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Das Gerücht vom Schulden-Tumor Konservative Sparefrohs und obskure Zinskritik geraten mit ihrer Schuldenphobie auf Abwege Im Herbst 2008, als das Finanzsystem vom Staat vor dem Zusammenbruch gerettet wurde, standen noch Neoliberalismus, Banken, kurzzeitig auch der Kapitalismus insgesamt im Zentrum der Kritik. Drei Jahre später hat sich zwar die Krisenstimmung nicht verzogen, aber der allgemeine Fokus auf „unverantwortliche“ staatliche Schuldenpolitik verschoben. Dass die Kosten der Krise hauptverantwortlich für den jüngsten Schuldenanstieg sind, scheint vergessen, Schulden hingegen gelten als Grundübel. Höchste Zeit also, ein paar relativierende Hinweise in Erinnerung zu rufen. Prölls Kindermärchen „Wenn heute irgendwo in Österreich ein Kind auf die Welt kommt, hat das bereits 23.942 Euro Schulden […]. Schulden fressen uns die Zukunft auf“, so der einstige Finanzminister Josef Pröll 2010. Wie sollen die armen Kinder diese Belastungen je zurückzahlen? Eine Besonderheit staatlicher Schulden ist, dass diese eigentlich niemals zurückgezahlt werden müssen. Wenn Rückzahlungen von Teilbeträgen anstehen, werden diese einfach durch Neuverschuldung gedeckt. Ein Mensch mit beschränkter Lebensdauer muss irgendwann seine Schulden zurückzahlen, der Staat hat jedoch kein absehbares Ablaufdatum, folglich kann er immer wieder umschulden. Das klappt nicht immer: Im Fall von Griechenland trifft eine steigende Verschuldung auf eine dahin dümpelnde Wirtschaft, und angesichts der Panikstimmung auf den Finanzmärkten steigen auch die Zinsen auf Neuverschuldung, und die Kreditgewährungsbereitschaft der GläubigerInnen sinkt. Das ist ein Krisenszenario. Solange eine Wirtschaft jedoch ausreichend wächst und folglich für entsprechende Steuereinnahmen sorgt, um die laufenden Zinszahlungen zu finanzieren, geht ein permanenter Schuldenstand in ansehnlicher Höhe gut. Das Pröll-Beispiel, das den Schuldenstand der Republik auf Kopfanteile für alle EinwohnerInnen umlegt, blendet etwas Wesentliches aus: Den Schulden des Staates stehen Forderungen seiner GläubigerInnen in gleicher Höhe gegenüber. Diese GläubigerInnen sind Privatpersonen sowie Fonds, Banken und Versicherungen. In Österreich (anders als etwa in Griechenland) sitzen die allermeisten davon im Inland. Rechnet man ihre Forderungen zusammen und teilt sie auf alle EinwohnerInnen auf, entsprechen diese Guthaben in etwa den Staatsschulden pro Person. Das ist zwar insofern eine unseriöse Rechnung, als nur manche Kinder von ihren Eltern Staatsschuldscheine erben werden und andere nicht. Aber das gleiche gilt für die Staatsschulden: Budgetsanierung erfolgt auch nicht, indem das Finanzministerium bei allen EinwohnerInnen einen gleich hohen Betrag absammelt, wie das die Pröll-Rechnung unterstellt, sondern durch bestimmte Ausgabensenkungen oder Steuererhöhungen, die jeweils manche mehr treffen als andere. Die nächste Generation erbt also sowohl die Schulden als auch die offenen Forderungen an den Staat. Außerdem kommt sie im günstigen Fall in den Genuss all der Sachen, die mit diesen Schulden finanziert wurden: Schulen, Straßen, Bildung etc. Ob Schulden wirtschaftlich gut oder schlecht sind, hängt also von ihrem Verwendungszweck ab. Es ist also weniger das Problem, dass Griechenland Schulden gemacht hat, als vielmehr, dass das Geld in den Ankauf deutscher Panzer statt in den Aufbau zukunftsträchtiger Produktionsstrukturen geflossen ist. Die wirre Welt der Zinskritik Während die konservative Schuldenpanik sich auf Staatsschulden einschießt, um Sozialkürzungen und Privatisierungen durchzusetzen, verspürt noch eine andere Schuldenpanik-Fraktion durch die Krise Aufwind: die „Zinskritik“. Der Ahnherr dieser vorwiegend im Internet florierenden Außenseiter-Wirtschaftstheorie ist der deutsche Kaufmann Silvio Gesell, der in den 1920er Jahren im Zins und in den Schulden das zentrale Übel der Wirtschaft gefunden zu haben glaubte. Die Konfliktachsen Kapital/Arbeit oder reich/arm werden in der Zinskritik