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  Wien baut

Neue Gemeindebauten oder Dekommodifizierung von Wohnen denkbar machen

Die Ankündigung „Wien baut wieder Gemeindebauten“ im Februar 2015 hat einiges Aufsehen erregt. Über die Beweggründe und die Ernsthaftigkeit des Vorhabens lassen sich einstweilen nur Vermutungen anstellen. Ergänzend zu vorschnell euphorischem „hurra, na endlich“ und zu möglicherweise zu einfachen, wenngleich im Vorwahlkampf nicht völlig abwegige ­Erklärungen, dass es sich nur um eine PR-Strategie handle, können jedoch eine Reihe von Fragen angeschlossen werden. Es könnte etwa über Kriterien diskutiert werden, woran sich der wohnungspolitische Beitrag der angekündigten Initiative bemessen lassen würde.

Wie viel und wo

Ein Blick auf die ankündigten Zahlen (nach einem Pilotprojekt von 120 Einheiten sollen 2.000 Wohnungen folgen) suggeriert zunächst eine eher symbolische Maßnahme: Zu wenig, um angesichts des immensen Bedarfs nach „leistbarem Wohnraum“ tatsächlich wohnungspolitische Effekte zu erzielen, aber genug, um den Vorwurf zu entkräften, ein dermaßen erprobtes Instrument seit 2004 eingestellt zu haben. Zugleich könnte der bis vor kurzen kaum mehr denkbare Schritt auch optimistisch als ein Anfang gedeutet werden.
Die angekündigte Lage (das erste Pilotprojekt wird an den äußersten Rändern der Stadt geplant) ist in einer gewachsenen, bereits relativ stark verdichteten Stadt zwar plausibel. Wenn sozialer Wohnungsbau aber gerade auch als Alternative für Menschen gedacht ist, die sich die Mieten in den innenstadtnahen Bezirken nicht mehr leisten können, könnte das auch als Eingeständnis sozialräumlicher Verdrängungsprozesse interpretiert werden, und verweist auf Forderungen nach einem „Recht auf Zentralität“. Immer wieder interessant sind hier Bezüge zum historischen Vorbild des „Roten Wiens“ der 1920er Jahre, das bestrebt war, Gemeindebauten auch zentrumsnah und in wohlhabenderen Bezirken zu platzieren.

Die Logik der Bereitstellung von Wohnraum

Ein weiteres Gebäude mit dem Schriftzug „errichtet von der Gemeinde Wien“ macht aber allein noch keine sozial gerechtere Wohnungspolitik, sondern wirft Fragen auf nach dem „wie“: nach welchen Kriterien etwa die bereitstellenden öffentlichen Betriebe ausgerichtet sind, welche Konzeptionen von Wohnen dem zugrunde liegen und in welchen breiteren wohnungspolitischen Kontext das eingebettet ist.
Erfahrungen mit der Privatisierung von Bereichen öffentlicher Daseinsvorsorge haben an vielen Orten der Welt gezeigt, dass ein „öffentliches“ Unternehmen häufig eine hilfreiche, aber keine hinreichende Bedingung für einen nach sozialeren Kriterien ausgerichteten Betrieb ist. Gerade auch öffentliche Betriebe wurden in den letzten Dekaden marktförmig restrukturiert. Die seit der jüngeren Krise weiter verschärfte Austeritätspolitik hat das Diktat, öffentliche Ausgaben zu senken und kostendeckend, wenn nicht gar gewinnbringend zu operieren eher noch verstärkt.
Diesbezüglich wäre hier das konkrete Agieren der Stadt Wien, der geplanten Errichtungsgesellschaft und speziell von Wiener Wohnen bei der Erstellung und Bewirtschaftung von Gemeindebauten nicht als Blackbox zu betrachten, sondern begleitend in den Blick zu nehmen. So wurde inzwischen auch in diesem Bereich über zwar moderatere aber doch auch steigende Mieten, über zunehmende Delogierungen und auch über Leerstand berichtet. Und die immer wieder auch kritisierten Limitierungen des historischen Modells wurden letztlich bis heute fortgeschrieben – etwa dass es top-down organisiert und wenig durchlässig für Ansätze von Selbstorganisation war und dass es gerade für die „untersten“ Ränder der Gesellschaft systematisch keine Angebote bereithielt.
Eine Stärke großer öffentlicher Unternehmen könnte ihre potenziell langjährige Expertise in ihrem Tätigkeitsbereich sein (etwa bei Fragen von Bau, Finanzierung, Bereitstellung von sozialem Wohnraum) sowie ihr Daseinszweck (wenn er in der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge und nicht der Bedienung von Aktionärsinteressen begründet ist). Dem steht gegenüber, dass sie auch anfällig für Entdemokratisierungsprozesse sind. Das spricht nicht grundsätzlich gegen sie, sondern dafür, über Fragen demokratischerer Gestaltung immer wieder nachzudenken – und zeigt auch, dass die Frage, nach welchen Prinzipien sie ausgerichtet sind, entscheidend ist.

