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Computer Says No

Credit Scoring als "smarte" Diskriminierung im digitalen Kapitalismus

Wenn die Beraterin in der Bank Deinen Kreditantrag abblitzen lässt wie Carol Beer in der Serie „Little Britain“ („Computer says no“), schaut sie am Bildschirm mit hoher Wahrscheinlichkeit gerade auf Deinen Credit Score. Unter Credit Scoring wird ganz allgemein die numerische Bewertung von KonsumentInnen hinsichtlich ihrer finanziellen Glaubwürdigkeit und Zahlungsfähigkeit verstanden. Ähnlich wie beim oft genannten Rating von Staaten erfolgt durch Credit Scoring eine Bewertung von Privatpersonen. Diese werden über ihr Zahlungsverhalten und verschiedene weitere Variablen statistisch erfaßt, analysiert und in gute oder schlechte Kunden unterteilt.

Das Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA/ÖAW) hat im Auftrag der Arbeiterkammer Wien (AK) eine Studie zu dieser immer stärker verbreiteten Technik durchgeführt. Die Studie analysiert das Phänomen mit Fokus auf das tägliche Massengeschäft. Neben den wesentlichen rechtlichen Rahmenbedingungen und der Vorstellung zentraler Stakeholder der österreichischen Scoringlandschaft, wird vor allem die Methodik des Scorings im Hinblick auf daraus entspringende soziale Implikationen analysiert.

Schwarze Listen vs. multidimensionale Analyse

Wie sich zeigt, haben die Verfahren des Scorings gerade durch die Digitalisierung im Zuge der letzten Jahre in ihrer sozialen und rechtlichen Eingriffsintensität einen wesentlichen Wandel erfahren. Während die bonitätsbezogene Informationssammlung über Privatpersonen und die Kontrolle der VerbraucherInnen über sogenannte „Schwarze Listen“ bereits seit den 1960er Jahren existiert, geht das Verfahren des Credit Scorings in seiner Qualität über derartige Negativdatenbanken hinaus. Statt einer eindimensionalen Betrachtung der Zahlungsmoral erfolgt eine multidimensionale Analyse sämtlicher Lebensumstände einer Person.
Die digitale Spur in Form des individuellen Zahlungsverhaltens liefert einen detailreichen Einblick in das Leben von VerbraucherInnen. Ob der aktuelle Arbeitgeber, die Höhe der Miete, oder die letzte Onlinebestellung ganz nach dem Motto „Zeige mir dein Zahlungsverhalten und ich sage dir wer du bist“ ist es der kreditgebenden Wirtschaft über derartige Datensammlungen möglich, ihre KlientInnen zu analysieren und deren Glaubwürdigkeit und Zahlungsmoral zu werten.

Ein Blick auf die internationale Scoring-Landschaft zeigt hier bedenkliche Tendenzen. So werden die Scoring-Modelle zunehmend mit externen, mitunter auch datenschutzrechtlich sensiblen Informationen angereichert die in ihrem ursprünglichen Entstehungskontext nicht für die Bonitätsbewertung gedacht waren.

Betriebsgeheimnis vs. Auskunftsrecht

Diesen Entwicklungen steht eine weitgehende Unwissenheit der VerbraucherInnen um diese Verfahren gegenüber – die oft erst dann aufmerksam werden, wenn negative Folgen akut werden. Aufgrund der bestehenden Intransparenz ist ein Dialog zwischen den VertragspartnerInnen in der Praxis oft nicht möglich. Auch die Rechtsansprüche auf Richtigstellung und Löschung der Daten versagen weitgehend.

Von Auskunfteien, Versicherungen und der kreditgebenden Wirtschaft werden in der Regel weder die verwendeten Variablen, noch die definierten Risikoklassen offengelegt. Für den einzelnen Betroffenen ist es, entgegen der rechtlichen Regelung, mitunter sogar in der Hausbank nicht möglich, den eigenen Score zu erfahren. Während der konkrete Algorithmus des Scorings dem Betriebsgeheimnis unterliegt, ist die Informations- und Auskunftspflicht über andere Aspekte der personenbezogenen Bewertung gesetzlich festgeschrieben.

Interpretation, Wahrscheinlichkeit und Negativ-Klassifizierung

Dies scheint insofern bedenklich, als dass die Vielschichtigkeit des Lebens und insbesondere künftiges finanzielles Verhalten durch statistische Analyse selektiver Parameter aus der Vergangenheit kaum angemessen beurteilt werden kann. Die verwendeten Daten sind oft alt oder haben keinen direkten Bezug zur Zahlungsfähigkeit. Den Scoringmodellen selbst unterliegen wahrscheinlichkeitstheoretische Annahmen, die keine allumfassende Interpretationshoheit für sich beanspruchen können. Wie bei jedem quantitativ-statistischen Verfahren, können im Zuge des Scorings diverse qualitative Besonderheiten der sozialen Wirklichkeit zwangsläufig nicht adäquat berücksichtigt werden. So kann die automationsunterstützte Kreditwürdigkeitsbewertung letztlich zu unrechtmäßiger Benachteiligung und einer Form von kapitalistischer Diskriminierung führen.

Strukturelle Unterlegenheit der VerbraucherInnen

Während die kreditgebende Wirtschaft die Notwendigkeit des Credit Scoring als Teil des Risikomanagements begründet und versucht die Vorhersage der Zahlungsausfallwahrscheinlichkeit zu präzisieren, schlagen Daten- und KonsumentenschützerInnen Alarm und diagnostizieren einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Selbstbestimmtheit des Privatlebens der VerbraucherInnen, welche in diesem Spiel als strukturell Schwächere der Dominanz des Kreditsystems ausgeliefert sind.

Eine adäquate Regulierung des VerbraucherInnen-Scorings sollte laut den Autoren daher zumindest die Transparenz gegenüber den Betroffenen sichern. Weiters sei über konkretere Schranken für die Anwendung derartiger Verfahren sowie die dabei verwendeten Datenarten nachzudenken. So sollte Arbeitgebern oder Vermietern jedenfalls untersagt sein, bei ihren Entscheidungen auf Scoring-Verfahren zurückzugreifen. Auch die Anwendung unterhalb einer zu bestimmenden Bagatellgrenze dient der Eingrenzung ausufernden Datensammelns und Überwachens. Letztlich geht es in der Regulierung des Scorings aber auch um die praktische Durchsetzbarkeit bereits existierender Rechtsansprüche.



online seit 20.10.2014 13:19:19 (Printausgabe 68)
autorIn und feedback : Robert Rothmann


Links zum Artikel:
epub.oeaw.ac.atLink zur Studie



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