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  Soundpolitisierung

Ausweitung der Kampfzone

Herbst 2000. Mich verschlug es von Schweden zurück nach Österreich, nach Wien zum Studium. Da kam einiges zusammen: Eine neue Stadt mit vielen Möglichkeiten, gleichzeitig Schwarz-Blau und Studiengebühren. Die politische Situation war zwar frustrierend, aber für mich immer noch geprägt von einem Gefühl des Aufbruchs, auch des Umbruchs. Neugierig und motiviert, zugleich auch angestachelt und angepisst von der politischen Lage, habe ich mich damals auf die Suche nach „meinen“ Orten und nach Gleichgesinnten gemacht. Gefunden habe ich einige, in politischen Grassroots-Bewegungen, musikalisch-kulturellen Subkultursümpfen und vor allem auch auf der Straße – durch die öffentliche Raumnahme der ersteren beiden. Eine besondere Ausformung des Farbe-Bekennens im öffentlichen Raum bei gleichzeitigem Zelebrieren von Musikkultur fand ich in Volkstanz, einem Zusammenschluss gesellschaftskritischer Club- und Popkulturaktivistinnen, der anfangs wöchentlich zusätzlich zu „normalen“ Demos durch die Straßen zog. Das dazugehörige T-Shirt mit der Aufschrift „Electronic Resistance“ und tanzend protestierenden Menschen bedruckt halte ich immer noch in Ehren. Es war und ist etwas besonderes, dass elektronische Musik – Musik ohne inhaltsschwere Texte oder radikale Bühnenperformances – nicht nur mit Party und Hedonismus in Verbindung gebracht wird und dabei auch noch eine größere Bewegung mit sich bringt. Mein naiver Blick damals: alles ist gut, Wien ist gut. Jetzt interessiert mich, wie es eigentlich dazu kam und wo dieser politische Spirit geblieben ist.

Kritischer Hedonismus als Protest

Zu dem Unbehagen mit der politischen Großwetterlage Anfang 2000 mischte sich bei einigen Menschen eine Unzufriedenheit mit der klassischen Demo als Form des Protests bzw. der Intervention. So haben sich Leute aus der Kulturlinken, aus der aufstrebender Kreativwirtschaft (damals noch eine positive besetzte Blase), Musikbusiness Menschen mit linksliberaler Position sowie kreative und kulturinteressierte Politlinke zusammengetan, um den „Dancefloor-Flügel“ der Widerstandsbewegung auf die Straße zu bringen. Treibende Kräfte waren Leute aus dem Umfeld der Akademie der Bildenden Künste und der Public Netbase, wie etwa Tanya Bednar oder Konrad Becker. Ziel war mit der „politischen Street-Party“ den „kritischen Hedonismus“ als Utopie anzustreben (im Gegensatz zum adornoschen Kulturpessimismus), Pop mit Widerstand und emanzipativen Forderungen zu verschalten, Tanzen als politische Haltung und Bewegung zu verstehen, im Umkehrschluss sollte auch die Clubszene politisiert werden. Ab Februar 2000 wurde ein dreiviertel Jahr Volkstanz mit Konvois aus mobilen Soundsystemen und Massen an politisch und musikalisch Bewegten zelebriert, im Winter wurde die Sound Politisierung in Clubs verlegt.(1) In den folgenden beiden Jahren gab es noch einzelne Veranstaltungen, aber es war die Luft draußen, wie aus so vielen damals, ausgeleiert wie mein geliebtes Electronic Resistance T-Shirt.

