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Symbolpolitik gegen Unsicherheitsgefühle Mit „Gemeinsam sicher“ startete das Innenministerium im April eine neue Initiative, die die österreichische Polizei bürger_innennäher machen soll. MALMOE bat zu diesem Anlass die Soziologin und Kriminologin Andrea Kretschmann um eine kritische Einschätzung des Konzepts „Community Policing“. MALMOE: Was bedeutet Community Policing? Andrea Kretschmann: Community Policing kommt aus dem angelsächsischen Raum, vor allem aus den USA. Entstanden ist es dort in den 80er-Jahren. Das Konzept geht von einer bestimmten Kriminalitätstheorie aus, der Broken Windows-Theorie. Man nimmt an, dass da, wo Unordnung besteht, – wo es zum Beispiel eingeschlagene Fensterscheiben gibt -, auch Unsicherheitsgefühle in der Bevölkerung entstehen und dass auf ,unordentliche’ Verhältnisse noch mehr ,Unordnung’ folgt. In der Folge entstehe Kriminalität, weil die Hemmschwelle sinke. Deshalb müsse man bereits ,Unordnung’ verfolgen und ahnden, um Kriminalität zu verhindern. Das Community Policing-Konzept setzt beim subjektiven Sicherheitsgefühl der Bevölkerung und auf der Ebene von Ordnungsproblemen an, nicht unbedingt auf der Ebene von Kriminalität. Also nicht die Kriminalitätsbekämpfung steht im Vordergrund, sondern die Verbesserung des Sicherheitsgefühls? Genau. Früher spielte es in der Kriminalpolitik eine Rolle, welche objektiven Kriminalitätszahlen es gibt. Die Frage, wie sich die Bevölkerung fühlt, war nicht relevant. In den 90er Jahren tauchen auch in Kontinentaleuropa erste Community Policing-Initiativen auf und das Konzept wird zunehmend wichtiger. In Österreich sieht man gerade, dass die Kriminalitätszahlen eigentlich rückläufig sind und trotzdem diese Initiative gestartet wird. Das hat also mit den Kriminalitätsraten oft nichts zu tun. Die neue Initiative des Innenministeriums wird ja damit begründet, dass privater Aufrüstung und dem Entstehen von Bürgerwehren entgegengewirkt werden soll. Das ist ein wesentliches Moment, warum so etwas eingeführt wird, auch in anderen Ländern. Community Policing hat oft etwas damit zu tun, dass man die Notwendigkeit sieht, das staatliche Gewaltmonopol wieder herzustellen und die Legitimität der Polizei zu stärken. Man will verhindern, dass Bürgerwehren entstehen oder dafür sorgen, dass es andere Angebote gibt für Leute, die sich in Bürgerwehren engagieren. Wenn man die mediale Berichterstattung verfolgt hat, ist es tatsächlich so gewesen, dass sich im Zuge der sogenannten 'Flüchtlingskrise', einhergehend mit Diskursen der Kriminalisierung von Flüchtenden, relativ viele Bürgerwehren neu gebildet haben. Ich würde vorsichtig sagen, es ist kein Zufall, dass jetzt dieses Projekt anläuft, allerdings ist es laut Auskunft des Innenministeriums schon seit zwei Jahren in Planung. Welche Parallelen gibt es zu Community Policing in den USA oder inwiefern gibt es in Österreich andere Voraussetzungen? Identisch ist, dass Community Policing in Zeiten einer tatsächlich verunsicherten Bevölkerung und eines mehr oder weniger starken Legitimationsverlustes der Polizei aufkommt. In den USA kam es in den 1960ern zu einer steigenden Straßen- und Gewaltkriminalität in den Städten, als Ausweg darauf entstand u.a. Community Policing. Zur gleichen Zeit setzte ein allgemeiner Wandel des Sicherheitsempfindens der Bevölkerung ein, das aber nicht ausschließlich aus Gründen steigender Kriminalität, sondern auch aus