![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |
|||||||
![]() |
||||||||||
![]() |
Es braucht beständig neue Lügen Vom 22.– 24. April fand in der Wiener Stadthalle die Esoterikmesse Spiritualität und Heilen statt. Vor Ort war auch eine kleine MALMOE-Delegation. Eine Reportage über eine Welt zwischen Produktmarketing und Verschwörungstheorien. Robert hat sich einen exzellenten Platz gesichert. Gleich hinter dem Biertisch, an dem zwei ältere, adrette Damen den Tageseintritt von 12 Euro kassieren, und gegenüber vom großen Buffet, hat er seinen Stand aufgebaut: drei hauptsächlich in warmem Orange gehaltene Stellwände, eine gut gepolsterte Massageliege, ein Tisch mit reichlich Infomaterial, ein dunkelroter Teppich und ein kleiner Altar mit Buddha-Statue. Robert, Anfang 40, Pferdeschwanz, luftiges, buntes Hemd und lockere Sandalen, sitzt auf einem Hocker und springt auf, sobald neue Gäste kommen: „Hallo, willkommen! Habt ihr schon einmal von Sahaja Yoga gehört? Schaut ruhig kurz her.“ Robert ist auf der Spiritualität und Heilen eine Art Ein-Mann-Empfangskomitee. Er schnappt sich die Leute gleich am Eingang und versucht sie davon zu überzeugen, dass Sahaja Yoga die richtige Methode ist, um „Balance und Zufriedenheit in unser tägliches Leben zu bringen“. Seine Rhetorik ist dabei jedoch nicht immer sonderlich ausgeglichen. Zu einem Besucher sagt Robert beispielsweise: „Du neigst stark zum Rechtsextremismus.“ „Bitte, was?!?“, reagiert der Besucher entsetzt. „Naja, deine rechte Seite ist extrem aus dem Gleichgewicht!“ „Achso, ja...“ „Wenn du so weiter machst, bekommst du vielleicht in fünf Jahren einen Herzinfarkt!“ „Naja, also ich weiß nicht.“ „Ich halte nächstes Wochenende in der Steiermark einen Meditationsworkshop. Wenn du magst, melde ich dich an. Ist auch kostenlos.“ „Danke, ich überleg‘ es mir!“ Hochkonjunktur der Esoterik Der Esoterikboom hält ungebrochen an. Die Branche verzeichnet allein im deutschsprachigen Raum jährlich einen Umsatz von über 25 Milliarden Euro. Eine schier unfassbare Summe. Es gibt mittlerweile unzählige Messen, Fachgeschäfte wie Sand am Meer und massenhaft Onlinehändler, bei denen sich alles erstehen lässt, was für Esoterikaffine das Versprechen bereit hält, im oft schwer verdaulichen Hier und Jetzt besser zurecht zu kommen. Von Pflege- und Wellnessprodukten, alternativen Heilmitteln, besonderen Lebensmitteln und innovativen Sportgeräten bis zu allerlei Kräutern, Hölzern, Steinen, Schmuckstücken und Schnickschnack gibt es nichts – aber wirklich nichts –, was es nicht gibt. Richtig teuer wird es, wenn es um verschiedenste Dienstleistungen geht: mediales Coaching, Aura-Therapie, Kartenlegen, Familienaufstellungen oder eine Kontaktaufnahme zu Engeln kosten ein kleines Vermögen. Mit Palmblättern zur spirituellen Erleuchtung Entsprechend opulent ist das Angebot auf der Spiritualität und Heilen. Man kann über 50 Messestände besuchen, daneben Vorträgen beiwohnen oder an Workshops teilnehmen. Ein einheitliches Publikum lässt sich auf der Messe nicht ausmachen. Menschen mit mehr oder weniger starkem Hang zur Esoterik gibt es wahrscheinlich in allen gesellschaftlichen Milieus. Robert kümmert sich als nächstes um einen Mittdreißiger im dezent hippiesken Look, stellt sich vor ihm auf und fuchtelt mit einer Hand vor seinem Brustkorb herum. Ein paar Meter weiter stolpert eine Frau mit breitem Grinsen hinter einem schweren Vorhang hervor. Sie kommt aus einer Palmblattlesung mit der „einzig geprüften und anerkannten Palmblattleserin“ Hildegard. „Wow, wirklich wow!“, ruft sie begeistert aus, „Das ist wirklich so toll! Also sowas Spannendes...