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"Nichtanspruchsberechtigt" Schlaglichter auf sehr prekäre Lebensumstände von Menschen aus den neuen EU-Ländern, die betteln müssen. Dorina S. ist 32 Jahre alt. Schüchtern erzählt sie über ihre Erfahrungen als Bettlerin in Wien. Nein, sie hätte nie gedacht, einmal betteln zu müssen. „Aber als alleinerziehende Mutter und ohne Job konnte ich meinen Sohn nicht mehr ernähren“, berichtet die Frau. Sie kennt die sogenannten „Massenquartiere“ und meint „die Preise sind manchmal ok, manchmal nicht, aber ich war froh darüber. Sonst hätte ich auf der Straße leben müssen.“ Arbeit weder dort noch hier Wie viele bettelnde Menschen aus den neuen EU-Ländern ist auch Frau S. auf Arbeitssuche. Wie die meisten sieht sie ihre Tätigkeit als vorübergehende Notlösung an und versucht, etwas an ihrer aktuellen Situation zu verbessern. Für viele ist der Verkauf von Straßenzeitungen die „erste Arbeit“ in Österreich. Doch es wollen so viele Leute Zeitungen verkaufen, dass die Straßenzeitungen eine begrenzte Zahl von Ausweisen ausgeben und Menschen auch ohne Ausweise verkaufen. So bekommen sie weniger Probleme mit der Polizei und können arbeiten. Für einen regulären Job werden in der Regel Deutschkenntnisse, Meldezettel und E-Card sowie Ausbildungsnachweise verlangt. Viele BettlerInnen gelten als „Nicht-Anspruchsberechtigte-Personen“, haben also keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Die staatliche Unterstützung steht ihnen erst zu, wenn sie eine Anmeldebescheinigung besitzen, für die wiederum regelmäßiges Einkommen, Meldezettel und E-Card nachgewiesen werden müssen. Für behinderte Menschen bleibt Betteln meist die einzig mögliche Arbeit, da sie im Heimatland monatlich zwischen fünf und 30 Euro Invaliditätspension bekommen und in Österreich keine Ansprüche haben. BettlerInnen können es sich oft zeitlich und finanziell nicht leisten, einen Deutschkurs zu besuchen. Einerseits, weil es nur wenige, ehrenamtlich organisierte Gratiskurse gibt, andererseits wegen des Verdienstausfalls. Wichtig ist auch hier, dass die Menschen über die Angebote Bescheid wissen. Dieser Informationsaustausch geschieht großteils in den sozialen und muttersprachlichen Netzwerken, da wenig Kontakt zu sozialen Einrichtungen besteht. Es ist kaum Wohnen zu nennen Viele Menschen besitzen aus Angst vor Strafen und/oder aufgrund der prekären Wohnsituation keinen Meldezettel. Ohne sicheres Einkommen ist es am privaten Wohnungsmarkt sehr schwierig, und zu geförderten Wohnungen haben sie – weil sie keinen Meldezettel und keine Anmeldebestätigung haben – ebenfalls keinen Zugang. Ein Teufelskreis. Finanziell schlecht gestellte Menschen leben deshalb häufig in sogenannten „Problemhäusern“. Besser schlechter Standard und in einigen Fällen überteuerte Miete zahlen, als gar kein Dach über dem Kopf zu haben, ist die alternativlose Devise. Der Mangel an Unterkünften bewirkt, dass gerade mit den Ärmsten in prekärer Situation Geld verdient werden kann – und wird. In Wien wurde im Winter die Zahl der Notschlafbetten erhöht. Das Angebot richtete sich an österreichische und EU-BürgerInnen und endete im April. Für viele Menschen war es die einzige Chance, einige Nächte im Warmen zu verbringen. Manche Menschen nutzten dieses Angebot, der Großteil der BettlerInnen suchte sich aber private Unterkünfte, da in Notschlafstellen Männer und Frauen getrennt, Familien und Kinder kaum untergebracht wurden. Privat leben Familien meist auf sehr engem Raum, aber gemeinsam. In Oberösterreich etwa haben soziale Organisationen zudem explizit die Anweisung bekommen, keine Menschen aus den