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  Was die Demokratie schützt

Nach Terroranschlägen folgt der Ruf nach mehr Überwachung wie das Amen in der Kirche, so auch nach den Anschlägen von Paris. Verhindert hätte eine größere Datenmenge die Anschläge dennoch nicht – die Attentäter waren amtsbekannt.

Der Ablauf ist bekannt: Auf Terroranschläge reagieren Politikerinnen und Politiker mit dem Versuch, Überwachung zu verschärfen. Alles, was technisch möglich ist, soll getan werden. Damit könnten Terroranschläge verhindert und schwere Verbrechen aufgeklärt werden. Damit würden Verbrecher eingeschüchtert und das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen steigt. Dass dabei unsere Bürgerrechte eingeschränkt werden, müsse in Kauf genommen werden. Das war mit bei der Vorratsdatenspeicherung nach den Anschlägen von Madrid und London so und wiederholt sich jetzt mit dem Staatsschutzgesetz nach den Anschlägen von Paris.

Reinhold Lopatka, der ÖVP-Klubobmann, hat das Rennen nach den grausamen Anschlägen von Paris gewonnen. Er hat als erster auf einen schnellen Beschluss des Polizeilichen Staatsschutzgesetzes gedrängt. Er hat getwittert: „Leider schränkt der notwendige Kampf gegen den Terror auch unsere Bürgerrechte ein. Wir müssen aber alles tun, um weitere Tote zu verhindern.“ Twitter Post Reinhold Lopatka Die Grundrechte Aller sollen beschnitten werden, um die Verbrechen Weniger zu verhindern. Damit spielt die Politik den Terroristen in die Hände.

Das Europäische Höchstgericht hat dazu eine eindeutige Meinung. In einem richtungsweisenden Urteil hat das Höchstgericht im Jahr 2014 erklärt, dass so etwas nicht verhältnismäßig sei. In dem Urteil ging es im engeren Sinn um die Vorratsdatenspeicherung, also die anlasslose Speicherung aller Daten, wer über Telekommunikation mit wem, wo, wann und wie oft kommuniziert. Die EU-Richtlinie für die Vorratsdatenspeicherung wurde für ungültig erklärt.

Im weiteren Sinn ist dieses Urteil aber die Richtschnur für die Bewertung aller ähnlich gelagerten Gesetze. Der EuGH sieht in der Vorratsdatenspeicherung „einen besonders schwerwiegenden Eingriff […] in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten.“ Und weiter: „Der Gerichtshof kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass der Unionsgesetzgeber [...] die Grenzen überschritten hat, die er zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einhalten musste.“

Erstmals in der Geschichte der Europäischen Union wurde ein EU-Gesetz komplett gekippt. Diese war im Schnellverfahren zustande gekommen. Der Anlass waren die Anschläge von Madrid und London in den Jahren davor. Österreich hatte eine Schlüsselrolle bei der Abschaffung. Nach einer Bürgerinitiative des AKVorrat (Arbeitskreis Vorratsdaten Österreich) mit 106.067 Unterschriften, brachte der Verein gemeinsam mit 11.141 Mitklägerinnen und Mitklägern eine Klage beim Österreichischen Verfassungsgerichtshof ein. Dieser reichte sie an den EuGH weiter, der schließlich sehr eindeutig entschieden hat.

Überwachungs-Gesamtrechnung

Statt der reflexartigen Ausweitung von Überwachungsbefugnissen nach Terroranschlägen braucht es eine Rückkehr zu einer faktenbasierten Sicherheitspolitik. Zuviel Überwachung ist schädlich für eine demokratische Gesellschaft, deshalb braucht es einen neuen Ansatz in der Sicherheitspolitik.

Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit von Überwachung wäre leicht zu beantworten. Im Jahr 2010 machte der deutsche Rechtswissenschaftler Alexander Roßnagel im Zusammenhang mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts einen interessanten Vorschlag: Eine Überwachungs-Gesamtrechnung müsse angestellt werden. Erst eine Gesamtschau aller Überwachungsmaßnahmen, eine Evaluierung ihrer Wirksamkeit und eine Gesamtbewertung kann Antwortansätze hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit liefern. Der AKVorrat hat diesen Vorschlag aufgegriffen und arbeitet seit Anfang 2015 am Projekt HEAT, dem Handlungskatalog zur Evaluierung der Anti-Terror-Gesetze. Er wird Ende des Jahres vorliegen.