“ Aus den Erklärungen des Vertreters am Stand der Indischen Palmblatt-Bibliothek wird nicht ganz klar, wie eine Palmblattlesung genau funktioniert. Allerdings könne man aus einem Palmblatt „vieles über sein früheres Leben und die Zusammenhänge mit Partnern und Familien in früheren Leben erfahren.“ Man müsste wahrscheinlich selbst an einer Sitzung teilnehmen, um mehr über den Ablauf zu erfahren. Eine zwanzigminütige Lesung kostet allerdings 80 Euro. Der Mann von der Palmblatt-Bibliothek fährt indessen fort, einen Monolog über die Herkunft der Palmblätter zu führen, schweift dann ab und erzählt über die Rishis (mythische Weisen im Hinduismus), die Weltreligionen und die momentane Weltlage. Seine Rede und die darin offenbarten Anschauungen zeugen nicht unbedingt von starker geistiger Umnachtung, sondern eher von seiner Überzeugung, dass sein spiritueller Weg ein zweifellos guter sei – und dass er es allen Leuten nahelegen würde, diesen Weg auch einzuschlagen. Also gilt es wohl, ein wenig Geld in die Hand zu nehmen und eine Palmblattlesung zu buchen. Tolles Produkt, dürftige Theorie Das Muster wiederholt sich bei den meisten Anwesenden, die auf dieser Messe einen Stand betreiben. Man wird mit offenen Armen empfangen und ohne dass man groß danach gefragt hätte, fangen die Esoterik-UnternehmerInnen schnurstracks an, nicht nur ihre Produkte anzupreisen, sondern auch ihre komplette Philosophie auszubreiten. Die KundInnen sollen nicht nur ein konkretes Ding erwerben, sondern nachhaltig in die spirituellen Welten hingezogen werden. Eigentlich keine schlechte Absatzstrategie. Ähnlich ist es auch bei Herrn Berger, der in einem weißen Samthandschuh eine kleine Glaspyramide vor sich herträgt. Herr Berger hält sich jedoch nur kurz damit auf zu beschreiben, was die Pyramide alles kann. Laut ihm kann sie so Einiges: Mittels der subtilen Kräfte im Zentrum der Pyramide ließen sich sowohl Messer schärfen (wie genau, bleibt offen) als auch Lebensmittel wie Fleisch bis zu einem Jahr lang frisch halten (man müsse die Pyramide nur zusammen mit dem Fleisch in eine Kiste geben). Dann geht Herr Berger zu anderen Themen über. Zum Beispiel zum Thema „Skalarwellen“, deren Eigenschaften („Sie sind schneller als das Licht!“) für die alternative Energieversorgung oder in der Heilkunde ungeheuer wichtig seien. Die Skalarwellen-Technologie werde jedoch vom wissenschaftlichen Mainstream totgeschwiegen, wie so vieles anderes. Das müsse man nur einmal googeln. Überhaupt, im Internet stehe vieles, was „kein Eso-Scheiß, sondern höchst wissenschaftlich“ sei. Nämlich, dass „die Industrie“ die Ausbreitung von Krebs forciere, die Familien Bush und Rothschild die Weltherrschaft innehätten oder dass die Chemtrails derzeit die größte Gefahr für die Menschheit seien. Es ist wirklich nicht einfach, dem Redeschwall von Herrn Berger zu entkommen. New World Order und UFOs Das Ambiente der Messehalle E der Wiener Stadthalle ist für diese tiefspirituellen und höchstkreativen Denkfiguren eigentlich nicht angemessen. Ein trist-grauer Plastikfußboden wird ergänzt durch versiffte, marineblaue Wandvorhänge und die Grellheit endloser, stilwidriger Deckenleuchten. Ein paar Traumfänger und Aquarelle von Wölfen oder Engeln sorgen hier und da für eine adäquate Ästhetik. Zu sich an den Stand einladen wollen als nächstes das „Trance-Medium“ Margit und der Schamane Guido. Allerdings wirken auch hier die Preise pro Session etwas abschreckend. In einer Ecke der Halle sticht ein Stand hervor, der durch seine per Hand bekritzelten Flipcharts und einen massiven Flachbildfernseher auffällt. Der Flyer am runden Beistelltisch informiert darüber, wer sich hier präsentiert: Die