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  Allende in Athen

Griechenland und Chile – historische Wiedergänger? Und was Austritts-Phantasien mit Science-Fiction zu tun haben.

Der Sozialismus gilt gemeinhin als tot. Großflächiges Bedauern darüber ist abseits kleiner Polit-Zirkel eigentlich nur in der Kunst spürbar. Die Wiederentdeckung und künstlerische Bearbeitung modernistischer Architektur und anderer Verkörperungen sozialer Utopien der Moderne ist ein Großtrend im Kunstschaffen des letzten Jahrzehnts. Entsprechende Werke gehören zum Standardrepertoire, mit dem zeitgenössische Biennalen kritische Haltung zu signalisieren versuchen – wenngleich diese Arbeiten fast nie über einen exotisierenden Blick auf eine ferne Vergangenheit und rein formalistische Aneignung hinausreichen, wie die Kunsthistorikerin Claire Bishop bemängelt.

Sozialismus und Science-Fiction

Uneingelöste Versprechen der Revolution schienen zunächst eher in ästhetischen Artefakten wie Skulpturen oder Bauten geortet zu werden statt in Fünfjahresplänen und anderen Zeugnissen der praktischen Implementierung einer anderen Ökonomie. Das Stadium, in dem TechnokratInnen das Ruder von KämpferInnen und RednerInnen übernahmen, um die Mühen der Ebene auf dem Weg zur Utopie zu beschreiten, ist in der Regel der Schritt, an dem Kunstschaffende bislang das Interesse verloren. Vielleicht liegt es an dem Status von Computer-Nerds – von Gates bis Snowden – als den letzten Helden der Gegenwart, dass in jüngster Zeit begonnen wird, der Geschichte der sozialistischen Mitglieder dieser Zunft, vermehrt Beachtung zu schenken. Zumindest ist das für das Genre der Belletristik zu beobachten.

Francis Spufford geht in „Red Plenty“ („Rote Zukunft“) in Kurzgeschichtenform den optimistischen Bemühungen sowjetischer ÖkonomInnen in der Chruschtschow-Ära nach, mit der Planwirtschaft, das Versprechen des Kommunismus als System von Wohlstand und Überfluss einzulösen.

In Simon Urbans „Plan D“ wird ein alter Technokrat ermordet, der in einer fiktiven zeitgenössischen DDR, die niemals mit der BRD wiedervereinigt wurde, einen geheimen wirtschaftlichen Sanierungsplan ausgearbeitet hatte.
In seinem soeben erschienenen Roman „Gegen die Zeit“ schließlich macht der Autor Sascha Reh eines der schillerndsten technokratischen Projekte einer sozialistischen Moderne zum Thema: „Cybersyn“, ein in Chile unter Präsident Salvador Allende Anfang der 1970er Jahre gestartetes Projekt zur dezentralen Koordination der unter Arbeiterselbstverwaltung stehenden Industrie per Computernetzwerk – eine Art sozialistisches Internet. Reh lässt ein Team von Cybersyn-TechnikerInnen in den Strudel des Putsches geraten, mit dem General Pinochet das Allende-Experiment am 11. September 1973 beendete. Die demokratisierenden Versprechen des elektronischen Netzwerks schlagen nun – Achtung, Allegorie auf das zeitgenössische Internet! – um in die Drohung von Überwachung und Verfolgung.

Von Santiago nach Athen

Einen faschistischen Militärputsch hat das Syriza-regierte Griechenland (das in den Siebzigerjahren bald der chilenischen Entwicklung folgte) zumindest vorerst nicht erlebt, obwohl auch hier, 45 Jahre nach Allende, eine Kraft links der Sozialdemokratie per Wahl an die Regierung gekommen ist. Wenngleich Allende den demokratischen Sozialismus, Tsipras jedoch nur Schuldenentlastung versprochen hat, drängen sich beim Lesen von Rehs Buch in vielen anderen Aspekten permanent düstere Parallelen zu Griechenland auf.

Mit dem Scheitern des Versuchs der Syriza-Regierung, den Gläubigern eine Kurskorrektur abzuringen, greift mancherorts die Versuchung um sich, das Ergebnis Strategiefehlern zuzuschreiben, nicht Optionslosigkeit: Tsipras und Co. hätten sich demnach durch ein Festhalten am Euro die besten Optionen selbst verbaut. Ein Euro-Austritt und die Einführung einer eigenen Währung würden ein Ende der Austerität und autonome Wirtschaftspolitik ermöglichen. Die starre Haltung der Gläubigerstaaten wird als Offenbarung der desaströsen Natur der EU interpretiert.

