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Die neue Arbeit am Leiden

Warum Sozialarbeit und Therapie zunehmend verschwimmen

WARUM IST SOZIALES LEIDEN ein immer stärkeres Thema in unserer Gesellschaft? Sind wir Zeug_innen eines Verfalls, einer Brutalisierung der Verhältnisse, die sich in einer Ausbreitung von Burn Out und anderen seelischen Krankheitssyndromen äußern? Diesen Fragen widmet sich der Soziologe Alain Ehrenberg in seinem Buch „Das Unbehagen in der Gesellschaft“, in dem er eine Debatte aus seinem Bestseller „Das erschöpfte Selbst“ fortführt.

Ehrenbergs Antwort: Wir erleben keinen Zerfall der Gesellschaft, aber die Durchsetzung der Autonomie als gesellschaftlicher Leitwert hat neben Chancen viele Probleme zur Folge. Der neue Status des psychischen Leidens ist nicht unbedingt Symptom zunehmender Probleme, sondern vor allem einer veränderten Art und Weise, diese auszudrücken: Er ist das Merkmal eines Leidensstils, der an die Autonomie gebunden ist.

Zentrale Folge der Autonomie als oberstes Ideal sei, dass sich die Menschen in vielen sozialen Situationen persönlich engagieren müssen, allen voran in der Arbeit, die heute zum zentralen Bewährungsfeld geworden ist. Das bedeutet, dass die Persönlichkeit zu einer Hauptsorge wird; Individuen sind zur permanenten Mobilisierung und Steigerung persönlicher Ressourcen aufgerufen.

EIN EFFEKT DIESER PERSÖNLICHKEITSZENTRIERUNG sei, dass Ungleichheiten als persönliche Misserfolge wahrgenommen werden. Das ist an den Rändern der Arbeitsgesellschaft am deutlichsten: Prekarität, Ausgeschlossensein und Arbeitslosigkeit fügen narzisstische Wunden zu, die zu einer Abnahme von Selbstachtung und Selbstvertrauen führen. Bei gesellschaftlich Marginalisierten ist folglich häufig eine mangelnde Fähigkeit, sich in Zukunft zu projizieren, mangelnde Handlungsfähigkeit und ein Schwanken zwischen Apathie und Wutausbruch zu beobachten. Diese Symptome lassen sich als umfassender Vertrauensverlust in sich, in andere und in die Zukunft charakterisieren. Die Gesellschaft wird als feindlich wahrgenommen, und sozialarbeiterische Hilfe oft verweigert. Ausgrenzung und Selbstausgrenzung sind somit miteinander verkettet. Ehrenberg konstatiert, dass klinische und soziale Berufe dadurch unter Anpassungsdruck geraten: Statt im Büro auf hilfesuchende Klient_innen zu warten, sei aufsuchende Sozialarbeit gefragt. Auch auf Seiten der Sozialarbeiter_innen sei Engagement erforderlich, Betroffene müssten aktiv angesprochen werden, und Sozialarbeit erhalte verstärkt therapeutische Züge. Als Ziele einer solchen Arbeit stehen im Zeitalter der Autonomie die Wiederherstellung der Selbstachtung und das Empowerment im Vordergrund.

DASS SOZIALARBEITER _INNEN FÜR DIESE steigenden Anforderungen meist zu wenig Ressourcen zur Verfügung haben und sich allein gelassen fühlen, wird von Ehrenberg zwar berichtet, aber gleichzeitig zu wenig als Symptom der Probleme gelesen, die eine neoliberale Ausgestaltung von Autonomie birgt: Für die Bearbeitung kollektiver Probleme werden die Ressourcen unter diesen Bedingungen stets zu knapp gehalten.

online seit 20.04.2012 08:34:12 (Printausgabe 58)
autorIn und feedback : BW


Links zum Artikel:
www.malmoe.org/artikel/regieren/2376Schwerpunkt: Problemfall Psychiatrie



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