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Geschichte der „Einzelfallisierung“

Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung im Praxistest

Dass der Diskurs von individueller Leistung und Erfolg mit seiner Entsprechung im Negativen – der/die Einzelne ist an seinem/ihrem Misserfolg selbst schuld – insbesondere im sozialen Bereich zunehmend wirkmächtig wird, kann als bekannt vorausgesetzt werden. Dass sich dies zunehmend nicht nur in der administrativen Praxis durchsetzt, sondern auch in der Gesetzgebung Niederschlag findet, ist auch nicht unbedingt neu, aber um einiges besorgniserregender. Zumal individuelle Bedürftigkeit immer zuerst im sozialen Nahfeld (Stichwort LebenspartnerInnen, WGs) aufgefangen werden muss, bevor die gesetzlichen sozialen Netze greifen. Aber der Reihe nach.

DURCH DIE MÜHLEN DER ÄMTER

Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS) ist nun in fast allen Bundesländern in Kraft (außer Oberösterreich), im Wesentlichen als eine Reformierung der Sozialhilfegesetze. Die offiziell vorgegebenen grundsätzlichen Ziele, eine bundesweite Vereinheitlichung der Gesetzeslagen im Sinne der Festlegung von Mindestbestimmungen, können spätestens seit dem Zeitpunkt als gescheitert angesehen werden, als das steirische Mindestsicherungsgesetz abgesegnet und darin die Verwandtschaftszuständigkeit beibehalten wurde. Das Ziel der Armutsbekämpfung hatte sich zuvor ja schon erledigt, nachdem die ursprünglich geplante 14malige auf eine 12malige Auszahlung reduziert worden war. Tatsächlich übrig blieb die Umorientierung vom sozialen Netz für Bedürftige auf die Unterstützung der „Arbeitswilligkeit“ bzw. die zumindest vorüber- gehend wirksame Absenkung der sozialen Zugangsschwellen. Ausdruck davon ist nicht zuletzt die wesentlich höhere Anzahl an AntragstellerInnen, ohne dass sich die Armutssituation im Land signifikant geändert hätte.

Beides hat natürlich Konsequenzen für die Praxis der BMS. In Kombination mit der kleinteilig föderalen Situation in Österreich und dem allgemeinen Sparwahn (im Speziellen mit dem Abbau von „Betreuungs“-Kapazitäten) sind diese Konsequenzen fatal. Das gilt zunächst für all jene, die auf die BMS angewiesen sind. Das beginnt bei der Antragstellung (Wo? Was brauche ich dazu?), ins- besondere wenn einzelne BetreuerInnen eine BMS-Antragstellungs-Pflicht beim AMS behaupten (Immer direkt einreichen! Ein Umweg über andere Institutionen führt derzeit in der Regel zu Verzögerungen und Komplikationen). Enden tut es schließlich bei der Zwickmühle zwischen Sozialamt und AMS: Bei Ersterem ist jede kleine Änderung der Einkommenssituation mit Zeitaufwand und Nervenverschleiß verbunden; bei Letzterem bedeutet jede Arbeitsaufnahme einen Gewinn an Position und Zeit

bis zur Zuweisung der nächsten Maßnahme. Bei der BMS ist es ratsam, möglichst so lange durchgehend drinnen zu bleiben, bis wirklich längere Zeiten der Nichtinanspruchnahme ab- sehbar anstehen, allein schon, weil der Entscheid über den Antrag dauert (drei Monate) – und jede Abrechnung auch (mitunter sogar länger). Das AMS hingegen ist umso „freundlicher“ zu Arbeitssuchenden, je mehr „Arbeitszeiten“ – und seien es Praktika, gestützte Jobs oder geringfügige Beschäftigungen – gesammelt werden.

ALLES NEU MACHT DIE BMS?

Diese Unausgewogenheit ändert sich nun aber durch die Umorientierung der Sozialhilfe auf das Kriterium der „Arbeitswilligkeit“, verbunden mit der vorgesehenen Doppelung der AMS-Sperren durch BMS-Sperren. Das hat zur Folge, dass das Sozialamt trotz aller Ressourcen-Probleme mehr Arbeit der BezieherInnen als positiv akzeptieren wird müssen. Tatsächlich geht es aber in Richtung Zwang. So formuliert die Leiterin der Mindestsicherungsabteilung Wien als Antwort auf einen längeren Fragekatalog ganz salopp: „Beziehe- rInnen von Mindestsicherung sind zum Einsatz der Arbeitskraft und zur Mitwirkung an arbeitsintegrativen Maßnahmen verpflichtet.“ Dass es (noch) keine Arbeitsverpflichtung gibt, sondern diese an der Bereitschaft zur Arbeitssuche gemessen wird, bleibt in dieser Antwort wohl nicht ganz zufällig unerwähnt.

Welche Form diese Arbeit in sozialversicherungstechnischer Hinsicht haben kann, ist aber eine „Einzelfallentscheidung“. Während das AMS seit Jahren einem permanenten Aushandlungsprozess um die Bedeutung „untypischer“ Jobkonstellationen unterliegt (nicht, dass das AMS damit umgehen könnte, aber immerhin gibt es einen solchen Prozess), steht die BMS hier am Punkt Null. Fragen nach der Kompatibilität von BMS und geringfügiger Beschäftigung oder gar einer Pflichtversicherung in der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft wer- den als Einzelfälle definiert, die unmittelbare Praxis wird mithin zur Einzelentscheidung, de facto also zur Willkür. Verstärkt wird dies durch die Einführung der Kombilohnvarianten bei längerem BMS-Bezug ...

Klar bleibt: Ein besseres Leben ist mit der BMS nicht zu haben: Dafür bräuchte es zu- allererst die Entkoppelung von Arbeit und Einkommen!

online seit 09.06.2011 19:25:43 (Printausgabe 54)
autorIn und feedback : Tommi Settergren




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