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  Seltsame Souveräne

Konsequent emanzipatorische und internationalistische Perspektiven sind in Gefahr

Seit einigen Jahren erscheint in Deutschland eine rechtsradikale Zeitschrift, die sich den sperrigen Titel Compact – Magazin für Souveränität gegeben hat. Der Aufruf zu Kleinstaaterei, Untertanentum und Duckmäuserei wird dabei überdeckt durch den vermeintlich eleganten Begriff der Souveränität. Bedauerlicherweise ist dieser längst nicht mehr nur bei Rechten und Rechtsradikalen eine übliche Vokabel, sondern hat auch in weiten Teilen des linken Spektrums Einzug gefunden. Es scheint, als sei auch den Linken angesichts der zahlreichen und kaum lösbaren Probleme der Globalisierung eine internationalistische und emanzipatorische Perspektive abhandengekommen. Die Liste möglicher Beispiele ist gruselig lang: Žižek, Lafontaine, Wagenknecht, Grillo, Mélenchon und auch zeitweilig – bis zu seiner Läuterung – unser aller Poster Boy Varoufakis. Sie alle optieren mehr oder weniger für den festen Deckel eines Souveräns auf dem Töpfchen eines Staates, weil nur in dessen möglichst festen Grenzen sich das Gemeinwesen retten ließe.

Nun wollen diese „rechten“ Linken mittels des Souveräns nicht gleich wieder den starken Mann beschwören, sondern bemühen zuweilen die schwer greifbare und recht abstrakte Figur der „Volkssouveränität“. Das Volk dürfe nicht bevormundet werden (etwa durch die EU), seine Souveränität sei sogar laut des französischen Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Mélenchon das „höchste Gut“. Allerdings, wer den halben Weg geht, kann später nicht sagen, ob dies der halbe Weg zum Ziel war oder ob die Reise in die entgegengesetzte Richtung ging. Bei der Verbindung von Volk und Souverän wird aufgrund des Abstraktums „Volk“ mit Sicherheit eher rechts als links abgebogen. Letztlich bleiben diese politischen Willensbekundungen der Wiedererrichtung der Souveränität recht nebulös. Die meisten StaatsbürgerInnen können vermutlich nicht angeben, wer oder was ein Souverän ist. In dem Begriff zeigt sich geistesgeschichtlich das ganze Drama einer unvollständigen Aufklärung und verzögerten Abtrennung vom Feudalismus. Eine gute Gelegenheit, einmal nachzuvollziehen, an welcher Stelle der Souverän wie der Kasper aus der Kiste gesprungen kommt, um damit zu zeigen, wer auf Souveränität setzt, landet zuverlässig im Elend der Bevormundung und Entrechtung.

In sieben einfachen Schritten zum Souverän

1. Jedes Gemeinwesen steht vor einem praktischen Problem: Nichts lässt sich in einen Vertrag schreiben, das dessen Einhaltung garantiert.
2. Die „Lösung“: Nichteinhaltung (von Verträgen/Gesetzen) wird bestraft.
3. Der Unterschied zwischen Strafenden und Bestraften ist empirisch gesehen nur deren Macht. (Die Starken bestimmen.)
4. Diese empirische Faktizität wird allerdings allgemein als empörend empfunden. Im Grunde ist allen Beteiligten klar, dass es nicht so sein sollte. Genau betrachtet ist dies ein nicht wenig überraschender historischer Befund: In keiner Gesetzgebung, von Hamurabi bis heute, finden sich Passagen, die sagen, die Schwachen gehören unterdrückt etc. (Der übliche und nahezu überall vorhandene Ausschluss, der darin besteht, dass Gesetze nur für die eigenen Leut’ gelten und somit zwischen Herren- und Untermenschen unterschieden wird, muss hier beiseitegelassen werden. Voraufklärerische Zeiten waren sogar unfähig, diese Einschränkung überhaupt zu erkennen.)
5. Deswegen darf eine allgemeine Spaltung konstatiert werden zwischen „Sein“ (der Faktenlage, dem Zustand der Welt und dem, was MachthaberInnen so tun) und „Sollen“ (dem, was eigentlich wünschenswert wäre und was MachthaberInnen tun sollten). Das „Sollen“ hat einen gewissen philosophischen Reiz, denn es kann – mit etwas Mühe – kohärent beschrieben und begründet werden. Beim „Sein“ darf dies als unmöglich gelten, es ist viel zu vielen Zufällen und ewig unerklärbaren Motiven unterworfen.
6. Der ganze „Witz“ einer Gesetzgebung liegt darin, sich diesem „Sollen“ zu unterwerfen. Alle Macht kann nur in ihm begründet liegen.
7. Fein. An diesem Punkt der Argumentation wären Jürgen Habermas und Carl Schmitt noch auf einer Seite. Nur muss hier eine bedauerliche Beobachtung gemacht werden: Die Sphäre des „Sollens“ steht verbindungslos zum „Sein“. Es muss also erst eine Vermittlung zwischen den beiden gefunden werden. Sie kann nicht in den Gesetzen selbst liegen. Siehe Punkt 1.