Gründen sozialer Unsicherheit. Genau das können wir auch in Österreich beobachten. Soziale Unsicherheit entsteht hier im Zuge der Neoliberalisierung der Wirtschaft im Übergang vom Fordismus zum Postfordismus und dem Umbau und Abbau des Wohlfahrtsstaates, im Zuge der Prekarisierung oder des sozialen Abstiegs breiter Bevölkerungsschichten. Im kritisch-kriminologischen Diskurs geht man davon aus, dass Kriminalpolitik oft weniger mit Kriminalitätsbekämpfung zu tun hat, sondern eine Form von Ersatzpolitik darstellt, um auf Unsicherheiten, die eigentlich in anderen Bereichen vorherrschen, zu reagieren – aber in einem Feld, das dafür eigentlich gar nicht relevant ist. Wie kann man sich diese bürger_innennahe Polizeiarbeit in der Praxis vorstellen? Community Policing bedeutet, dass man privaten Akteur_innen, also Bürger_innen anbietet, Teile des Polizeidienstes zu übernehmen. Wenn man sich jetzt das österreichische Beispiel ansieht, dann heißt das, dass diese Personen eine Mittler_innenrolle zwischen der Polizei und den Bürger_innen übernehmen sollen. Wie Community Policing in der Praxis aussieht, ist schwer zu generalisieren, weil es sehr viele unterschiedliche, oft kleine und lokale Projekte gibt. Das österreichische Modell wäre ein Beispiel dafür, dass man sagt, die Polizei soll wieder bürger_innennäher werden. Es soll bürgernahe Beamt_innen geben, die zur Verfügung stehen und ansprechbar sind. Dafür will man vermittelnde Personen und diese Rolle sollen die „Sicherheitsbürger“ einnehmen. Wie beurteilst du das aus kriminologischer Perspektive? Ich sehe das sehr kritisch, weil Community Policing nicht an einer objektiven Kriminalitätslage ansetzt, sondern an dem, was als Ordnungsproblem aufgefasst wird und dadurch in Bereiche eingegriffen wird, die sonst polizeilich gar nicht unbedingt berücksichtigt werden. Community Policing bedeutet in dem Sinne eigentlich eine Vorverlagerung von polizeilicher Aktivität: Es gibt mehr polizeiliche Handlungen, die in das Soziale hineinreichen. Viele gesellschaftliche Probleme sind nicht strafrechtlich relevant und es ist fraglich, ob sie die öffentliche Ordnung und Sicherheit wirklich gefährden. Da ist die Frage, ob die Polizei als Behörde die richtige Ansprechpartnerin ist, um damit umzugehen. Wenn man sich die Entwicklung der Kriminalpolitik in den letzten Dekaden ansieht, kann man sehen, dass die Polizei in der Tendenz mehr Befugnisse bekommen hat. Die Polizei kann früher intervenieren und Maßnahmen setzen. Ich glaube, dass das keine gute Entwicklung ist. Entwickelt sich die Polizeiarbeit allgemein stärker in Richtung Kriminalprävention? Die Polizei hat immer schon in Maßen präventiv agiert und nicht nur repressiv, aber mit Postfordismus und Globalisierung hat es einen Paradigmenwechsel gegeben – internationales organisiertes Verbrechen war da zum Beispiel ein Stichwort, mit dem dies vorangetrieben wurde. In diesem Zusammenhang hat man gesagt, wir müssen einen großen Teil unserer Arbeit darauf richten, präventiv zu agieren. So ist es stärker zu einer Angleichung der Anteile dieser beiden Aspekte von Polizeiarbeit, Repression und Prävention, gekommen. Mit dieser Verschiebung ging eine stärkere Fokussierung auch auf Ordnungsprobleme einher. Ab den 1990er Jahren kam es zum Beispiel in Österreich, aber etwa auch in Deutschland, zunehmend zu einer Kriminalisierung des Bettelns. Vorher wurde das nicht als polizeiliches, sondern vor allem als soziales Problem gesehen. Damit