neuen EU-Ländern unterzubringen. Von Meldezetteln EU-BürgerInnen, die nach Österreich kommen und hier gemeldet sind, müssen nach vier Monaten eine Anmeldebescheinigung beantragen. Dazu sind Einkommensnachweis, E-Card und Meldezettel notwendig. Wird die Anmeldebescheinigung später als vier Monate nach Meldung beantragt, ist das ein Verstoß gegen das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz und beträgt für eine Familie zwischen 170 und 240 Euro. Andersherum verstößt gegen das Meldegesetz, wer bei dauerhaftem Aufenthalt keinen Meldezettel besitzt. Bei BettlerInnen kommt hinzu, dass sie schon bei einer Verwaltungsübertretung von der Polizei auf die Station mitgenommen werden können, wenn sie keinen Meldezettel bei sich haben. Bei den Rechtshilfetreffen der Bettellobby berichten Menschen öfter davon, dass sie sich auf der Polizeistation nackt ausziehen mussten und sie aus Angst alles unterschreiben – auch, ohne es zu verstehen. Die meisten bettelnden Menschen versuchen einen Meldezettel zu haben, damit Strafen per Post zugestellt werden. Er ist auch Voraussetzung, um sich für Jobs zu bewerben oder sein Kind selbstständig in einer österreichischen Schule anzumelden. Jedes Kind hat das Recht und die Pflicht, eine Schule zu besuchen. Das Gesetz steht über Formalitäten, wie etwa, wenn das Kind keinen Meldezettel hat. Leider ist das nicht explizit geregelt und Eltern bekommen oft die Auskunft, erst einen Meldezettel besorgen zu müssen, bevor das Kind zur Schule gehen kann. Unverständnis und die Sprachbarriere sind hier große Probleme, sodass einige Kinder nur mit Hilfe der Bettellobby Wien eingeschult werden konnten. Wird die Situation verständlich und manchmal nachdrücklich vermittelt, zeigen sich viele Schulen in Wien kooperativ und sind um die Kinder bemüht. In Linz etwa ist die Situation anders: Kinder gelten als Touristen, da sie in Oberösterreich nicht gemeldet sind und ein Hauptwohnsitz Voraussetzung ist. Medizinische Nichtversorgung Nichtanspruchsberechtigte Personen haben keine Krankenversicherung. In den Städten gibt es einige Behandlungsmöglichkeiten für Nichtversicherte, in Wien den Louisebus, Ambermed und das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder (siehe MALMOE 66). Das Neunerhaus hat eine Arzt- und Zahnarztpraxis für Obdachlose. Intensivere, teure Behandlungen sind aber dennoch oft schwer zugänglich. So war es auch beim 57-Jährigen Herrn Chan, der auf der Friedensbrücke bettelte. Er wurde in Wien zwar akut behandelt, brach aber am selben Abend erneut zusammen und verstarb am nächsten Tag. Angewiesen aufs eigene Netzwerk Als Anlaufstelle für EU-BürgerInnen gibt es in Wien die Sozial- und Rückkehrberatung der Caritas. Sie unterstützt Menschen einmalig bei der Heimreise und ist außerdem bemüht, die vielen Fragen über das Leben in Österreich in unterschiedlichen Sprachen zu beantworten. Es gibt aber kein Beratungsangebot für Arbeitssuche, Schulanmeldung der Kinder oder Deutschkurse, sondern vor allem „Rückkehrberatung“ für Menschen, die eventuell schon lange in Österreich leben. Deshalb ist die Bettellobby Wien, die eigentlich Rechtsberatung anbietet, häufig mit Fragen zu diesen sozialen Dingen konfrontiert. Die Beratungskapazitäten im Bereich der nicht-anspruchsberechtigten EU-BürgerInnen reichen bei weitem nicht aus, und auch sonst heißt es oft: „Für diese Zielgruppe nicht zuständig“. Damit ist eines der größten Probleme für Menschen, die betteln, zutreffend benannt. online seit 08.07.2015 17:57:18 (Printausgabe 71) autorIn und feedback : Teresa Wailzer Links zum Artikel:
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