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  Abschiebung und Strafe

Der Mord an einer Frau am Wiener Brunnenmarkt führt erneut zu rassistischen Debatten über „Ausländer_innen“ als ­Täter_innen – mit großer medialer und politischer Wirkung

Es ist schon lange ein fixer Bestandteil rassistischer Tiraden, dass kriminelle Ausländer_innen am besten sofort abgeschoben werden sollen. Nach dem Mord am Brunnenmarkt Anfang Mai durch den Kenianer Francis N., der zu der Zeit keinen Aufenthaltstitel hatte, hat diese Forderung im Boulevard noch einmal besonderen Aufschwung erlebt. Besonders häufig taucht die Forderung in Verbindung mit Asylwerber_innen auf. Doch diese dürfen während ihres Verfahrens ebensowenig abgeschoben werden, wie nach einer positiven Entscheidung. Eine Abschiebung würde dem Sinn, Menschen vor Verfolgung zu schützen, zuwiderlaufen. Es ist eine Menschenrechtsverletzung, Menschen an einen Ort abzuschieben, wo sie damit rechnen müssen, getötet, gefoltert oder menschenunwürdig behandelt zu werden. Würde die Abschiebung von Asylwerber_innen als Strafe fungieren, stünde die Schwere der Tat mit der Schwere der Folgen vollkommen außer Verhältnis. Umgekehrt müssen auch Schutzsuchende nicht unschuldig sein, um ein Recht auf Asyl zu haben. Das Recht auf Schutz vor politischer Verfolgung steht – wie auch die Menschenrechte – allen Menschen zu, auch denen, die vielleicht Täter_innen waren oder werden.

Kriminalität wird durch eine Abschiebung nicht verringert, sie wird nur verlagert, denn wieso sollte man annehmen, dass jemand, der an einem Ort das Gesetz gebrochen hat, automatisch an einem anderen damit aufhört? Kriminalität – auch wenn sie von Ausländer_innen begangen wird – kann ihre Ursache dennoch im Land ihres Aufenthalts haben: Francis N. war laut Medienberichten schon seit 2008 in Österreich – also seitdem er 13 Jahre alt war. Er soll psychisch schwer krank gewesen sein. Dass in diesen acht Jahren seine gesundheitliche Situation nicht verbessert oder zumindest stabilisiert werden könnte, ist eine Fehlleistung des österreichischen Gesundheitssystems.

Dass man, wie Innenminister Sobotka verkündet hat, vermehrt Abschiebungen als Strafe anwenden möchte, ist für die heutige Zeit symptomatisch. Didier Bigo (2008) spricht von einem neuen Dispositiv, dem „Ban-Opticon“, das nach seiner Analyse die Foucault’schen Disziplinierungsapparate abgelöst hat. Das heißt, die Disziplinierung durch ständige Beobachtung und die minutiöse Planung von Tagesabläufen (z.B. in Spitälern, Schulen und Gefängnissen) wurde abgelöst durch den Einsatz von racial profiling, rechtliche Ausnahmezustände und durch die intensive Kontrolle von Bewegungsfreiheit. Die Kontrolle wirkt auf In- und Ausländer_innen unterschiedlich: Fremd sein allein reicht meist als Grund für eine Untersuchungshaft. Die Statistiken über Kriminalität nach Nationalitäten der Täter_innen machen immer wieder die Runde, ziehen jedoch deren ökonomische, soziale und gesundheitliche Situation nicht in Betracht. Es ist unwahrscheinlich, dass statistische Unterschiede nach Nationalitäten sonst bestehen bleiben würden.

Soziale und politische Sicherheit muss erarbeitet und erkämpft werden – auch auf dem Gebiet der Kriminalität. Die Strategie darf nicht sein, durch eine immer intensivere Kontrolle von Bewegung und Aufenthalt zu probieren eine imaginierte homogene Ethnie zu erschaffen, und sich davon auch nur irgendwelche positiven Auswirkungen zu erhoffen. Das bedeutet, wir werden uns als Gesellschaft damit abfinden müssen, mit allen die hier sind, zu leben, seien es kriminelle Kenianer mit psychischen Problemen oder mordende Nazis.

Dass wir uns die Leute, die hier leben nicht aussuchen können, ist anscheinend klar, wenn es um weiße österreichische Täter_innen geht. So gab es im Mai noch ein zweites schweres Verbrechen, das nicht annähernd so viel Aufmerksamkeit bekam, wie der Mord am Brunnenmarkt: Ein (weißer) Österreicher schoss am 22. Mai in die Menge an Zuschauer_innen eines Konzerts in Vorarlberg, tötete dabei zwei Menschen, später sich selbst und verletzte dabei elf weitere Menschen. Es wurde berichtet, dass er Teil der Neonazi-Gruppe „Blood and Honour“ gewesen war.

Die Art in der über dieses Ereignis geredet wurde, zeigt, wie rassifiziert die Vorstellung von Sicherheit ist: Während der Mord am Brunnenmarkt anscheinend ernsthafte Ängste ausgelöst hat, ist dies bei dem Attentat in Vorarlberg nicht der Fall. Ängste sind nicht steuerbar, zeigen aber die Wirkung von medialen Bildern und den ihnen unterliegenden Vorstellungen. Wären sie rational, wäre unsere Angst vor dem Straßenverkehr größer, als vor Gewalttätern, da es um ein Vielfaches wahrscheinlicher ist im Verkehr verletzt oder getötet zu werden.

Es ist ein gefährlicher Wunsch, sich seine MitbürgerInnen aussuchen zu können, und zu glauben, wenn es nur die richtigen wären, würde die Gesellschaft besser funktionieren. Das gute Zusammenleben hängt vielmehr von dem Funktionieren der sozialen Strukturen, von solidarischer Unterstützung von Bedürftigen und von Mitbestimmung ab. Auch das Problem der Kriminalität sollte als Frage sozialer Strukturen gedacht werden, anstatt als ein Problem von betroffenen Einzelpersonen oder bestimmten „ethnischen Gruppen“. Gewalt und Kriminalität haben soziale Ursachen, diese werden durch eine Abschiebung ebensowenig bekämpft wie durch eine Gefängnisstrafe.

Die Autorin ist Juristin und Kriminologin und Redaktionsmitglied der Zeitschrift juridikum.


online seit 08.07.2016 14:01:40 (Printausgabe 75)
autorIn und feedback : Angelika Adensamer


Links zum Artikel:
www.malmoe.org/artikel/regieren/3176Symbolpolitik gegen Unsicherheitsgefühle. Interview mit der Kriminologin Andrea Kretschmann.
www.malmoe.org/artikel/regieren/3175Bobby, bitte warten! Philip Sonderegger zum Community-Policing-Ansatz



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