Besser im Abseits?

Es ist nicht zu leugnen: EU und Euro sind tatsächlich mit Institutionen und Regeln verbunden, die stark vom neoliberalen Geist geprägt sind. Doch weder hat das griechische Schuldendrama besonders viel mit den Regeln der EU zu tun, noch ist die Rückkehr zum Nationalstaat mit eigener Währung, die viele von links bis rechts jetzt beschwören, die rettende Alternative.

Vermutlich hat Griechenlands Euro-Beitritt zur Bereitschaft der europäischen Banken beigetragen, im Land en masse Kredite zu vergeben, ohne die Schuldentragfähigkeit im Auge zu behalten. Und es könnte sein, dass die deutsche Haltung zur Spar- und Schuldenfrage ein Stück weit weniger rigide wäre, wenn man Griechenland unter dem Gejohle des heimischen Publikums aus dem Euroraum hätten werfen können.

Aber das ist auch schon alles. Nicht der Maastricht-Vertrag, der der Währungsunion zugrunde liegt, zwingt die griechische Regierung zum Sparen. Griechenlands Verschuldung und Defizit sprengte beim Bekanntwerden von dessen Ausmaß 2010 die darin vorgesehenen Grenzen um Längen. In Folge war kein Finanzinstitut mehr bereit, Kredite an Griechenland zu vergeben. Die laufenden Zins- und Ratenzahlungen für aufgelaufene Kredite hätten nicht bezahlt werden können, Griechenlands private Gläubiger hätten notgedrungen auf einen Großteil ihrer Forderungen verzichten müssen. Mangels neuer Kredite hätte Griechenland einen sofortigen drastischen Sparkurs fahren müssen. Bis vielleicht nach einigen harten Jahren die Banken wieder Vertrauen geschöpft und einen Neustart ermöglicht hätten. Solche sofortigen hohen Verluste wollten Deutschland, Frankreich und Co. ihren Banken aber nicht zumuten, denn dann wäre die nächste Runde staatlicher Bankenrettungen zu verkraften gewesen. Stattdessen mussten im Rahmen eines politisch ausgehandelten Schuldenschnitts die Privatgläubiger nur auf einen geringen Teil ihrer Forderungen verzichten, und ein Ad-hoc-Konsortium von EU-Staaten übernahm den Rest: Sie vergaben staatliche Kredite an Griechenland.

Im Gegenzug sollte Griechenland sparen, um die verbliebenen viel zu hohen Schulden über viele Jahre ordnungsgemäß abzutragen. Diese Lösung folgt nicht aus den EU-Verträgen, die im Gegenteil eigentlich zwischenstaatliche Hilfe bei Überschuldung ausschließen. Stattdessen handelten die Staaten als zufällig mit den EU-Staaten mehr oder weniger identisches Konsortium, das zunächst bilaterale Kredite bündelte. Ziel: die Rettung heimischer Banken auf dem Rücken der griechischen Bevölkerung. Das späte Aufbäumen der griechischen Bevölkerung gegen diese Lösung nach den Wahlen von 2015 wurde durch die Gläubiger abgeschmettert und der Kurs zementiert. Gleichzeitig wurde ein Exempel statuiert, um zu signalisieren, dass linke Experimente in Europa keine Erfolgsaussichten haben. Es gibt keinen Anlass zu glauben, dass eine Nichtteilnahme Griechenlands an Euro oder EU daran etwas geändert hätte. Die Bekämpfung linker Regierungen mit Sendungsbewusstsein am eigenen Kontinent, deren mögliche Vorbildwirkung völlig unabhängig von einer EU- oder Euro-Mitgliedschaft besteht, ist immer ein Motiv rechter Regierungen.

Austritts-Alchemismus

Wenn Griechenland aus dem Euro austräte, könnte es zwar die eigene Notenbank zur Staatsfinanzierung heranziehen, aber was wäre damit gewonnen? Wird das Instrument in größerem Ausmaß genutzt, verfällt der Wert der Währung und stürzt die Wirtschaft in weitere Turbulenzen. Die bestehenden Auslandsschulden sind in Euro zu bezahlen, und die kann Griechenland auch nach einem Austritt nicht selbst herstellen. Den Schuldendienst einseitig einstellen kann Griechenland innerhalb oder außerhalb des Euros. Der Preis wird in beiden Fällen ein internationaler Paria-Status sein. Trotz allem ist es heute zwar schwer vorstellbar, dass Deutschland in Griechenland einmarschiert oder einen Militärputsch sponsert, wie die USA damals in Chile. Aber wo immer Griechenland auf das betroffene Ausland angewiesen ist oder Angriffsfläche bietet, würde es nach einem einseitigen Schuldenmoratorium Vergeltung zu spüren bekommen. Bleibt die Hoffnung auf nationale Abschottung und Autonomie auf Basis der Einführung einer eigenen Währung.

