helsing glauben wahnsinnig viele Leute. In Deutschland und der Schweiz wurde er wegen Volksverhetzung verurteilt, in Österreich allerdings nicht. In seinen neueren Büchern passt er nun auf, dass ihr Inhalt gesetzeskonform ist. Aber die subtilen Aussagen sind dabei eigentlich die Gleichen wie früher.

Welche Rolle spielt Esoterik für die Neue Rechte?

Die Neue Rechte und so zum Beispiel auch die „Identitären“ haben in dem Sinne nicht direkt etwas mit Esoterik zu tun, sehr wohl aber mit Mythen. Der Mythos hat wiederum etwas Esoterisches. Er stellt eine Sicht der Welt dar, die nicht identisch mit einem rationalen Weltbild ist. Schon der Nationalsozialismus hat sich in einer heute kaum mehr vorstellbaren Intensität mit Mythen beschäftigt. Damals ging es besonders um germanische Mythen. Die Neue Rechte arbeitet ebenso sehr stark mit Mythen. Vor allem eine apokalyptische Haltung wird dabei deutlich, wobei propagiert wird, dass Europa kurz vor dem Untergang stünde. Diese Mythen über den Weltuntergang spielen im Hintergrund eine große Rolle.

Was sind zentrale Feindbilder, die von der Esoterik bedient werden?

Esoterik hat prinzipiell keine Feindbilder, Esoterik beschäftigt sich wie gesagt mit Sachen, die rational nicht greifbar sind. Die Esoterik kann die Feindbilder aus politischen Ideologien aber natürlich sehr gut aufnehmen. Das Problem ist folgendes: Wenn es in der Politik heißen würde „Die Juden wollen uns alle versklaven“, dann hinterfragen das die meisten Leute. Wenn es in der Esoterik heißt, „Der reinkarnierte Erzengel Gabriel hat mir durchgegeben, dass wir uns vor den Juden zu hüten haben“, ist das für die Gläubigen nicht mehr hinterfragbar, da die Aussage von einer unantastbaren Instanz kommt. Daher werden solche oder ähnliche Aussagen durch eine viel höhere Autorität ins Hirn gepflanzt, was auf der politischen Ebene so nicht passiert.

Kommt Esoterik ohne verschwörungstheoretisches Denken aus?

Ja absolut. Allerdings sind die Weltverschwörungstheorien momentan am Boomen. Gerade die Flüchtlingsthematik hat ihnen totale Hochkonjunktur verliehen. Bis hin zu der Behauptung, „die Juden“ seien schuld. Diese antisemitischen Weltverschwörungstheorien vermengen sich oft mit esoterischen Vermutungen und Spekulationen. Aber Esoterik an und für sich ist in ihrem Kern unpolitisch.

Gibt es in der esoterischen Szene den Versuch, sich von ihren braunen Rändern loszulösen?

Das braune Gedankengut ist wie erwähnt ein Rand der Esoterikszene, der allerdings größer ist, als die meisten Leute glauben. Allerdings: Gerade im Bezug auf das Flüchtlingsthema gibt es auf jeden Fall viele esoterische Personen, die Teil der sog. Willkommenskultur sind. Die haben sich um Flüchtlinge gekümmert, haben gebetet und für sie Rituale gemacht. Genauso haben sie handfest versucht, Hilfe zu leisten. Damit kein verzerrtes Bild gezeichnet wird, muss man ehrlich sagen, sehr viele Leute mit esoterischen Bezügen stehen eher links.

Was ist besonders an der modernen, rechten Esoterik?

Sie ist sehr spontan und schwer erkennbar. Wenn zum Beispiel auf einer Versammlung von Esoterikern auf einmal Leute auftreten, die den Holocaust leugnen: Die sehen genau so aus wie die anderen. Selber Kleidungsstil, selbes langes Haar. So verbreitet sich die rechte Esoterik durch Personen, die halt nicht wie Skinheads aussehen, sondern eher wie Hippies. Genau so ist es ja bei den Hipstern, da gibt es auch einige Rechte.

Neben Themen wie gesunde Ernährung und Yoga kommen dann eben auch rechte Ansagen. Die moderne, rechte Esoterik wird dadurch natürlich schwer greifbar. Es ist keine organisierte Bewegung, aber es sind nicht wenig Einzelpersonen, die ein rechtes Weltbild haben und gleichzeitig gern Müsli essen und Meditieren. Die wirken auf viele recht nett, aber verbreiten nebenbei rechte Gedanken. Ihre Organisationsstruktur ist eher anarchisch und nicht an einer Führerfigur auszumachen.

Was ist das Kernproblem der modernen Esoterik?

Das erste Problem ist, dass die moderne Esoterik vollkommen in den Kapitalismus integriert ist, während viele religiöse Formen und Praktiken, wie die Meditation, auch antikapitalistische Impulse freisetzen können. Das zweite ist, dass die moderne Esoterik in ihrem Mainstream sehr narzisstisch ist. In Wirklichkeit ist sie eine Kultivierung des Ichs, des Egos, während tatsächliches Mitgefühl stark abgeschwächt wird. Natürlich bestehen Ausnahmen. Nur ist dies nicht die Mehrheit und darin besteht die große Gefahr. Das sich daher Esoterik und Rechtsextremismus verbinden lassen und diese Verbindung auch stattfindet, liegt auf der Hand. Dabei stellt die rechte Esoterik nur einen Teil des esoterischen Spektrums da. Es gibt keine Studien, aber ich gehe von einem relativ großen rechten Rand aus.


online seit 04.08.2016 12:07:42 (Printausgabe 75)
autorIn und feedback : Interview: Franz Thaler


Links zum Artikel:
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