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  GEHEIMWAFFE ÖKONOM?

Varoufakis, der neue griechische Mythos

Syriza, die Führungspartei der neuen griechischen Regierung, hat rund um den Wahlgang eine gesamteuropäische Aufmerksamkeit auf sich gezogen wie kaum eine andere wahlwerbende Kraft in einem kleinen europäischen Land. Neben allerlei Zuschreibungen und Befürchtungen über die von der Partei vertretenen Inhalte sorgte vor allem eine Ansage für Furore: die Signalisierung von wirtschaftlicher Kompetenz, indem eine Reihe von Ökonomen ins Team geholt wurde. Einer von ihnen, Yannis Varoufakis, hatte mit seiner Inszenierung als Nonkonformist im Wahlkampf gepunktet und wurde bei Regierungsantritt schließlich zum Finanzminister. Seither wird in seiner Vergangenheit gewühlt – von konservativen Kritikern, die sich von dem selbstbewussten und oppositionellen Auftreten provoziert fühlen, aber auch von Linken, die bezweifeln, dass wahrer Linksradikalismus sich mit einem Regierungsamt vereinbaren lässt.
Ein Blick auf die wirtschaftswissenschaftliche Arbeit von Varoufakis ergibt keine Hinweise auf irgendwelche Arten von Scharlatanerie, wie sie sich mitunter in Doktorarbeiten vielbeschäftigter Menschen in Politik und Führungsetagen finden lässt. Seine Arbeiten drehen sich vor allem um die Kritik orthodoxer ökonomischer Ansätze und ihre Konfrontation mit marxistischen, keynesianischen, ja auch feministischen Herausforderungen. Dass Leute mit einer solchen heterodoxen Stoßrichtung einen mathematischen Ausbildungshintergrund haben und aus dieser Perspektive die so gern mit mathematischen Methoden arbeitende herrschende Lehre der Ökonomie angreifen, hat Seltenheitswert. Bevor sich Varoufakis gesamtwirtschaftlichen Fragestellungen wie der Eurokrise zuwandte und mit gutem politischem Gespür für Allianzen gemeinsam mit Deutschlands prominentestem Keynesianer Heiner Flassbeck ein Buch gegen die herrschenden Lösungsansätze veröffentlichte, war er auf Spieltheorie spezialisiert. Dieses akademische Feld dreht sich um den Versuch, mit mathematischen Methoden Ergebnisse von Verhandlungs- und Konfliktsituationen zu erklären, vorherzusagen und zu optimieren. Dies hat im Zuge der Verhandlungen von Varoufakis und Co. mit den anderen Euroländern über die Zukunft der griechischen Schulden den Verdacht auftauchen lassen, diese Expertise sei eine Geheimwaffe des Ministers, mithilfe derer er seine AmtskollegInnen auszutricksen beabsichtige. Varoufakis sah sich schließlich genötigt, dies öffentlich zu bestreiten. Dies tat er mit dem Hinweis, dass sich aus den sterilen Überlegungen der Spieltheorie mit ihren artifiziellen Verhaltensannahmen kaum Tricks für reale politische Verhandlungen ableiten lassen.
Dass in der öffentlichen Wahrnehmung vom Ökonomen-Status auf geradezu magische Fähigkeiten geschlossen wird, gibt über die konkrete Griechenland-Debatte hinaus Aufschluss über allgemein geteilte Werthaltungen der Gegenwart. Als das von der Mehrzahl der ökonomischen Analysen zuvor noch als anhaltende Schönwetterperiode charakterisierte neue Millennium 2008 das schwerste wirtschaftliche Unwetter des letzten halben Jahrhunderts erlebte, war der Ruf der Wirtschaftswissenschaften im Keller. Verherrlichung der Marktkräfte, realitätsferne mathematische Pirouetten und engstirnige Arroganz mussten sich die Fachleute vorwerfen lassen. Informationen über ökonomische Fragen standen angesichts der großen Krise in der Öffentlichkeit hoch im Kurs, aber ihre Antworten suchte man in den Feldern Journalismus, Geschichte und Soziologie. Bücher aus diesen Disziplinen zur Krise und ihren Hintergründen wurden Bestseller, während die ÖkonomInnen als Buhmänner und -frauen dastanden.
Dies erscheint rückblickend als kurzfristiges Phänomen: Dass Syriza heute mit ökonomischer Expertise zu punkten versucht, zeigt, dass der Status von ÖkonomInnen als die ultimativen Fachleute des Kapitalismus keinen bleibenden Schaden genommen hat.
Das öffentliche Aufhorchen zeugt von der anhaltenden Überschätzung von Ökonomie-Expertise als Indiz für die ungebrochene Akzeptanz der Ökonomisierung aller gesellschaftlichen Fragen. Bei den Verhandlungen zwischen Griechenland und den anderen Euro-Staaten half es eher nicht: Varoufakis’ ökonomische Argumente vom Scheitern der Austeritätsstrategie konnten dem Standpunkt des deutschen Finanzministers und Juristen Schäuble, wonach Verträge einzuhalten seien, nichts anhaben. Denn der Glaube an die Bedeutung ökonomischer Sachkompetenz verfehlt eine zentrale Dimension gesellschaftspolitischer Konflikte wie der aktuellen Situation: Wer welche Anpassungslasten aus der Krise zu tragen hat, ist ein politischer Verteilungskampf, für dessen Ausgang volkswirtschaftliche Argumente nicht zentral sind.

online seit 01.04.2015 19:06:51 (Printausgabe 70)
autorIn und feedback : Pinguin




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