Freie Interessengemeinschaft für Grenz- und Geisteswissenschaften und Ufologiestudien, kurz FIGU. Der geistige Vater dieser Gruppierung nennt sich schlicht Billy, wurde als Eduard Albert Meier im Jahre 1937 im schweizerischen Bülach geboren und bezeichnet sich selbst als „Propheten der Neuzeit“. Billy ist natürlich nicht persönlich anwesend, allerdings vier seiner Jünger, die mit großem Eifer seine Lehre und Werke verbreiten. Die vier sind höchst erfreut über jede Person, die an ihrem Stand stehen bleibt und ihnen für einige Minuten ein Ohr schenkt. Frei nach Billy ist ihr Leitgedanke folgender: „Viele Menschen sehen und hören nur das, was sie sehen und hören wollen, auch wenn es nicht die Wahrheit ist.“ Gemäß dieser Parole entwickeln sie Ansätze dafür, wie die durch und durch verkommene Welt noch zu retten ist. Denn „die Erde ist krank“ und ein Symptom dafür sei zum Beispiel die Überbevölkerung, die eine „weltweite Geburtenregelung dringend erforderlich“ mache. Aktuelle Schieflagen wie die Kriege in Nahost ließen sich beheben, indem eine internationale Friedenstruppe mit einem globalen Waffenmonopol einmal beherzt durchgreifen und anschließend den geschaffenen Frieden sichern würde. Das Leben vieler Flüchtlinge könnte geschützt werden, würden ihre an der afrikanischen Küste liegenden Boote zerstört, damit sie sich nicht auf die gefährliche Mittelmeerüberquerung begeben müssten. Und dann ist da noch die Sache mit der neuen Weltordnung. Die käme in naher Zukunft und werde durch Aliens etabliert. Alleinherrscher wird dann der Billy sein. Es gibt keine Beweise für die Existenz von Aliens? Doch, doch, das könne durch eindeutige Foto- und Videoaufnahmen belegt werden. Das Video am Flachbildfernseher wird also vorgespult. Erst erscheint ein gewöhnlicher Mensch, der mit einer Pistole hantiert, die ein wenig an ein Kinderspielzeug erinnert. Er zielt mit der Pistole auf einen Baum und drückt ab. Glatter Durchschuss! Als nächstes taucht ein... ja, was eigentlich!? Es taucht ein Wesen auf, das einen Helm trägt und in Alufolie gewickelt ist. Es hat tatsächlich die gleiche Waffe wie aus der vorherigen Sequenz in der Hand. Doch es schießt nicht damit, sondern hebt kurz die Hand in Richtung Kamera und verschwindet dann. Das Video ist aus. Individuelle Reaktionen auf die großen Verwerfungen Der Messetag geht dem Ende entgegen. Die Spiritualität und Heilen ist noch einen weiteren Tag geöffnet, dann ziehen Robert, Herr Berger und all die anderen AusstellerInnen wieder von dannen und widmen sich weiter der Aufgabe, Lösungen für die kleinen, aber auch für die ganz großen Probleme im Leben zu finden. Sie suchen ihre speziellen Ausdrucksformen dafür, was sie im Inneren umtreibt. Am Schluss entstehen daraus irrationale Reaktionen und verzerrte – ja oftmals groteske und gefährliche – Perspektiven auf die allgegenwärtigen Prozesse von Entfremdung und Selbstentfremdung. Und der Erfolg ihres Geschäftsmodells wird die meisten von ihnen in ihren Antworten bestärken. online seit 04.08.2016 12:07:41 (Printausgabe 75) autorIn und feedback : Jannik Eder Links zum Artikel:
|
![]() |
Es geht nicht nur um Pandas Jedes Jahr sterben tausende Arten aus. Wieso muss man as verhindern und welche Arten wollen wir überhaupt schützen? Ein Erklärungsversuch [03.10.2018,Katharina Kropshofer] Insektensterben und Klassenkampf Warum der Kapitalismus nicht mit Artenvielfalt vereinbar ist und was das für die Aufklärung bedeutet [03.10.2018,Felix Riedel] Luftige Migration Oder wie es dem Menschen bald gelingen wird, auch den Zugvögeln Grenzen zu setzen [03.10.2018,Urs Heinz Aerni] die nächsten 3 Einträge ... |
![]() |
![]() |
![]() |