Womit grundsätzlichere Fragen nach der gesellschaftspolitischen Funktion von sozialem Wohnungsbau aufgeworfen sind. Denn im Bereich der Wohnraumproduktion treffen die grundlegenden Widersprüche kapitalistischer Vergesellschaftung besonders vehement aufeinander. Wohnraum hat einen Gebrauchswert – Menschen wollen guten zugänglichen Wohnraum. Marktförmig produzierter Wohnraum hat aber auch einen Tauschwert – Bauträger und Vermieter haben ein Interesse an Gewinnen aus ihren Immobilien. Da sich historisch gezeigt hat, dass günstiger Wohnraum kaum profitabel über den Markt hergestellt werden kann (ein klassischer Fall von Marktversagen), haben sich im 20. Jahrhundert in den Ländern Europas unterschiedliche Modelle der „öffentlichen“ Bereitstellung von sozialem Wohnungsbau herausgebildet. Nach einer Phase überwiegend kommunaler Experimente in der Zwischenkriegszeit, war Wohnungspolitik ein zentraler Bestandteil fordistischer Sozialpolitik und wurde seit den 1980er Jahren wieder krisenhaft restrukturiert. Wohnungspolitik war damit immer auch Verteilungspolitik – wie sie ausgestaltet war und wer in welchem Umfang davon profitiert, war abhängig von historisch-konkreten Kräfteverhältnissen.
Eine perspektivisch gerechtere Verteilung von Wohnraum würde eine Konzeption von Wohnungspolitik implizieren, die nicht nur punktuell für einzelne Gruppen und temporär extreme Formen von „Marktversagen“ abfedert, sondern die langfristig Wohnraum dem Markt entzieht – also dekommodifiziert. Klingt heute utopisch – aber zumindest von der Konzeption her ging der Wiener kommunale Wohnungsbau mit der dauerhaften Etablierung von „öffentlichem“ Eigentum in diese Richtung. Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern, etwa zu Deutschland, wo Bauträger staatlich subventioniert wurden, wenn sie temporär Wohnungen zu günstigeren Mieten bereitstellten. Der Erfolg der 1920er Jahre bestand aber gerade nicht nur aus umfangreichen Bautätigkeiten, sondern aus einer breiter angelegten Wohnungspolitik, in der die Stellschrauben „öffentliches Eigentum“, Mieten- und Baurecht, sowie Steuern und Förderungen systematisch dekommodifizierend und partiell umverteilend eingesetzt wurden, sodass gewinnorientierte Wohnraumproduktion unattraktiv war.
Zugegeben, der politökonomische Kontext unterscheidet sich heute drastisch von den Bedingungen der Zwischen- und Nachkriegszeit. Die seit den 1980er Jahren schrittweise Liberalisierung des Wohnungsmarktes und die in der jüngsten Dekade intensivierte Finanzialisierung haben zu einer Rekommodifizierung von Wohnen beigetragen. Zugleich sind immer mehr Menschen über ihre individualisierte (Alters)vorsorge mit widersprüchlichen Interessen in diese Inwertsetzung von Wohnraum involviert. Aber auch ein komplizierterer multiskalarer Kontext ist kein Grund angesichts neuer Gemeindewohnungen die restlichen Wohnraumsegmente nur Immobilienverwertungsinteressen zu überlassen.

Die Wohnungsfrage repolitisieren

Das Mantra „bauenbauenbauen“ war offenbar bislang der kleinste gemeinsame wohnungspolitische Nenner – die Begründungslogik: weil „Wien wächst“ steigen Nachfrage und Mieten, mehr Wohnungen würden den Markt entspannen und die Mieten senken. Der darin angenommene Automatismus kann zwar hinterfragt werden, mit dem Verweis auf neue Gemeindebauten hat dieses Mantra aber immerhin eine gewisse sozialpolitische Spezifizierung erfahren.
Die Vermutung, dass hier mit Themen sozialer Wohnungspolitik auch Standortmarketing betrieben wird, mag zunächst befremdlich wirken. Nach Jahren, in denen Wohnungsfragen entweder mit Blick auf die erodierenden Relikte des „Roten Wien“ verklärt wurden oder aber in den von der Immobilienwirtschaft bezahlten Anzeigenteilen verhandelt wurden, ist dies zugleich auch ein interessanter Gedanke. Was wäre, wenn Sozialpolitik wieder so cool wäre, dass damit politisch gepunktet werden kann – und wie müsste eine dekommodifizierende Wohnungspolitik aussehen, die mehr ist als „weniger schlimm als in München oder London“?
Der Vorteil wurde an dieser Stelle zum Nachteil. Das Argument, dass in Wien aufgrund von Gemeindebauten, Förderungen und Mietengesetz keine Probleme mit Verdrängungen und der Leistbarkeit von Wohnen existieren könnten, hat lange Zeit ernsthafte kritische Auseinandersetzungen mit stadt- und wohnungspolitischen Fragen gelähmt. Die aktuellen Diskussionen können da zumindest als Politisierungserfolg interpretiert werden – wenngleich mit umkämpfter Ausrichtung.
Jenseits kompakter Forderung nach neuen Gemeindewohnungen steckt bei Fragen nach dem „wie“ jedoch der Teufel im Detail. Dies erfordert stärker kritische Expertise und Auseinandersetzung. Wenn 120 Wohneinheiten nicht den Mythos wiederbeleben, dass in Wien aufgrund der Gemeindebauten eh alles ok sei, sondern statt dessen dazu beitragen würden, Debatten über Formen der Dekommodifizierung und das Recht auf Wohnen im engeren Sinne und das Recht auf Stadt im weiteren Sinne voranzutreiben und zu verbreitern – Fragen denkbar zu machen, die lange Jahre undenkbar waren, wäre dies zumindest ein Anfang.

Weiterlesen:
Andrej Holm (2014): Mieten Wahnsinn. Warum Wohnen immer teurer wird und wer davon profitiert. Knaur.
Kurswechsel Heft 3/2014: Wohnen.


online seit 26.05.2015 19:03:52 (Printausgabe 71)
autorIn und feedback : Bettina Köhler




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