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  Linker Populismus als Antwort auf die Krise?

Ernesto Laclau als Ideengeber für eine Politik der Identifikation – und mögliche unerwünschte Nebenwirkungen.

Populismus galt hierzulande lange Zeit als Domäne der Rechten. Seit sich mit Syriza und Podemos linkspopulistische Parteien in Europa etabliert haben, erscheint ein populistischeres Agieren der politischen Kräfte links der Mitte neuerdings auch in Österreich manchen als Ausweg aus der eigenen Bedeutungslosigkeit.

Vom Grünen Peter Pilz über den Journalisten Robert Misik und die BloggerInnen von Mosaik bis zum Pressesprecher von Wien Anders reichen die Stimmen derer, die eine Neuevaluierung des ehedem verachteten Politikmodells des Populismus fordern. Diejenigen, die im Linkspopulismus den rettenden Strohhalm der Erneuerung für das linke politische Spektrum sehen, berufen sich dabei mehr oder weniger explizit auf Ernesto Laclau und dessen Populismustheorie. Wenn denn schon so beharrlich ein theoretisches Konzept bemüht wird, um die Perspektiven einer strategischen Neuausrichtung zu unterfüttern, so sollte dieses zumindest vollständig betrachtet werden.
Bislang scheint die Debatte hauptsächlich um die Frage zu kreisen, ob populistisches „Zuspitzen“ legitim sei oder nicht, ob also auf die affektive Dimension des Politischen gesetzt werden solle, indem die gemeinsame Opposition beispielsweise gegen Banken und Konzerne als integratives Bindemittel für eine linke Antwort auf die scheinbare Alternativlosigkeit kultiviert wird, oder ob dagegen in geduldiger Kleinarbeit an der Basis komplexe Zusammenhänge vermittelt werden sollen. Laclau würde aber missverstanden, verkürzte man seinen Populismusbegriff auf diesen einfachen Gegensatz. Es geht nicht nur um „emotionalisieren“ statt „rationalisieren“, sondern darüber hinaus um die Schaffung einer geschlossenen kollektiven Identität, die eben nicht nur gegen etwas gerichtet ist. Will sich linke Politik langfristig stabilisieren, muss sie nach Laclau neben der radikalen Zurückweisung der bisherigen politischen und sozialen Ordnung auch ein vereinheitlichtes Gemeinschaftssubjekt installieren, das positive Identifizierung bietet. Das meint mehr als die Gruppierung unterschiedlicher Kämpfe und Forderungen unter dem Label „anti-austerity“.

Populismus und Identität

Die Abgrenzung vom Anderen und die Mobilisierung eines Kollektivs auf Basis der gemeinsamen Opposition sind eben nur der erste Schritt. Nach dem populistischen Bruch mit dem status quo geht es PopulistInnen darum, diesem Kollektiv ein positives Gesicht zu geben. Das ergibt sich nicht einfach aus einer Abstraktion des kleinsten gemeinsamen Nenners. Das Kollektiv der Unzufriedenen, das sich über den gemeinsamen Feind als solches erkennt, wird schließlich nur durch eines zusammengehalten: durch den gemeinsam erfahrenen Ausschluss aus dem politischen Repräsentationsraum. Es handelt sich letztlich um eine Identität des geteilten Mangels. Deshalb braucht es eine Umkehrung: ein einzelner Vertreter, der seine eigenen Ziele und Inhalte als die der gesamten Bewegung etabliert, wird zum positiven Ausdruck des populistischen Wir. Die Vereinheitlichung in einer hegemonialen Repräsentation verwandelt die negativ bestimmte Identität in ein positives Fundament und konsolidiert die Gruppe. Diese erscheint nun als Ausgangspunkt und Legitimitätsbasis der Kämpfe, als deren Effekt sie eigentlich entstanden ist. Auch rechtspopulistische Politik gibt ihrem „Volk“ ein Gesicht mit bestimmbaren Attributen: Der „anständige Österreicher“ bietet der Gemeinschaft, die sich über die geteilten Feindbilder konstituiert, ein konkret definiertes, positives Antlitz und realisiert ihre Einheit.