Woher die Vermittlung nehmen?

An diesem Punkt kommt der Souverän hervorgesprungen. Carl Schmitt und Co. glaubten, eine Lösung für das Vermittlungsproblem gefunden zu haben durch die Abstraktion der Rechtsnorm. Diese steht über den Verträgen und Gesetzen. Alle Macht muss eingesetzt werden um diese Norm zu erhalten. Ein gewisser Herr Putin nennt dies die „Diktatur des Rechts“. Damit dies praktisch umgesetzt werden kann, soll ein Souverän die Einhaltung der Norm überwachen und gegebenenfalls gewaltsam durchsetzen. Aktuell sehen US-amerikanische „Trumpisten“, die sich hinter latinisierten Pseudonymen wie etwa Publius Decius Mus verbergen, in der kuriosen Erscheinung Donald Trumps ein Mittel zur Erreichung des Zieles der Normsicherung. Wohlgemerkt geht es ihnen nicht um den Menschen Trump, sondern um den zufällig durch ihn fleischgewordenen Souverän. Die kuriosen historischen Fehlurteile, die durch diese Konzeption zuverlässig entstehen, hat Carl Schmitt mit seinem Denkweg eindrucksvoll belegt. Schmitt dürfte aufgefallen sein, welch intellektuell schlichte Erscheinung Hitler gewesen war, dennoch glaubte er, der „Führer“ könne als Souverän die Erhaltung der Norm garantieren und damit „Sein“ und „Sollen“ äußerlich verbinden. Nun, da hat Schmitt sich wohl getäuscht.

Ebenso irrtümlich wäre es, anzunehmen, der neue amerikanische Präsident könne die Zentralgewalt Washingtons gegenüber den widersprechenden Interessen im Lande garantieren und die Hegemonie der USA verteidigen, damit diese als eine Ordnungsmacht den konfliktreichen Sauhaufen der Welt kontrolliert. Das wird Trump weder können, noch wird er es überhaupt versuchen. Die „starken Männer“ haben sich nie für die Einflüsterungen von MeisterdenkerInnen interessiert, sei es Carl Schmitt oder Decius Mus. Die Wahrung von Rechtsnormen ist Führern wurscht.