Staatsschutzgesetz würde bei Evaluierung negativ abschließen

Im April dieses Jahres überraschte das Innenministerium mit einem Vorschlag für ein Polizeiliches Staatschutzgesetz, der eine Evaluierung nach HEAT nicht positiv bestanden hätte. Schon in der Begutachtungsphase hat es massive Kritik an dem Entwurf gehagelt. Der AKVorrat hat diese auf 79 Seiten detailliert argumentiert. Amnesty International, die Bischofskonferenz, Gewerkschaften, Wirtschafts- und Arbeiterkammer und auch die Richtervereinigung, Ärzte- und Anwaltsvereinigungen haben massive Bedenken formuliert. Gebracht hat das erst nicht viel. Der Ministerratsentwurf, der vor der Sommerpause vorgelegt worden ist, hat nur geringfügige Verbesserungen gebracht. Der AKVorrat hat daher die Kampagne www.staatsschutz.at organisiert, die mittlerweile von 20.000 Menschen und zahlreichen zivilgesellschaftlichen Institutionen unterstützt wird. So ist es gelungen, die Beschlussfassung im Parlament schon zwei Mal zu verhindern. Nach langen Verhandlungen haben SPÖ und ÖVP einen Kompromissvorschlag präsentiert, der etliche Verbesserungen bringt: Etwa beim Rechtsschutz oder bei der Zuständigkeit der Behörden. Der Staatsschutz soll nun nicht mehr bei neun Landesämtern und einer zentralen Behörde liegen, sondern zentral koordiniert werden. Viele Kritikpunkte, etwa die extrem langen Speicherfristen für erfasste Daten und der geplante Austausch der Informationen mit ausländischen Geheimdiensten sind nicht berücksichtigt worden. Auch beim geplanten Einsatz von bezahlten V-Leuten gibt es keine Änderungen.

Irrationaler Aktionismus

Das Gesetz wird Österreich vermutlich nicht sicherer machen. Die Anschläge von Paris konnten trotz sehr weitreichender Überwachungsbefugnisse und 12monatiger Vorratsdatenspeicherung in Frankreich nicht verhindert werden. Die Täter waren den Behörden bereits bekannt, eine anlasslose Speicherung hätte es also gar nicht gebraucht. Gehandelt haben die Behörden trotzdem nicht. Der mutmaßliche Drahtzieher der Anschläge hat seine Pläne in einem Interview schon im Februar dieses Jahres offen dargelegt. Für das Lesen von Zeitungen und Magazinen braucht es keine Überwachungsbefugnisse. Wie der ehemalige technische Direktor der NSA William Binney gesagt hat, die Geheimdienste ertrinken in Daten und werden immer handlungsunfähiger. Der Heuberg ist zu groß.

Schaden für die Demokratie

Terrorismus ist ein Angriff auf die Demokratie und unsere Freiheit. Wer darauf mit der Einschränkung von Freiheiten reagiert, erweist Terroristen nur einen Dienst. Keine Frage: Es braucht gute und gezielte Ermittlungen, um Terroranschläge zu verhindern und aufzuklären. Und es braucht Ermittlungsmethoden, die den technischen Gegebenheiten entsprechen. Noch mehr braucht es allerdings Strategien zur Terrorprävention. Und die liegen nicht in Repression.

spenden.akvorrat.at

staatsschutz.at

akvorrat.at


online seit 26.01.2016 18:37:55 (Printausgabe 73)
autorIn und feedback : Werner Reiter und Thomas Lohninger, AKVorrat


Links zum Artikel:
www.MALMOE.org/artikel/regieren/3095Auf dem Weg zum Polizeistaat von rechtsinfokollektiv.at
www.MALMOE.org/artikel/regieren/3094Wie schütze ich mich? von www.akvorrat.at



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