Stabilität statt Pluralität

Wozu das Ganze? Weil Laclau zufolge nur ein geschlossenes Gemeinschaftssubjekt das Potential hat, transformatorische Politik umzusetzen. Ohne die Wiedereinführung einer Schließung bliebe die Verbindung zwischen den durchaus heterogenen popularen AkteurInnen auf ein vages Solidaritätsgefühl beschränkt, weil das „Identische“ ihrer Ansprüche und Forderungen auf den gemeinsamen Feind und ihre Unerfülltheit beschränkt bleibt. Kommt von anderer Seite ein besseres Identitätsangebot, wechseln die Gruppenmitglieder schon mal ins benachbarte imaginäre Kollektiv über, werden von der etablierten Politik punktuell Zugeständnisse gemacht, verlässt man vielleicht gleich das Protestlager. Eine negativ bestimmte Identität ist eine fragile Identität. Laclau geht es mit seiner Populismustheorie darum, die Handlungsfähigkeit und Durchschlagskraft transformatorischer Politik zu erhöhen. Dafür genügt es eben auf Dauer nicht, gemeinsam gegen Austeritätspolitik zu wettern oder Banken und Konzerne anzuklagen. Um die affektive Mobilisierungskraft einer Politik der Identifikation langfristig zu sichern, muss das „wahre Volk“ in einem singulären Bild verkörpert werden, aus dem Unterschiede und Spannungen ausgeblendet sind. Die linksperonistische Regierung unter Cristina Fernández de Kirchner in Argentinien hatte dafür zuletzt sogar ein „strategisches Koordinationssekretariat für das Nationale Denken“ im Kulturministerium eingerichtet. Die Definition des Nationalen Denkens (großgeschrieben natürlich!) macht die populare Identität unhintergehbar und schweißt das Kollektiv über eine instabile Allianz hinaus zusammen. Das geht aber auf Kosten der Spannung und Offenheit im Inneren der populistischen Formation. Interne Pluralität ist im Populismus nicht vorgesehen. Pluralismus spielt nur zwischen den hegemonialen Projekten eine Rolle. Von diesem sollten möglichst viele konkurrieren, damit das demokratische Spiel dynamisch bleibt. Was aber, wenn nicht vielfältige Populismen in pluralen Räumen koexistieren und sich gegenseitig beschränken, sondern ein einfacher Antagonismus zwischen zwei Lagern sich über das gesamte Feld des Sozialen ausbreitet? Dann heißt es, wer nicht für uns ist, ist gegen uns, und das „Wir“ entspricht der Hegemonie einer partikularen Gruppe, welche die „reine“ Repräsentation der gesamten Bewegung darstellt. Siehe Argentinien: entweder die sozialen Bewegungen, die Gewerkschaften, die Menschenrechtsorganisationen und die in anderen Parteien organisierten progressiven Kräfte wurden kirchneristas, oder sie wurden eben zu „dissidenten“ Peronisten, oder schlimmer noch, zu „gorilas“, der Sammelbezeichnung für alle „anti-popularen Kräfte“

Über den populistischen Bruch hinausdenken

Identifikation schafft Zugehörigkeit, sie schafft aber auch (forcierte) Homogenität, wenn das populistische „Wir“ nicht bei der Bündelung der Opposition gegen die herrschenden Verhältnisse stehen bleibt, sondern eine positive Ausfüllung erfährt. Auffällig an den bisherigen Debatten zu Linkspopulismus ist, dass sie hauptsächlich die Dimension des populistischen Bruchs mit der Herrschaft thematisieren. Populistische Strategien bieten auf den ersten Blick tatsächlich erfolgversprechende Chancen, linke Kommunikationspolitik zu erneuern und die scheinbare Evidenz der Alternativlosigkeit zu durchbrechen. Dem stehen aber die Gefahren populistischer Schließungstendenzen entgegen. Gerade wenn es den LinkspopulistInnen in spe lediglich darum geht, linke Botschaften klarer zu formulieren, die Leute auch mal emotional anzusprechen und eine Verbindung zwischen verschiedenen sozialen Forderungen herzustellen, sollte in der Diskussion die Frage nicht ausgespart werden, wie in einer solchen Strategie ein immanentes Korrektiv installiert werden kann, das der Festschreibung der „reinen“ Selbstidentität dieses neuen Kollektivs entgegenwirkt. Auf diese Frage bietet die Populismustheorie Laclaus keine Antworten. Gleichwohl gilt es solche zu finden, soll ein mögliches linkes Gegenprojekt nicht in der Her- und Darstellung einer massiven „popularen Einheit“ mittels identitätsstiftender Bilder und Mythen enden.


online seit 06.04.2016 23:35:39 (Printausgabe 74)
autorIn und feedback : Bernadette Goldberger


Links zum Artikel:
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