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Tirol isch nit lei oans … Die schwarz-blaue Regierung plant, den deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler*innen die Annahme der österreichischen Staatsbürgerschaft zu ermöglichen. Dieses Vorhaben stellt die österreichisch-italienische Nachkriegsordnung infrage. Das Regierungsprogramm Die Regierung will die „Doppelstaatsbürgerschaft neu denken“, so heißt es auf Seite 33 ihres Programms. Die Reformvorschläge, die sich dahinter verbergen, laufen (erwartungsgemäß) nicht darauf hinaus, das Rechtsinstitut der Staatsbürgerschaft zu demokratisieren. Dem europäischen Trend, die doppelte Staatsbürgerschaft zuzulassen, um die Wohnbevölkerung langfristig mit dem wahlberechtigten Staatsvolk in Einklang zu bringen, wird sich Österreich weiterhin nicht anschließen. Stattdessen sind drei partikulare Maßnahmen vorgesehen. Den Nachfahren der Opfer des Nationalsozialismus soll, ebenso wie den Auslandsösterreicher*innen im Vereinigten Königreich und den deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler*innen, die Möglichkeit eingeräumt werden, die doppelte Staatsbürgerschaft anzunehmen. Was ist daran problematisch? Die österreichisch-italienische Nachkriegsordnung Die österreichische Bundespolitik hat sich bisher in der Südtirolfrage stets am sogenannten Pariser Abkommen von 1946 orientiert, das Italien und Österreich nach Ende des Zweiten Weltkriegs abgeschlossen haben. Südtirol blieb demnach ein Teil von Italien, dafür garantierte der italienische Staat den deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler*innen umfangreiche kulturelle und politische Minderheitenrechte. Österreich akzeptierte die territoriale Ordnung und wachte fortan als Vertragspartner über die Verwirklichung der Autonomie in Südtirol. Das führte durchaus zu Spannungen zwischen den beiden Staaten. Doch 1992 erkannte Österreich in der sogenannten Streitbeilegungserklärung die entwickelte Autonomie als vertragsgemäß an. Innerhalb des europäischen Rahmens, schien der Konflikt damit erledigt zu sein, die Ordnung zwischen Italien und Österreich gefestigt. Neben dieser offiziellen Regierungspolitik wurden jedoch immer auch revisionistische Positionen vertreten. Revisionismus Es sind unterschiedliche Akteure, die nach einer „Wiedervereinigung“ Südtirols mit Österreich trachten, also zur Ordnung von vor 1919 zurückwollen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie ihre Argumentation auf die behauptete Existenz einer vorpolitischen Einheit stützen. Diese Einheit wird als ein „Volk“ konzipiert, für das sie das Selbstbestimmungsrecht der Völker in Anspruch zu nehmen versuchen – ähnlich wie die katalonischen Separatisten (siehe MALMOE #81). In ihren Augen ist die Nachkriegsordnung ungerecht, weil sie teilt, was eigentlich zusammengehört. Indes unterscheiden sich die Akteure mit revisionistischen Positionen durch die vorpolitischen Einheiten, von denen sie ausgehen und sie wiedervereinigen wollen. Der österreichische Ethnonationalismus Die FPÖ definiert in ihrem Parteiprogramm Österreich als ein „Heimatland“, das auch für den Schutz der deutschsprachigen Bevölkerungsgruppen der ehemaligen k.u.k Monarchie außerhalb der jetzigen Staatsgrenzen zuständig ist. Ein republikanisches Verständnis einer politischen Nation, die sich durch eine gemeinsame demokratische Verfassung konstituiert, wird unterlaufen durch diese ethnonationalistische Vorstellung einer vorpolitischen Nation. In dieser Variante werden die deutschsprachigen Südtiroler*innen als natürlicher Teil der wiederzuvereinenden österreichischen Gemeinschaft beansprucht: „Wir streben die Einheit Tirols an“, so sagt das Parteiprogramm unmissverständlich. Der Südtirol-Sprecher der FPÖ, Werner Neubauer, bezeichnet das Pariser Abkommen nur als eine „Zwischenlösung“, die Österreichs Anspruch auf Südtirol keineswegs ad acta lege. Im selben Parteiprogramm wird Österreich auch als „Teil der deutschen Sprach- und Kulturgemeinschaft“ verstanden. Letztlich bleibt also unklar, ob Österreich nun eigenständig, oder doch nur Ableger der deutschen Kulturnation ist. Gerade das Thema Südtirol zeigt, wie der österreichische Ethnonationalismus vom Pangermanismus, der im deutschnationalen und neonazistischen Lager zu verorten ist, nicht scharf abgegrenzt werden kann (siehe auch Interview mit Andreas Peham). Und nicht einfacher wird die Situation, wenn man beachtet, dass sich diese beiden ethnonationalistischen Strömungen zusätzlich mit einem ausgeprägten Regionalpatriotismus vermischen. Tiroler Regionalpatriotismus Die vorpolitische Einheit der Regionalpatriot*innen ist die Gemeinschaft der Tiroler selbst. Hierbei berufen sie sich auf ihre eigenen Mythen. Nach der „Brauchtums- und