menueleiste1
home archiv suche messageboard abo hier gibts malmoe feedback alltag verdienen regieren widersprechen funktionieren tanzen erlebnispark
  Mit dem Feuer spielen im Nahen Osten

Ungebrochener Kurdenhass und Affäre mit dem Dschihadismus

Die türkische Historikerin Maya Arakon bringt es auf den Punkt: „Die türkische Regierung kann keine Terroranschläge verurteilen, wenn sie gleichzeitig den Islamischen Staat auf dem eigenen Territorium unterstützt“, kommentierte sie die Kondolenz-Botschaften der türkischen Regierung nach dem terroristischen Anschlag in Paris. Bei den Ermittlungen der Hintergründe stehen momentan zwar Dschihadisten aus Europa als Täter im Vordergrund, die Drahtzieher operierten jedoch mit Hilfe eines ungehinderten Reiseverkehrs zwischen Syrien, der Türkei und Europa.

Die türkische Opposition muss momentan hilflos zuschauen, wie alle perfiden Ränke der Regierung „für Gerechtigkeit und Fortschritt“ (AKP) aufgehen, ohne nennenswerte außenpolitische Konsequenzen nach sich zu ziehen. Lahm hatte die EU in ihrem Fortschrittsbericht zur Türkei nach den Parlamentswahlen am 1. November festgestellt, es habe unstatthafte Manipulationen gegeben. Spätestens nach dem Besuch von ­Angela Merkel in Ankara erscheint das europäische Verhältnis zur Türkei widersprüchlich, wenn nicht gar bigott. Die momentane Flüchtlingskrise hängt direkt mit den Machtkämpfen in der Region zusammen.

Die Kurdenproblematik und der Wunsch von Präsident Erdoğan, ein Präsidialsystem mit internationaler Billigung einzurichten, haben zu einem von der Türkei angeheizten unheilvollen Stellvertreterkrieg zwischen Dschihadisten und KurdInnen geführt. Je mehr Anschläge es gibt, desto mehr Verständnis erhält Ankara aus Washington und Brüssel für eine rigide, angebliche „Anti-Terror-Politik“. Die momentanen Terroreskalationen stehen damit in einem Zusammenhang. Die Türkei beteiligt sich offiziell an der Allianz gegen den IS. Gleichzeitig bekämpft das türkische Militär konkret nur die KurdInnen. Bekannte Dschihadisten pendeln zwischen Syrien und der Türkei und sprengen sich taktisch günstig immer in den Reihen der pro-kurdischen Opposition in die Luft.

Anti-Terror-Allianz für und gegen wen?

Eine Analyse der Ereignisse nach den ersten Parlamentswahlen im Juni sowie dem Scheitern einer Regierungsbildung helfen, die Hintergründe zu verstehen. Die Eskalation der Gewalt folgte einem Anschlag in Suruç, der am 20. Juli vierunddreißig Menschen in den Tod riss. Dieser Vorfall diente der Türkei zu einer auf die internationale Öffentlichkeit gemünzte Demonstration, den Islamischen Staat, dem das Attentat zugeschrieben wurde, wirksam bekämpfen zu wollen. Im Anschluss begann die türkische Luftwaffe, innerhalb der internationalen Anti-Terror-Allianz fast ausschließlich Bombenangriffe auf PKK-Stellungen im Nordirak zu fliegen und brach somit unangekündigt einen seit Jahren sich hinschleppenden Friedensprozess mit den KurdInnen ab. Die HDP wird trotz einer stringenten Friedenspolitik systematisch diskreditiert, gegen die Parteispitze ermittelt die Staatsanwaltschaft. Schon der Versuch einer Delegation Anfang September das unter Ausgangssperre stehende Cizre, eine Stadt nahe der syrischen und der irakischen Grenze, zu besuchen, wurde unterbunden. Momentan herrschen in Nusaybin an der Grenze zu Syrien die gleichen Bedingungen wie noch bis kurz vor den Wahlen in Cizre. Ausgangssperre, patrouillierende Panzerfahrzeuge. Eine schwangere Frau, Mutter von fünf Kindern, wurde am 20. November auf ihrer Haustürschwelle erschossen. Eine Delegation der HDP wurde zwei Tage später mit Tränengas-Attacken daran gehindert, dort Gespräche zu führen.

Ein verlässlicher Partner

Die türkische Regierung steckt in einer Zwickmühle. Sie konnte nicht verschleiern, dass die Selbstmordattentäter von Ankara, die am 10. Oktober über 100 Oppositionelle bei einer Friedensdemo in den Tod rissen, bekannte türkische Dschihadisten waren, die von ihren eigenen Angehörigen im Vorfeld als IS-Terroristen angezeigt worden waren und die die türkischen Sicherheitskräfte unbehelligt zwischen Syrien und der Türkei hin– und herpendeln ließen. Selbst der früher regierungsnahe Kolumnist Cevdet Candar schrieb empört, der Kurdenhass der Regierung übersteige ihr Vermögen, die dschihadistische Gefahr einzuschätzen. Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu paraphrasierte den Zusammenhang nach den Anschlägen von Ankara noch treffender. Der Unterschied zwischen dem Islamverständnis des IS und der AKP betrüge nicht 180, sondern 360 Grad, kolportierte er ungewollt in einer verwirrten Sekunde.

Trotz völlig anderer Prognosen erreichte die AKP am 1. November 49,5 Prozent der Wählerstimmen. Wahldelegationen stellten aufgrund der Destabilisierungen in den Kurdengebieten dort zwar unfaire Wahlbedingungen fest, ein großer Wahlbetrug konnte aber nicht nachgewiesen werden. Ausgeschlossen werden kann er allerdings auch nicht. Vor allem die Auszählung der Stimmen im Ausland und die zentralen Hochrechnungsmechanismen sind letztendlich von außen nicht kontrollierbar, die Instrumentarien der Demokratie kontrolliert die AKP allein. Der Destabilisierungskurs hat Ankara bislang leider den Vorteil verschafft – ähnlich wie Damaskus in Syrien – im Ausland als verlässlichster Partner zu wirken, obwohl innen- und regionalpolitisch gerade das Gegenteil der Fall ist.


online seit 07.12.2015 12:49:53 (Printausgabe 73)
autorIn und feedback : Sabine Küper-Büsch




Für einen queerfeministischen Antifaschismus

Fragen von Geschlechterverhältnissen und Sexualität sind zentral für Autoritarismus und Faschisierung, doch noch immer Randthemen im antifaschistischen Aktivismus.
[02.10.2018,Einige Antifaschist*innen]


Regierungsspitzen

London - Athen - Salzburg
(MALMOE #84)
[01.10.2018,Redaktion]


Özil, Merkel, Erdoğan, Zirngast und Kneissl

Das Verhältnis Europas zur Türkei ist schlecht. Ein Überblick über die Beziehungskrisen eines heißen Sommers.
[30.09.2018,Frank Jödicke]


die vorigen 3 Einträge ...
die nächsten 3 Einträge ...
 
menueleiste2
impressum kontakt about malmoe newsletter links mediadaten