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Wahlbeobachtung in Wan „Wenn die AKP nicht regiert, fahren wieder weiße Toros durch Wan“ - Ein Bericht von der Wahlbeobachtung im November 2015 in Wan – Nordkurdistan/Osttürkei Aus Angst vor Wahlbetrug in den kurdischen Gebieten der Türkei hat die Kurdische Partei der Völker (HDP) über die kurdische Zentrale für Öffentlichkeitsarbeit Civaka Azad zu den Neuwahlen im November internationale Wahlbeobachtungsdelegationen zusammengestellt. Während ich beim ersten Wahlgang im Juni nicht anwesend war, folgte ich im November dem Aufruf der HDP und Civaka Azad. Als Teil einer 21-köpfigen Gruppe beobachtete ich in Wan, im Osten der Türkei bzw. in Nordkurdistan die Wahlen. Wan, hauptsächlich durch den Wan-See bekannt, ist die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, in der rund 1,3 Millionen Einwohner*innen leben, die sich hauptsächlich als Kurd*innen bezeichnen. Um am Wahltag in mein Einsatzgebiet nach Bahçesaray, einem 110 Kilometer vom Zentrum entfernten Distrikt in den kurdischen Bergen, zu kommen, sicherte uns unser Begleiter Murat das beste Auto. Vor uns lag eine zweistündige Fahrt über bereits Anfang November verschneite Straßen. In Bahçesaray leben 16.800 Menschen, davon sind etwa 6000 wahlberechtigt. In dem weitläufigen Distrikt besuchten wir 15 der insgesamt 36 Wahllokale, typischerweise in Schulen untergebracht, und konnten bei zwei Auszählungen dabei sein. Behindert hat uns, bis auf eine längere Diskussion mit einer Gruppe von Soldaten, niemand. Vielmehr begrüßten die Wahlvorsteher*innen sowie Wähler*innen unsere Anwesenheit. Auch gab es für uns keinen Hinweis auf einen systematischen Wahlbetrug. Auffällig und aufdringlich war allerdings die omnipräsente Staatsgewalt: in Form eines ganzen Sammelsuriums an bewaffneten Kräften, von Polizisten über Korucus, eine von der Regierung eingesetzte Bürgerwehr, bis hin zu Soldaten, die mit Maschinengewehren am Eingang jeder Schule das Empfangskomitee bildeten. Dass diese uns in den Wahlraum folgten oder wie im Falle der Halk-Eğıtim-Merkezi-Schule während der Auszählung anwesend waren, war keine Ausnahme. Das ist nur rechtmäßig, sofern sie für die Sicherheit der Wahlen garantieren und von einem Wahlvorstand hineingebeten werden, was nicht der Fall war und für sichtliche Verärgerung bei den Wähler*innen sorgte. Allgegenwärtige Militärpräsenz Um dies einzuschätzen, lohnt es sich weiter auszuholen. Bereits am Stadteingang Wans begrüßte mich der Wahlkampf in Form eines veralteten Hinweises auf die Rede von AKP-Premierminister Ahmet Davutoğlu am 20.10.2015. Es war die Einladung zu jener Rede, in der Davutoğlu von der Rückkehr der weißen Toros und des Terrors nach Wan im Falle einer AKP- Niederlage in Wan sprach.(1) – Mit den weißen Toros, ein Auto der Firma Renault, bediente er dabei ein Symbol der 1990er Jahren, das für unaufgeklärte Morde und Entführungen in den kurdischen Regionen steht, deren Verstrickungen mit dem sogenannten tiefen Staat nie aufgeklärt worden sind. Viele sprachen damals vom staatlichen Polizei-Terror.(2) Auf dem weiteren Weg durch die Stadt waren die Straßenränder gesäumt von Wasserwerfern, Polizeiautos und Einsatzbussen und Kräften, die dem Innenministerium unterstehen – weiße Toros sah ich nicht. Dafür jagten die versammelten Einsatzwagen zur nächtlichen Stunde ohne ersichtlichen Grund durch die Straßen. Zumindest war am Morgen unseres Besuchs in Xacort (türkisch: Sürmeli Hacibekir), dem bevölkerungsreichsten Stadtteil Wans, keine Polizei anwesend. Es ist ein eher armer Stadtteil, der in den letzten 10 Jahren durch den Zuzug von Familien gewachsen ist, die im Rahmen der Zerstörung kurdischer Dörfer in den 1980er- und 90er-Jahren ihre Lebensgrundlage verloren hatten. Wir wurden hier freudig von einer bunten Personenansammlung erwartet. Anschließend begaben wir uns auf einen Rundgang durch das Viertel und ließen unsere Augen durch die Berichte leiten: Jedes Haus weist hier mindestens ein Einschussloch auf, viele Fensterscheiben sind nur notdürftig mit Plastik gegen die raue Witterung abgedichtet. Seit dem ersten Wahlgang am 7. Juni, so die Anwohner*innen, haben immer wieder Übergriffe