kriminalisiert man ein Bereich, dem man in den 1970er Jahren interessanterweise gerade erst aus dem Deliktkatalog herausgenommen hatte. Community Policing fällt ganz klar in diesen Bereich präventiven Agierens und in den Bereich des Ordnungsrechts. Der Begriff der öffentlichen Ordnung ist als Rechtsbegriff aber unbestimmt, er transportiert deshalb die jeweils herrschenden sozialen und ethischen Normen. Die „Neighbourhood Watch“ wäre ein Beispiel für die Vorverlagerung polizeilicher Aktivität im Bereich des Community Policing, wo man etwa Postbot_innen und Gärtner_innen mit Notrufnummern ausstattet, die dann schnell melden können, wenn etwas Auffälliges passiert. Und auffällig kann vieles sein, wenn man anfängt, nach dem Auffälligen zu suchen. Es gibt die Kritik an Community Policing, dass es Ausschlüsse von Bevölkerungsgruppen, die ohnehin schon marginalisiert sind, verstärkt, weil sie eher unter Verdacht geraten? Man kann sagen, es kommt verstärkt zu einem selektiven Polizieren. Bestimmte Bevölkerungsgruppen oder bestimmte Milieus werden dann als Probleme wahrgenommen, andere wiederum als unverdächtig. Wenn man sich zum Beispiel „Neighbourhood Watch“-Projekte ansieht, dann hat man solche Effekte, dass in bestimmten Wohngegenden, die vielleicht sehr kleinräumig sind und wo sich alle kennen, es zum Problem wird, wenn fremde Leute in diese Wohngegend kommen. Ich glaube, dass es sehr schnell geht, dass mit Community Policing eine Stimmung des Generalverdachts und der Denunziation entsteht. Solche Stimmungen sorgen nicht dafür, dass ein größeres subjektives Sicherheitsgefühl entsteht, weil man ja ständig damit beschäftigt ist, nach dem Unsicheren zu suchen. Community Policing spricht vor allem bestimmte, meistens mittlere soziale Milieus an, die sie sich dafür zur Verfügung stellen. Es sind deshalb vor allem ihre Normen, die polizeilich umgesetzt werden. Damit übernimmt ein Milieu polizeiliche Aufgaben, aber man hat keinen Querschnitt der Gesellschaft. In Zusammenhang mit der Debatte nach dem Mord am Brunnenmarkt gab es neben Rufen nach mehr Law&Order z.B. die Forderung nach mehr Polizist_innen mit spezifischen Sprachkenntnissen und „interkulturellen Kompetenzen“. Wie sieht es mit Diversität in der österreichischen Polizei heute aus? 2007 hat die Polizei eine Anwerbeaktion gestartet um mehr Migrant_innen in die Polizei zu bekommen. Aus einer wissenschaftlichen Perspektive kann man sagen, die Polizei sollte nicht nur den Staat repräsentieren, sondern auch die Bevölkerung. Insofern ist es wünschenswert, dass die Polizei einen Durchschnitt der Bevölkerung abbildet. Die Ausbildungsquoten haben sich im Zuge dieses Projekts, mehr Migrant_innen anzuwerben, tatsächlich verbessert. Anfangs gab es 1% Auszubildende in der Polizei mit Migrationshintergrund, mittlerweile ist der Anteil auf 7% angewachsen. Man muss aber dazu sagen, dass die wenigsten es tatsächlich in den Polizeidienst schaffen und es eine hohe Zahl an Abbrecher_innen gibt. Woran liegt das? Das ist ein allgemeines Phänomen und auch in Deutschland und in anderen Ländern so. Die Polizei ist vom Milieu her relativ homogen. Es gibt eine sehr starke Polizeikultur und bestimmte Werte – und die basieren nicht so sehr auf Diversität, sondern orientieren sich am weißen, österreichischen Mann, der Polizist wird und aus einem bestimmten Milieu kommt. Für Polizist_innen mit Migrationshintergrund scheint es sehr schwierig zu sein, so aufgenommen zu