Dem Souverän gelingt Vermittlung zwischen der wünschenswerten „Idealität“, die in Gesetzen festgehalten wird, und der enttäuschenden Realität nicht. Die einzige Instanz, die dies schaffen kann, ist das Individuum. Rechte, Rechtsradikale stören sich grundsätzlich an der Individualität. Aus ihrer Sicht zu Recht. Die Individuellos machen alle Norm kaputt, es fängt beim Sex an und endet beim Schönsten und Höchsten: der Nation. Keine Grenzen mehr, keine festgeschriebenen Zugehörigkeiten. Für autoritäre Charaktere ein unhaltbarer Zustand. Aber der einzige, der konsequent modern ist. Wenn es keinen König mehr gibt, dann gibt es auch kein Volk mehr. Dem so befreiten (und auf sich selbst gestellten) Individuum kommt die schwierige und kaum zu leistende Vermittlungsaufgabe zu. Es muss „Sein und Sollen“ innerlich gemäß seiner Sittlichkeit verbinden. Seit dem frühen 18. Jahrhundert ist diese Diagnose gestellt, zum Beispiel von Immanuel Kant. Die Schwierigkeiten sind enorm und die Ergebnisse sind meist unbefriedigend. Sittlichkeit ist notwendig ephemer, sie kann niemals Gesetz werden und muss immer neu an einer gegebenen Situation ergründet werden. Dies ist nur dann überhaupt möglich, wenn jede Form der Identität, eine religiöse zum Beispiel, hinterfragt werden kann und zumindest zeitweilig abgelegt wird. Bleibt die äußere Verfestigung durch eine Identität, dann ist jede Sittlichkeit futsch und das Individuum exekutiert lediglich die bereits geschriebenen Gesetze. „Sein“ und „Sollen“ bleiben unverbunden.

Erkenne die Finte!

Es gilt, genau zu beobachten, durch welche Schläue den BürgerInnen ihre individuelle Souveränität geraubt werden soll. Ein vorzügliches Beispiel bietet Neil Gorsuch, der Vorschlag Donald Trumps für den Obersten Gerichtshof. Gorsuch gedenkt, das Individuum und dessen Urteilskraft auszuhebeln, indem ein Verhältnis zur amerikanischen Verfassung entwickelt wird wie zur heiligen Schrift. Mit der buchstabengetreuen Interpretation des Verfassungstextes soll eine aktualisierte Neuinterpretation verhindert werden, weil diese RichterInnen einen zu breiten Ermessungsraum ließe. Eine ein für alle Mal festgeschriebene Identität soll quasi durch den Verfassungstext verbürgt werden.

Hier zeigt sich ein typischer Trick autoritärer Geister, einen beliebigen Punkt in der Geschichte zu überhöhen und als sakrosankt auszugeben. Wie unsinnig solche Versuche sind, belegt eine kleine Anekdote. Im „heiligen Jahr“ 1776 durfte Benjamin Franklin, der mit der Reinschrift der „Constitution“ beauftragt worden war, keine Sekunde mit dem Pergament und der Gänsefeder allein gelassen werden. Die anderen Autoren kannten Franklin zu gut und wussten, dass ihm der Schalk im Nacken saß. In einem unbeobachteten Moment würde er versuchen Zoten und Witze in den Text zu schmuggeln, wie er es bei anderer Gelegenheit bereits getan hatte. Nun, man lese die Verfassung noch einmal ganz genau, um zu überprüfen, ob dem alten Franklin wirklich dauernd jemand über die Schulter geschaut hat. Und an alle US-amerikanischen „Originalisten“ und „Textualisten“ ergibt sich die Frage, wie sie mit aufgedeckten Zoten in einem Text umzugehen gedenken, der außerhalb einer historisch-kritischen Perspektive steht.

Es zeigt sich, den Individuen kann die jeweilige, selbstständige Neuinterpretation der Lage nicht erspart werden und sie müssen politisch darum kämpfen, diese behalten zu dürfen. Gerade jetzt, wo die westlichen Demokratien sich zunehmend durch „uncharted territory“ bewegen, weil die immer mächtiger werdenden autoritären Kräfte mit bestehenden Usancen brechen und auf Institutionen pfeifen, müssen die souveränen BürgerInnen sich ihrer durch die Aufklärung zugedachten Aufgabe besinnen: Eine Vermittlung zwischen „Sein“ und „Sollen“ kann nur durch individuelle Urteilskraft gelingen.


online seit 10.06.2017 14:25:12 (Printausgabe 78)
autorIn und feedback : Frank Jödicke




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