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  Weibliche Essenz

Esoterik ist ein Milliardengeschäft. Verkauft werden frauenfeindliche Lehren und stereotype Geschlechterbilder.

Blättert man in esoterischer Literatur, die sich in jeder größeren Buchhandlung stapelt, so wird schnell klar, dass kaum eine spirituelle Lehre oder obskure Theorie ohne klare Geschlechterrollen auskommt. Männer sind häufig Krieger oder rationale Denker, sie erobern ihre Umwelt und können im schlechtesten Fall zersetzend und zerstörerisch wirken. Frauen hingegen seien durch Fürsorge, Hingabe und Empathie geprägt, auf ihren Schultern lastet nicht weniger als die Rettung die Welt: Das „Neue Zeitalter“, das je nach esoterischer Lehre Mitte des 20. Jahrhunderts angebrochen ist oder erst kommen wird, müsse vom „weiblichen Prinzip“ getragen werden und einen Bewusstseinswandel herbeiführen. Das Festschreiben auf essentialistische Zweigeschlechtlichkeit und traditionelle Rollenbilder geht also mit einer Überhöhung von Weiblichkeit einher, weiß Sozialpsychologin und Esoterikforscherin Claudia Barth.

Diese Geschlechterbilder sowie die Vorstellung, dass Frauen eine besondere Bedeutung in Hinblick auf eine „Zeitenwende“ bzw. Zivilisierung zukomme, sind dabei nicht neu: In ähnlicher Form sind sie bereits in (natur-)philosophischen Schriften der Aufklärung zu finden. Europäische DenkerInnen im 18. Jahrhundert gingen von einer linearen Entwicklung der Menschheit aus einem Naturzustand aus, (bürgerlichen) Frauen kam die Aufgabe zu, das vermeintliche Triebwesen Mann in der Ehe zu zivilisieren. Wesentlich dafür war die Idee der „Geschlechtscharaktere“, deren Beschreibung sich – wie die Historikerin Karin Hausen aufzeigt – als eine „Mischung aus Biologie, Bestimmung und Wesen“ darstellte: Zentrale wiederkehrende Merkmale waren die Aktivität und die Rationalität, die man den Männern zuordnete, Frauen wurden mit Emotionalität und Passivität verknüpft.
Wer sich als Frau zu sehr dem Männlichen verschreibt, also sich etwa in berufliche Machtkämpfe stürzt, riskiert seelische oder körperliche Leiden - so die Theorie vieler EsoterikerInnen.

„Weiblichkeit leben“ nennt Astrid Leila Bust ihr Online-Portal, auch ein Buch hat die Heilpraktikerin und Tantra-Lehrerin unter diesem Titel veröffentlicht. In einem ihrer Workshops leitet sie weibliche Führungskräfte dazu an, „feminin zu führen“ und warnt vor einer Verdrängung weiblicher Werte und Qualitäten. Das Idealbild weiblicher Führungskraft in der Wirtschaft sieht laut Busts Vorstellungen folgendermaßen aus: „Eine Frau, die feminin führt, fasziniert aufgrund ihrer Ausstrahlung. Sie ist verankert in ihrer Weiblichkeit und hat den Mut, diese auch im Beruf auszudrücken. Sie strahlt Liebe und eine königliche Würde aus, die sie auch in Krisen nicht verliert.“

Ordnungen der Liebe

Auf dem esoterischen Marktplatz sind Frauen meist Kleinstanbieterinnen, sagt Barth. Während international erfolgreiche Bestseller-AutorInnen meist Männer sind, verdienen Frauen sich mit Engelskarten, Chakren-Reinigung oder Selbsterfahrungsseminaren ein Zubrot. Besonders kritisch werden solche Angebote dann, wenn sie Instant-Lösungen anbieten und von AnwenderInnen als Ersatz für eine psychotherapeutische Behandlung genutzt werden. Höchst umstritten sind etwa die sogenannten Familienaufstellungen. „Aufgestellt“ wird unter anderem von zugelassenen Psychotherapeutinnen, obwohl es sich dabei um keine wissenschaftlich anerkannte Methode handelt. Im deutschsprachigen Raum gilt Bert Hellinger als Begründer der AufstellerInnen-Szene, der die Methode von US-amerikanischen TherapeutInnen übernommen und modifiziert hat. Der Theologe, Psychoanalytiker und einstige Leiter einer Missionsschule in Südafrika steht immer wieder im Kreuzfeuer der Kritik, seine Methode wird aber nach wie vor von TherapeutInnen, BeraterInnen und Coaches praktiziert, seine Bücher sind Bestseller.
Bei einer Familienaufstellung nach Hellinger trifft sich ein Kreis Unbekannter, um Familienprobleme unter Anleitung „aufzustellen“ bzw. dabei als DarstellerInnen zu fungieren. So sollen Konflikte von Familienmitgliedern mehrerer Generationen nachempfunden und gelöst werden. Hinter all dem steht eine unverrückbare Ordnung, „Ordnungen der Liebe“ nennt sie Hellinger. Sie folgen der patriarchalen (Klein-)Familie: Der Vater steht an der Spitze, es folgt die Mutter, dann das erstgeborene Kind und eventuelle Geschwister. „Die Frau folgt dem Mann, der Mann dient dem Weiblichen“, ist in seinen Büchern zu lesen.

