Teheran Tabu Eine Geschichte aus einer scheinheiligen Stadt Die deutsch-österreichische Produktion Teheran Tabu (2017) ist eine Erzählung von Unterdrückung und Hilflosigkeit in einer Stadt, die stolz ihre Moralität hochhält. Dieser treffende und gut gespielte, rotoskopierte Animationsfilm erzählt die miteinander verbundenen Geschichten zweier junger Frauen (Sara und Pari) und eines jungen Mannes (Babak) in der iranischen Hauptstadt, wo die Linie zwischen kleinen Unaufrichtigkeiten und schweren Betrügereien dünn ist und den Menschen oft keine andere Möglichkeit bleibt, als sich gegeneinander zu wenden. Die drei Hauptcharaktere sind alle, wenn auch in unterschiedlicher Form, von sexueller Unterdrückung in der stark religiös geprägten Gesellschaft betroffen. Die verstörenden Ereignisse des Films verlassen sich zu sehr auf den Zufall, auch gibt es an manchen Stellen faktische Ungenauigkeiten, die jedoch durch seine Referenzen zum neo-realistischen Genre erklärt werden können. Bernardo Bertolucci beschrieb den Neo-Realismus im Film als eine künstlerische Form, die Dinge zu zeigen, wie sie wirklich sind, ohne notwendigerweise reale Begebenheiten zu zeigen – und das ist es auch, was Regisseur und Autor Ali Soozandeh in seinem ersten Film tut. So gelingt es ihm, die Auswirkungen der extrem restriktiven Sexualmoral und der ökonomisch schwierigen Lage auf junge Menschen im Iran in ihrer Essenz einzufangen. Er zeigt auch, wie die Unterdrückung der Sexualität oft mit finanziellen Problemen einhergeht und wie verheerend es, vor allem für Frauen, in einer religiösen, patriarchalen Gesellschaft werden kann, nach sexueller Freiheit und finanzieller Unabhängigkeit zu streben. Ein anderer Animationsfilm über den Iran, der dem internationalen Publikum möglicherweise in den Sinn kommt, ist Marjane Satrapis Persepolis (2007). Während Persepolis auf humorvolle Weise die sehr persönlichen Erfahrungen einer Person erzählt, hat Soozandehs Arbeit tragischere Dimensionen. Die Charaktere fluchen viel, ihre Leben sind von Gewalt und Unsicherheit durchdrungen; sie sind detailgetreu genug gezeichnet, um sich mit ihnen identifizieren zu können, andererseits stehen sie alle mehr oder weniger für bestimmte ‚Typen‘. Babak, zum Beispiel, versucht Verantwortung für seine Handlungen zu übernehmen (er hat mit einem Mädchen geschlafen und soll nun für eine Operation zur Wiederherstellung des Jungfernhäutchens zahlen), er ist aber auch ein junger, ambitionierter Musiker. In seinem Interview mit dem persischen Sender VOA betont Soozandeh, dass die sexuelle Unterdrückung im Iran zwar auch Auswirkungen auf Männer hat, aber in erster Linie Frauen trifft. Ihre Unfreiheit ist tief im patriarchalen System verankert und erschwert es ihnen, finanzielle Unabhängigkeit zu erlangen. Sara ist verheiratet und finanziell von ihrem Ehemann abhängig, der ihr nicht erlaubt zu arbeiten. In ihrer Darstellung vermittelt Zahra Amir Ebrahimi eindrucksvoll Saras Hoffnungslosigkeit und ihre Sehnsucht nach Freiheit. Auch Elmira Rafizadeh spielt Pari, die sich trotz ihrer trostlosen Lebensaussichten nichts gefallen lässt, auf brilliante Weise. Pari (deren Name ironischerweise „Engel“ bedeutet) ist wahrscheinlich diejenige, die die zerstörerische Kraft des Patriarchats am stärksten zu spüren bekommt. Es gelingt ihr nicht, von ihrem drogenabhängigen Ehemann, der im Gefängnis sitzt, die Einwilligung zu bekommen, sich scheiden zu lassen. Sie ist diejenige, die am meisten leiden muss, gleichzeitig ist sie aber eben selbst kein Engel. Sie ist eine verantwortungslose Mutter, die ihren Sohn (Elias) dabei zusehen lässt, wie sie sich prostituiert, benutzt derbe Sprache in seiner Gegenwart und hält ihn nicht davon ab, andere zu verletzen. Sozaandehs Teheran Tabu legt offen, was in Teheran wirklich passiert. Die Stadt ist voll von Drogen-Dealer_innen, verstopft mit unzähligen Autos. Im Film ist der einzige Verweis auf etwas Tröstliches ein leuchtendes Werbeschild mit der Aufschrift „Refah Insurance“ (Refah bedeutet Wohlbefinden), das scheinbar über den Wohnhäusern schwebt. Auch andere Symbole gibt es im Film, z. B. einen Rosenstrauch, den der Junge (Elias) zerstört, oder den Turban des Richters, den Pari beim Sex zum Strangulieren verwendet. Elias selbst kann als zentrales Symbol des Films gesehen werden. Er ist stumm und nicht imstande gegen das Übel um ihn herum zu protestieren. Elias beobachtet die Ereignisse, greift selten ein und zeigt so gut wie keine Emotionen: er ist die Zukunft, vor der der Film versucht zu warnen. Elias nimmt alles auf, das um ihn herum passiert. Seine Vorliebe dafür, mit Wasser gefüllte Kondome vom Balkon aus auf Passant_innen zu werfen zeigt, dass er die Menschen um ihn herum nicht besonders mag. Der Film zeigt die Realität eines Systems, das Menschen zu Monstern macht, die versuchen, andere, die schwächer sind als sie, zu unterdrücken und zu verletzen. Was der Film auf schlaue – und nicht sehr subtile – Weise zeigt, ist die Doppelmoral der Gläubigen. Die Technik der Rotoskopie eignet sich dabei wunderbar für das Anliegen des Films, die „überschminkte“ Realität einer Stadt zu zeigen, die auf zynische Weise versucht, ihr trüb gewordenes Antlitz hinter Hijabs und Turbanen zu verstecken. Trotz einiger faktischer Ungenauigkeiten, die Kritiker_innen zum Vorwand dienen könnten, den Film abzuwerten, gelingt es ihm dennoch, das Wesen und die Beschwerlichkeiten des Lebens in einer (übermäßig) moralisch-kontrollierten Stadt einzufangen. Übersetzung aus dem Englischen: Bernadette Schönangerer Teheran Tabu. Regie: Ali Soozandeh. Deutschland / Österreich, 96 Minuten online seit 02.05.2018 16:48:12 (Printausgabe 82) autorIn und feedback : Somaye Rezaei |
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