Traditionspflege“ der Tiroler Schützenkompanien ist die historische Gemeinschaft durch ein religiöses Band verknüpft. Der Schwur auf das „Herz-Jesu“ spielt auf die gemeinsamen Verteidigungs- und Widerstandskämpfe Nord- und Südtirols gegen das napoleonische Frankreich an. Noch heute wird jährlich zum Tiroler Landesgelöbnisgottesdienst unter Anwesenheit der Landesregierung und den Traditionsverbänden der Schwur zur Einheit erneuert. Diese Einheit wird häufig – aber nicht notwendigerweise – mit der deutschen oder der österreichischen Nation verbunden gedacht. So wurde in Tirol 1919 sogar eine Sezession von Österreich und die Gründung eines Tiroler Freistaates ins Auge gefasst, um die Landeseinheit zu wahren. Auch der in Tirol verbreitete T-Shirt Slogan „Tausche Wien gegen Südtirol“ zeigt, dass die Einheit Tirols für die Regionalpatriot*innen wichtiger ist als die Verbindung nach Österreich. Dieser Regionalpatriotismus ist auch in weiten Teilen der Tiroler ÖVP verbreitet. Die Brennergrenze ist für sie keine ausgemachte Sache. „Diese Grenze ist ein Unrecht, war ein Unrecht und wird immer ein Unrecht sein“, so der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter noch kürzlich. Als „zeitgemäß“ bezeichnete sich auch der damalige ÖVP-Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter, als er 2013 bei seiner Angelobung nicht nur auf die österreichische Verfassung, sondern auch auf das heilige Herz Jesu Christi schwor. Doppelte Staatsbürgerschaft als politische „Wiedervereinigung“ Wie ist vor diesem Hintergrund das Vorhaben, den deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler*innen die Annahme der österreichischen Staatsbürgerschaft anzubieten, zu bewerten? Dass die territoriale Grenze nicht in Frage gestellt wird, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Angebot der Doppelstaatsbürgerschaft die Forderung nach der „Wiedervereinigung Südtirols mit Österreich“ in abgeschwächter Form aufgreift. Hierfür ist es sinnvoll, zwischen territorialer und politischer „Wiedervereinigung“ zu unterschieden. Die territoriale „Wiedervereinigung“ würde bedeuten, die Region Südtirol in das österreichische Staatsgebiet einzugliedern. Die politische „Wiedervereinigung“ hingegen kann bereits dadurch erreicht werden, dass derjenige Teil der Südtiroler Bevölkerung, den die Ethnonationalist*innen dem „Volk“ zurechnen, in das österreichische Staatsvolk integriert wird. Nun ist die Nachkriegsordnung des Pariser Abkommens nicht nur eine territoriale, sondern auch eine politische Ordnung. In ihr werden implizit die Reichweite territorialer und personaler Herrschaft abgegrenzt. Sollten die deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler*innen die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten, könnte der österreichische Staat als ihr Repräsentant auftreten. Die politische „Wiedervereinigung“ kann unter Umständen auch einer territorialen „Wiedervereinigung“ zuträglich sein. Erinnert sei hier daran, dass die Bundesrepublik Deutschland die DDR-Bürger als ihre Staatsbürger*innen behandelte, um eine zukünftige Wiedervereinigung nicht zu gefährden. Das Vorhaben der Regierung provoziert mit einem revisionistischen Ansatz somit schon längst beigelegte Streitigkeiten mit Italien. „Wiedervereinigung“ und Wiedergutmachung Besonders unverständlich ist dies, weil Repressionen gegen die deutschsprachige Bevölkerung in Südtirol eigentlich kein aktuelles Problem sind. Im Gegenteil: Die Autonomie in Südtirol gilt mittlerweile als Erfolg mit Modellcharakter. Der Anspruch Österreichs auf die personelle Hoheit über die deutsch- und ladinischsprachige Bevölkerung Südtirols stützt sich daher allein auf die oben dargelegten ethnonationalistischen oder regionalpatriotischen Vorstellungen. Ist die Bezugnahme auf ein durch Mythen konstruiertes „Volk“, sei es das österreichische, deutsche oder das tirolerische, für die Regierung Grund genug, historische Kompromisse aufzukündigen? Ganz abgesehen von dem Zynismus, der darin besteht, ein solches Vorhaben mit der Wiedergutmachung des nationalsozialistischen Unrechts zu verbinden. Die deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler*innen werden damit derselben Opferkategorie zugerechnet wie die Nachfahren der Opfer des Nationalsozialismus und das Narrativ wiederbelebt, nachdem auch „wir“ gelitten hätten. Der kleine Abschnitt „Doppelstaatsbürgerschaft neu denken“ im schwarz-blauen Regierungsprogramm schafft es also, eine revisionistische Forderung zur Bundespolitik zu machen und gleichzeitig die Verbrechen des Nationalsozialismus zu relativieren. online seit 22.03.2018 18:13:45 (Printausgabe 82) autorIn und feedback : Hans Hosten, Laurin Lorenz |
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