Kleine Schritte, kleine Inseln

Was ist nun geblieben von diesem Spirit? Hat er sich fortgesponnen, zurück in die Club- und Feiergesellschaften? Oder ist er doch wieder dem Trugschluss gewichen, dass ideologische Haltung und Respekt nicht mit Unterhaltung einhergehen können?
Vieles hat sich wieder vereinzelt und in die jeweilige Blase weitergesponnen. Manche waren ohnehin nur dabei, weil es eben zum guten Ton gehörte gegen Schwarz-Blau aufzutreten. Etwas vom Gefühl der politischen Street-Party war noch bei den Mayday-Paraden zu spüren. Einigen Lokalen war es wichtig, dass Veranstaltungen mit einer emanzipatorischen, gesellschaftskritischen Haltung Raum bekommen (rhiz, fluc, Badeschiff). Manche kleinere Initiativen haben eigene Orte ins Leben gerufen in denen linke, emanzipatorische, feministische, antirassistische und/oder queere Dancefloor-Crowds Platz haben (Einbaumöbel, V.e.n.s.t.e.r, Marea Alta). Viel ist in Communities passiert, die ohnehin schon politisiert waren, queer-feministische Raumnahme am Dancefloor, hinter dem DJ-Pult, auf der Bühne und respektvolle Feierkultur, etwa punktuell durch Ladyfeste und Rampenfiber oder kontinuierlich zum Beispiel durch Veranstaltungen von female:pressure, Ladyshave und Quote. Viel Enthusiasmus und Engagement wurde hineingesteckt, Lob und gute Stimmung geerntet. Gleichzeitig wurde Sisyphusarbeit: Für wenig Kohle, (sich) erklären müssen, warum manche Bild-, Körper-, Sprachpolitiken doof, andere wichtig sind. Gegen Wände reden, manchmal scheitern oder ermüden, denn diese Raumnahme ist auch ein Ankämpfen gegen Alt-Eingesessene(s). In kleinen Schritten wurde die Tanzfläche politisiert, aber oft doch nur innerhalb einer Insel.

Und es bewegt sich doch

2013 waren wieder einmal Nationalratswahlen und das positive Abschneiden der FPÖ Anstoß, den Club – abseits der oben genannten Räume – nicht mehr als Ideologiebefreite Zone zu sehen. Das Facebookposting der Grellen Forelle, dass sie nun keine FPÖ-Wähler_innen mehr in den Club lassen wollen, hat für viel Diskussion gesorgt, aber auch zu einem Nachdenken über (vergangene) politisiertere Club-Szenen. Daraus entspann sich die Initiative Club Courage, der es darum geht Einschlüsse statt Ausschlüsse zu produzieren. Und die in unregelmäßigen Veranstaltungen mit Diskursen nach Lösungen für Themen wie Türpolitik, Inklusion/Exklusion, Aggressionspotenzial, Drogen, Gagen, Gendergap streben, um anders gelebter Clubkultur zu ermöglichen (siehe Interview MALMOE #69). Gleichzeitig setzten seit neuestem einzelne Lokalbetreiber_innen Interventionen, um (sexualisierten) Übergriffen und Diskriminierung Vorschub zu leisten. Tanz als Protest Gegenüber den herrschenden Verhältnissen und als Solidaritätsbewegung wird zunehmend wiederentdeckt (Refugees Welcome in der Grellen Forelle, Europa in der Arena). Aktuell haben sich außerdem kommerzielle, wie subkulturelle Lokale und Veranstalter_innen zusammengetan um die „Wiener Clubcharta 2030“ mit wirtschaftlichen und (gesellschafts-)politischen Anliegen zu formulieren (mehr dazu auf S. 17). Eine größere Veränderung bahnt sich an. Zu hoffen bleibt, dass all dies nicht nur Lippenbekenntnisse und kurzfristige Interventionen bleiben.

Es geht um viel, das ist im vergangenen Jahr bei Diskussionen rund um Hymnen oder Flüchtlinge deutlich geworden, Gräben tun sich auf, es geht darum in welche Richtung sich unsere Gesellschaft weiterentwickelt. Diese Entwicklung macht auch vor den Orten an denen wir uns vermeintlich nur aus eskapistischen Gründen zurückziehen, nicht halt. Eine andere Kultur- und Clubpolitik ist nötig und möglich!

(1) Danke an Günther Hopfgartner, der damals dabei war und mir Hintergrund Infos lieferte. Auf www.volkstanz.net finden sich außerdem noch Manifeste, Mission-Statments und Veranstaltungskalender von damals.

online seit 16.10.2015 11:34:59 (Printausgabe 72)
autorIn und feedback : Rosa Danner




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