werden, dass sie auch langfristig in der Polizei bleiben wollen. Es gibt also hochgradig informelle Ausschlüsse im sozialen Miteinander in der Polizei. Welche positiven Effekte erwartet man sich von mehr Diversität in der Polizei? Als 2015 viele Flüchtende nach Österreich kamen, hat man z.B. gesagt, man braucht mehr Polizist_innen, die Arabisch oder afrikanische Sprachen sprechen können. Einerseits, damit sie besser mit Leuten, denen sie im Polizeialltag begegnen, kommunizieren können, aber auch weil man annimmt, dass dadurch ein besseres kulturelles Verstehen zustande kommt, Konflikten vorgebeugt werden kann und dadurch weniger Diskriminierung von der Polizei ausgeht. Dabei geht man davon aus, dass Polizist_innen mit Migrationshintergrund im Polizeialltag z.B. weniger rassistisch agieren, was aber überhaupt nicht erwiesen ist. Dazu gibt es wenig Untersuchungen, aus der Migrationssoziologie weiß man aber, dass sich von einem Migrationshintergrund nicht automatisch auf eine antirassistische Haltung schließen lässt. Was man mit Sicherheit sagen kann ist, dass Diversity in der Polizei einen hohen Integrationseffekt hat. Sobald bestimmte soziale Gruppen in Behörden als professionelle Akteur_innen Eingang finden, bietet das für diese starke Aufstiegs- und Integrationsmöglichkeiten. Der Einlass in Behörden ist der erste Schritt, was einen möglichen Schub an weiterer Integration angeht. Man kann aktuell mehr darüber sagen, was es für die soziale Gruppe bringt, die in diesen Beruf hineinkommt, als darüber, welche Effekte die Tätigkeit dieser Gruppe auf Kriminalität oder Sicherheit und Unsicherheit hat. Setzt man mit Community Policing bei den falschen Fragen an? Es stellt sich die Frage, ob es Sinn macht, sich so stark am subjektiven Sicherheitsgefühl zu orientieren. Man müsste doch eher die Frage stellen, warum die Leute sich so unsicher fühlen, obwohl die Kriminalitätszahlen gleich bleiben oder sogar sinken. Man müsste auch die Wirkung von besonders schlimmen Einzelfällen, wie dem Brunnenmarkt-Mord, reflektieren. Man muss in Relation sehen, dass das statistisch nun nicht so oft passiert. Aber das wird nicht getan, weder in den Medien, noch in der Politik. Stattdessen werden solche Einzelfälle zum Anlass genommen, bestimmte politische Debatten zu führen, oder Gesetze zu verschärfen. Den Brunnenmarkt-Mord hat man ja zum Anlass genommen, eine Debatte über ,kriminelle Ausländer’ und ihre Abschiebung zu führen und nicht, um über Maßnahmen sozialer Arbeit zu sprechen oder über psychosoziale Betreuungsmöglichkeiten für Leute, die offenbar psychisch verwirrt oder vielleicht auch traumatisiert sind. online seit 08.07.2016 14:01:42 (Printausgabe 75) autorIn und feedback : Interview: Bernadette Schönangerer Links zum Artikel:
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Schauprozess gegen die Röszke11 Ein Update zur ungarischen Abschottungspolitik (September 2017, aus: MALMOE #80) [14.11.2018,Bernadette Schönangerer] Wadde hadde Dudde da? Lars* Kollros und Alexandra Zaitseva präsentieren mit Festival der Demokratie einen Film, der sorgfältig die Geschehnisse rund um den G20-Gipfel 2017 mittels Interviews aufbereitet. Zum Haareraufen. [06.11.2018,Frank Jödicke] Ein Weg aus der Sackgasse? Eine „Streitschrift für eine politisch unkorrekte Links-Linke“ versucht einen solchen aufzuzeigen [05.10.2018,Frederike Hildegard Schuh] die nächsten 3 Einträge ... |
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