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Wo liegt der Skandal?

Zur Plage des diffamierenden Sprechens über die „Bettelmafia“

Am 22. Jänner 2013 kam es in einem Haus in der Gumpendorferstraße zu einem Großeinsatz von Polizei- und Magistratsbeamt_innen. 15 Personen von Bau- und Gesundheitsamt und Wien Energie sowie knapp 200 Polizist_innen stürmten das Haus. Die Bewohner_innen wurden überprüft und Kinder wie Erwachsene mussten bis zu vier Stunden in der Kälte stehen und warten. Gefunden wurden von den Behörden nicht genehmigte Zwischenwände, wenige Fälle illegaler Stromentnahme und Personen, die nicht gemeldet waren. Ein Skandal?

HÄUSER WIE DIESES IN DER GUMPENDORFERSTRASSE gibt es viele in Wien: abbröckelnder Putz, feuchte Mauern, kaputte Böden; Häuser in schlechtem Zustand, die an Menschen vermietet werden, die froh sind, eine Unterkunft zu finden, auch wenn sie klein, dunkel und verschimmelt ist. Für ihre Größe und ihren Zustand sind die Wohnungen oft sehr teuer, aber sie werden vergeben, ohne dass die Mieter_innen ein fixes Einkommen vorweisen müssen, ohne Kaution oder Provision. Und so etwas zu finden, ist schwer in Wien, wo die Mietpreise hoch sind, rassistische Diskriminierung auf der Tagesordnung steht und Gehaltszettel vorgewiesen werden müssen, bevor eine Wohnung angemietet werden kann.

Der Vermieter in der Gumpendorferstraße sei ein guter Mensch, meinen einige Bewohner_innen. „Wir sind keine Spekulanten. In der Gumpendorferstraße gab es keine Altmieter“, versichert ein Mitarbeiter des Vermieters auf den Verdacht hin, dass das Haus „entmietet“ werden soll, wie es am Wiener Häusermarkt oft üblich ist, um ein Haus dann „wertoptimiert“ neu vermieten oder verkaufen zu können. Für das Haus in der Gumpendorferstraße gab es schon einmal einen Abrissantrag. Anzunehmen ist, dass die Menschen hier solange eine Bleibe haben, bis es konkrete Pläne mit dem Haus gibt.

Der Einsatz am 22. Jänner richtete sich jedenfalls gegen den Hauseigentümer, nicht gegen die Bewohner_innen, gab ein Beamter vom Büro für Sofortmaßnahmen am Telefon zur Auskunft. Doch warum tritt die Polizei dann in derartiger Stärke und mit einer solchen Vehemenz gegenüber den Hausbewohner_innen auf? Und warum werden die Menschen von Beamt_innen als „Bettelbanden“ diffamiert, wenn der Zustand des Hauses kontrolliert werden soll?

MIT DEN WORTEN „BETTELMAFIA“ UND „BETTELBANDEN“ gehen nicht nur die Boulevardmedien leichtfertig um. Ebenso spricht der Leiter des Büros für Sofortmaßnahmen der Stadt Wien, Walter Hillerer, in „Wien heute“ von den Bewohner_innen des Hauses als „rumänische Bettelbanden“ und die Polizeisprecherin Adina Mircioane redet von den „Hintermännern“. Mitarbeiter_innen der BettelLobbyWien haben bei all jenen nachgefragt, die so viel zu wissen scheinen, und zudem das Haus in der Gumpendorferstraße mehrmals besucht und mit Bewohner_innen gesprochen. „Hier ist nicht die Mafia, hier sind eher die Armen“, sagt ein Bewohner des Hauses. „Wie soll das gehen“, äußert sich eine Frau zu dem Mafiagerücht, „wir verdienen ja fast nichts, da könnten wir uns ja nicht mal die Miete leisten.“ „Das wird immer behauptet, weil man uns loswerden will“, mischt sich ein junger Mann ein.

Und es wiederholt sich, was die Recherchen der BettellobbyWien schon so oft ergeben haben: Menschen leben in Armut und versuchen das Beste aus ihrer Situation zu machen. Sie haben sich in dem Haus gemütliche Zimmer eingerichtet. Hintermänner findet niemand, aber es zeigen sich die erschreckenden Rhetoriken und Praktiken der Behörden: Bauliche Mängel werden mit unhygienischen Bewohner_innen gleichgesetzt. Die Kombination von betteln, schmutzig und Rumänien ruft antiziganistische Stereotype auf.

AUF DIE FRAGE, WARUM VON DER „BETTELMAFIA“ gesprochen wird, heißt es, dass die meisten Personen aus Rumänien kommen und einige in der Bettelkartei vermerkt sind. Es gibt also eine Bettelkartei? „Ich weiß nicht, ob das jeder Bezirk hat, aber vor allem die Inspektionen jener Bezirke haben das, wo vermehrt Bettler auftreten“, so die Polizeisprecherin Adina Mircioane. Eine Kartei also, wo Bettler_innen, die der Polizei auffallen, registriert werden? „Die ist nur für den internen Gebrauch“, beschwichtigte Mircioane. Hinweise auf Hintermänner habe man laut Mircioane in der Gumpendorferstraße nicht gefunden, aber darauf scheint es nicht anzukommen: Rumänien und betteln, diese zwei Schlagwörter reichen, um von „Bettelmafia“ zu sprechen oder – scheinbar harmloser, aber nicht weniger abwertend – von „Bettelbande“. Selbstorganisation wird wieder einmal kriminalisiert.

Die diffamierende Sprache von offiziellen Sprecher_innen, Beamt_innen und Medien – nur Österreich und Krone schienen informiert und haben sofort berichtet – legitimiert und fördert rassistische Hetze und die Ablehnung und Ausgrenzung von Menschen, denen aufgrund ihrer ökonomischen Situationen gesellschaftlichen Teilhabe ohnehin schwer möglich ist. Das ist nicht förderlich für das gute Zusammenleben zwischen Wienerinnen und Wienern.

DIE INTERVIEWS IM RAHMEN DER AKTION „Geben macht glücklich“ im September 2012 zeigen (siehe youtube unter „Bettelbeauftragter“), dass viele Passant_innen sich eine andere Politik vorstellen können, wenn sie ihnen von den politischen Entscheidungsträger_innen einleuchtend erklärt wird. Und: nein, die Interviews sind nicht gestellt. Das ist doch eigentlich eine gute Nachricht, an die sich politisch anknüpfen lässt …?


Anmerkung

Die BettelLobbyWien hat angesichts des massiven Polizeieinsatzes in der Gumpendorferstraße einen Brief an Bürgermeister Häupl geschrieben. Der Brief und ein ausführlicherer Bericht finden sich unter www.bettellobbywien.wordpress.com

online seit 04.03.2013 21:40:58 (Printausgabe 62)
autorIn und feedback : Marion Thuswald und Ulli Gladik (BettelLobbyWien)




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