durch das Gläubiger/Schuldner-Verhältnis ersetzt: KreditgeberInnen „erpressen“ von ihren SchuldnerInnen Zinsen, und das sei Ausbeutung. Stattdessen soll ein anderes Geldsystem (Abschaffung von Zinsen, Einführung von Regionalwährungen) aus der Marktwirtschaft ein Idyll machen. Der Zins sei ein „Tumor, der dem sozialen Organismus die Lebenskräfte entzieht“, so der viel zitierte deutsche Zinskritiker Bernd Senf. Neben der haarsträubenden Formulierung ist auch seine Argumentation dubios: Das „Zinseszinssystem“ (also die Tatsache, dass die Zinsen auf Sparguthaben bei Nichtbehebung zu immer größeren Sparguthaben führen, die dann wieder verzinst werden) führe zu einem „exponentiellen Wachstum“ der Guthaben. Um diese Zinsen zu erwirtschaften, müssten ständig mehr Kredite vergeben – also anderswo Schulden produziert – werden, und die SchuldnerInnen wie SklavInnen im Dienste der GläubigerInnen immer mehr Zinsen zahlen. Irgendwann würde das System unter der wachsenden Schuldenlast zusammenbrechen. Der NS-Begriff „Schuldknechtschaft“ fällt bei Senf zwar nicht, aber die Vorstellung geht in die Richtung. Weil die Vermögen (dank „Zinseszinssystem“) wachsen, entstünde ein Wachstumsdruck auf die Wirtschaft, um die geforderten Zinsen auf die steigende Schuldlast hereinzubringen. Öko-bewegte WachstumskritikerInnen glauben hier eine Erklärung für den Wachstumszwang unseres Wirtschaftssystems gefunden zu haben, und auch für die aktuelle Staatsschuldenkrise preisen Senf und Co. ihre Zusammenbruchsprognosen als Erklärung an. Beides beruht jedoch auf Missverständnissen. Erstens wachsen Vermögen nicht in einem von der restlichen Wirtschaft abgekoppelten Finanzsystem von selbst aufgrund eines ominösen Zinseszinseffekts, der aus kleinen geduldigen Sparefrohs irgendwann MillionärInnen macht. Sondern Reichtum entsteht und wächst hauptsächlich aufgrund von Erbschaften, Anteilen an Unternehmensgewinnen, Börsengeschäften und Rücklagen aus hohen Einkommen. Durch eine Abschaffung des Zinses würden diese Quellen wachsender Ungleichheit nicht beseitigt. Die Vermögen wachsen ja auch munter weiter, obwohl der Eckzinssatz aktuell unter der Inflationsrate liegt. Zweitens gibt es zwar verantwortungslose Kreditvergabe (etwa die berüchtigten Subprime-Kredite in den USA), und manche armen Schweine sitzen mit ihrer Handyrechnung in der Schuldenfalle, aber grosso modo wird niemand gezwungen, Schulden zu machen. SchuldnerInnen sind auch nicht vorwiegend die Armen (im Gegenteil: Wer einen Kredit will, muss in der Regel Sicherheiten zu bieten haben). Während im Mittelalter ein Bauer, dem die Ernte ausfiel, Kredite vom örtlichen Geldverleiher gegen Wucherzinsen quasi nehmen musste, um über den Winter zu kommen, und aus der Schuldenfalle vielleicht niemals mehr herauskam, weil es in einer Feudalwirtschaft wenig Möglichkeit zum Geldverdienen gibt, ist es im Kapitalismus anders: Hier nehmen Unternehmen aktiv Schulden auf, um damit Geld zu verdienen. Mit Krediten bezahlen sie Investitionen, in der Hoffnung, dass diese Gewinn abwerfen. Aus diesem Gewinn zahlen sie dann einen Anteil als Zinsen (und wenn der Gewinn ausbleibt, gehen sie pleite – mit oder ohne Zinsen). Diese Gewinnorientierung ist der zentrale Motor des Kapitalismus und seiner Wachstumstendenz. Schulden sind das Mittel dazu – nicht seine Ursache. Auch Privathaushalte nehmen freiwillig Schulden auf – eine Möglichkeit, eigenes Einkommen aus der Zukunft schon jetzt zu verwenden (in Österreich vorwiegend zum Häuslbauen) –, ebenso der Staat. Wenn es zu wenig InteressentInnen für Kredite gibt, zeigt sich schnell, dass das „Zinseszinssystem“ aus sich heraus keine fetten Zinsen erzwingen kann: Die Zinsen müssen dann einfach sinken. Kapitalismus-immanente Krisentendenzen, globale Ungleichgewichte, unregulierte Finanzmärkte – es gibt viele richtige Teilerklärungen der jüngsten Krise. Die Zinskritik gehört nicht dazu. online seit 28.10.2011 13:04:28 (Printausgabe 57) autorIn und feedback : Pinguin |
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