durch die Polizei stattgefunden. Deren Überreste stecken in Form von Kugeln teilweise noch immer in den Wänden. Es seien Überreste von regelmäßigen Überfällen durch die Polizei, welche immer nach dem gleichen Schema ablaufen: Die Polizei kommt in der Dunkelheit. Es gibt Stromausfall. Kinder, die zum Teil noch auf der Straße sind, bewerfen die Autos mit Steinen. Die Polizei reagiert darauf mit Gasbomben. Unter denen leiden vor allem Schwangere und Kinder. Die Polizei ist mit Wärmebildkameras ausgestattet, mit scharfer Munition. Die Kinder mit Steinen und Zwillen. Viele Wege der Repression Ein Mann sprach mit uns, dessen Sohn die nächtlichen Überfälle nun für immer an den Rollstuhl fesseln. In einem zweiten Viertel, Sehid Frad, wurde uns der Krater gezeigt, den eine Handgranate hinterlassen hat, in der Nähe die Stelle, an der ein 19-Jähriger erschossen wurde. An dieser Stelle gibt es keine Gedenktafel oder ähnliches, allerdings wedeln Wahlkampffähnchen der HDP in der Nähe. Auf der Sitzung des Menschenrechtsvereins IHD erfuhren wir weitere Hintergrundinformationen. Es wurde von hunderten Pro-Kurd*innen berichtet, die seit dem 7. Juni 2015 inhaftiert oder getötet wurden. Ein Beispiel der Inhaftierungen bietet die Bezirksregierung Edremits, Wan. Wir waren hier bei der wöchentlichen Presseerklärung anwesend, in der die Interims-Bürgermeisterin Nurhayat Çelik die Freilassung des Bürgermeisters Abdulkerim Sayan fordert. Die zweite Hälfte der kommunalen Doppelspitze, Rojbin Çetin, steht unter Hausarrest. Der Vorwurf: Sie geben den kurdischen Dörfern Partizipationsmöglichkeiten. Der Tatbestand: Sie haben Dörfern die Möglichkeit der freien Verfügung über das ihnen zur Verfügung stehende Budget gegeben. Im Gespräch mit einem kurdischen Journalisten, der selbst vor zwei Wochen aus einer halbjährigen Untersuchungshaft entlassen wurde, erfuhren wir, wie diese Inhaftierungen aussehen: Man wird auf unbegrenzte Zeit festgehalten, dabei bekommen die wenigsten, so auch er, einen Richter zu Gesicht. Er berichtete von der Inhaftierung von ca. 40 pro kurdischen Journalist*innen, alleine in diesem Jahr. Diese Bedrohung und die ständige Präsenz dieser Repression führen dazu, dass nur in den wenigen kurdischen Medien über die beschriebenen Vorfälle berichtet wird. Ich habe keine weißen Renault-Toros auf den Straßen Wans gesehen und auch keine vorgedruckten AKP-Stimmzettel, dennoch klingen die Wahlkampfworte Davutoğlus wie Hohn. Deutlich wurden mir der Missbrauch von Staatsgewalt und die Beschneidungen der Meinungsäußerung, die sich im Vorfeld der wiederholten Wahlen zuspitzten. Dabei schien der Verweis auf die Bedrohung durch die PKK nur ein Vorwand zu sein, Angst in der Bevölkerung zu schüren. Dies ist gelungen. Von freien Wahlen – frei von Angst und in der Entscheidung – kann hier deshalb nicht gesprochen werden. (1) http://www.cumhuriyet.com.tr/haber/siyaset/391353/Davutoglu_ndan_Van_da_tehdit_gibi_sozler__Beyaz_toroslar_dolasacak.html (Stand: 14.11.2015) (2) http://www.todayszaman.com/anasayfa_most-white-toros-murders-in-southeast-remain-unsolved_402273.html (Stand: 14.11.2015) Aufruf des kurdischen Zentrums für Öffentlichkeitsarbeit zur Wahlbeobachtung (Stand: 14.11.2015): http://civaka-azad.org/aufruf-zur-iinternationalen-wahlbeobachtung-fuer-demokratische-wahlen-in-der-tuerkei/ Independent Election Observer Handbook for the Turkish Grand National Assembly General Elections online seit 07.12.2015 12:49:52 (Printausgabe 73) autorIn und feedback : Meral Zeller |
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Für einen queerfeministischen Antifaschismus Fragen von Geschlechterverhältnissen und Sexualität sind zentral für Autoritarismus und Faschisierung, doch noch immer Randthemen im antifaschistischen Aktivismus. [02.10.2018,Einige Antifaschist*innen] Regierungsspitzen London - Athen - Salzburg (MALMOE #84) [01.10.2018,Redaktion] Özil, Merkel, Erdoğan, Zirngast und Kneissl Das Verhältnis Europas zur Türkei ist schlecht. Ein Überblick über die Beziehungskrisen eines heißen Sommers. [30.09.2018,Frank Jödicke] die vorigen 3 Einträge ... die nächsten 3 Einträge ... |
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