Doch die nach zahlreichen schweren Währungskrisen und Inflationsepisoden gewonnene Erkenntnis, dass eine eigene Währung wirtschaftlich schwachen Ländern keine wirtschaftspolitische Autonomie verschafft, ist ein wesentlicher Grund dafür, dass die Währungsunion in Westeuropa in den 1990ern breite Unterstützung gewann. Von Währungsturbulenzen kann man sich zwar abzukoppeln versuchen, indem man Kapitalverkehrskontrollen erlässt. In Griechenland hätten solche Kontrollen aber aus zwei Gründen kaum die gewünschte Wirkung: Der Löwenanteil der im Land akkumulierten Finanzvermögen ist im Zuge der Krise bereits ins Ausland oder in bar unter die Kopfpolster geflüchtet, und wird bei einem Euro-Austritt nie wieder zurückkehren. Greift die Regierung exzessiv auf Notenbankkredite zurück, um sich zu finanzieren, wird das Vertrauen in die ohnehin ungeliebte neue Währung und damit ihr Wert weiter leiden. Die Wirtschaft des Landes bleibt über den Tourismus mit dem Ausland verflochten. Griechische Tourismusbetriebe würden, notfalls illegalerweise, von der Kundschaft Euro kassieren und die schwache heimische Währung meiden. Der vermutlich stärkste Wirtschaftssektor hätte somit als einziger Devisenzugang, während der Rest der Bevölkerung mit heimischer Währung hantieren müsste, die am Schwarzmarkt wohl kontinuierlich an Wert verlöre. Eine gespaltene Wirtschaft mit ausgeprägter struktureller Ungleichheit wäre die Folge.

Für die gigantischen Herausforderungen, die mit Renationalisierung und Abschottung der Wirtschaft einhergehen, ist gerade die notorisch marode griechische Bürokratie so schlecht gerüstet wie kaum eine andere in Westeuropa.

Historische Vorbilder?

Zahlreiche dieser Erfahrungen musste trotz eigener Währung auch die Allende-Regierung machen, bevor der Putsch 1973 den letzten Nagel in den Sarg des Experiments schlug.

Auf eine Abkehr vom Pfad kapitalistischer Tugenden antwortete das Ausland, kanalisiert über internationale Organisationen, mit Isolationspolitik und Sanktionen: Kreditsperre, Ausschluss vom Weltmarkt, Unterstützung der heimischen Rechten. Letztere artikulierten den Widerstand der besitzenden Klassen über Störaktionen, Sabotage und Widerstand mit großen Medienhäusern als Sprachrohr, bewaffneten Banden und Verbindungen ins Militär als schlagende Argumente.

Abgeschnitten von lebenswichtigen Importen versuchte die Regierung, heimische Kopien herzustellen. Um rechter Sabotage auszuweichen wurde versucht, die Koordination loyaler Fabriken zu verbessern (hier kam Cybersyn ins Spiel) und Schwarzmarktlager zu enteignen. Durch die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte verschärfte sich die Versorgungslage aber immer stärker. Um den Kreditstopp des Auslands zu kompensieren, griff der Staat verstärkt auf die heimische Notenbank zurück. Das Vertrauen in die Währung schwand, die Inflation stieg.

Druck kam nicht nur von rechts: Vom Wahlsieg der Linken beflügelte soziale Bewegungen radikalisierten sich und wurden zunehmend zu Antagonistinnen der Regierung, die wegen einer bloß hauchdünnen Mehrheit und eines massiven Gegenwinds wiederholt zu Kompromissen mit den Rechten gezwungen war.
Fazit: Vor dem Faktum der Überschuldung Griechenlands können die Gläubiger sowieso nur vorübergehend die Augen verschließen, früher oder später muss ein weiterer Schuldenschnitt kommen. Dass der den GriechInnen dafür abverlangte Preis in Drachmes günstiger käme, ist höchst zweifelhaft. Und das Reich der Freiheit können sie sich darum schon gar nicht kaufen.

online seit 09.11.2015 15:26:46 (Printausgabe 72)
autorIn und feedback : Pinguin




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