Schuld und Sühne

Auch mit Vergewaltigungen und sexuellem Missbrauch in der Familie setzt sich Hellinger auseinander und lässt während seiner Familienaufstellungen Betroffene unsägliche „Lösungen“ durchexerzieren. Im Kursbuch „Ordnungen der Liebe“ beschreibt er im Kapitel „Was hilft den Opfern von Inzest?“ sexuelle Gewalt an Kindern als häufige Folge von „unausgeglichenem Geben und Nehmen“. Auch zur Abtreibung hat Hellinger einen klaren Standpunkt. Mit einem Schwangerschaftsabbruch ginge auch eine Beziehung zu Ende, da der Partner ebenfalls abgetrieben werde. Frauen würden sich im Anschluss häufig selbst mit Krankheiten bestrafen, um die Schuld zu kompensieren, die sie auf sich geladen hätten.

Überhaupt ist in der Esoterik oft von Schuld die Rede, vor allem wenn die entsprechenden Lehren in einem Naheverhältnis zum christlichen Glauben stehen: Schon Eva hat Schuld auf sich und damit alle Frauen geladen, als sie sich von der Schlange verführen ließ und damit die Vertreibung aus dem Paradies verschuldete. Solche Ereignisse würden auf einer „feinstofflichen Ebene“ weitergetragen, wird da etwa gemutmaßt. Wobei Zweifel und sorgfältiges Abwägen keine Charakteristika der Esoterik sind. Erklärungen für Krankheiten, für Unzufriedenheit und Konflikte kommen aus dem All, von weisen LehrerInnen, oder sind eben einfach da. Dieses Element macht esoterische Denksysteme so anti-emanzipatorisch und reaktionär. Soziale Phänomene werden nicht als Resultat gegenwärtiger, gewachsener Machtstrukturen gesehen, die sich aus Rassismus, Sexismus und anderen Diskriminierungsachsen speisen, der Fokus liegt vielmehr auf dem individuellen Schicksal, das sich nur im Einzelkampf verwirklichen lässt.

Sinnstiftung

Ursula Caberta, Sekten-Expertin und ehemalige Leiterin der Hamburger Arbeitsgruppe Scientology, hat ein „Schwarzbuch Esoterik“ veröffentlicht. Sie sieht esoterische Praktiken längst im Mainstream angekommen. Menschen, die nach einem „Sinn stiftenden Umfeld“ suchen, wären besonders stark betroffen. Caberta kritisiert insbesondere den fehlenden VerbraucherInnenschutz im Bereich der Esoterik. So müsse etwa das Heilpraktikergesetz evaluiert werden, da das bestehende Angebot kaum noch überschaubar sei. Von einem „Supermarkt der Spiritualität“ spricht sie, gerade in Krisenzeiten sei die Esoterik ein Milliarden-Geschäft. Ökonomische Unsicherheit und Unzufriedenheit im Erwerbsleben befeuern offenbar auch die Attraktivität von essentialistischen Geschlechterkonzepten – nicht nur in der Esoterik. „Einfach Frausein“, Stille, die schöpferische Kraft entdecken, wohlige Wärme und Geborgenheit: ein scheinbar attraktives Gegenmodell zu Erwartungsdruck und Überforderung.


Anmerkung:
Dieser Artikel ist eine überarbeitete Fassung eines Textes, der erstmals in an.schläge – das feministische Magazin 6/2014 im Themenschwerpunkt „Esoterik“ erschienen ist.



online seit 04.08.2016 12:07:38 (Printausgabe 75)
autorIn und feedback : Brigitte Theißl


Links zum Artikel:
www.malmoe.org/artikel/funktionieren/3185Gespräch mit Roman Schweidlenka von „LOGO ESO.INFO"
www.malmoe.org/artikel/funktionieren/3184Es braucht beständig neue Lügen. Eine Reportage über die Esoterikmesse Spiritualität und Heilen
www.malmoe.org/artikel/funktionieren/3183Esoterik und Alltag. Gedanken aus einer Kindheit inmitten eines esoterischen Umfelds



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