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  Zur Plage …

... der Polizeipolitik: Die Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes

Zur Aktualisierung des bürgerlichen Gewaltdiskurses

Vor einem Jahr wurde er wegen Grundrechtsbedenken abgelehnt. Nichtsdestotrotz legten die Innen- und Justizministerinnen Mikl-Leitner und Karl ihn im Juni 2011 erneut zur Begutachtung vor: den Entwurf zum Anti-Terrorismus-Paket. Teil I des Pakets wurde bereits Mitte Oktober beschlossen. Als besonders strittig erweist sich nun noch die Novelle zum Sicherheitspolizeigesetz: Mit der erweiterten Gefährdungsanalyse und der erweiterten Gefahrenerforschung soll der Verfassungsschutz künftig weit im Vorfeld politisch motivierter Straftaten beobachten und analysieren können. Ins Visier nehmen könnte er dann erstmals politisch aktive Einzelpersonen, von denen er befürchtet, dass diese in einer nicht näher definierten Zukunft Gewalthandlungen bedeutenden Ausmaßes verüben könnten.

Zudem soll die richterliche Legitimation für Handlungen der Exekutive weiter auf die ordnungsbehördliche Ebene verlagert bzw. ganz abgebaut werden: Bei Besetzungen könnte sie dann bspw. ohne Räumungsbefehl aktiv werden. Auch ziviler Ungehorsam wird teurer, denn vielfach sollen Verwaltungsstrafen eingeführt oder hochgesetzt werden. Zu Recht kritisierten Expert_innen den Entwurf in der Begutachtungsphase als missbrauchsanfällig, zivilgesellschaftliche Akteur_innen ihn als Angriff auf politische Organisierung und Aktion. Mittels der Ausdehnung der Verwaltungsstrafen und der Vorverlagerung von Eingriffsmöglichkeiten trägt die Novelle in der Tat dazu bei, politischen Aktivismus undifferenziert als illegitime Gewalt zu rahmen – und damit zu delegitimieren.

„Sicherheitsrisiko“ Politaktivismus

Die Novelle bringt dabei nichts grundsätzlich Neues, sondern ist die Fortsetzung des Versuchs der umfassenden Verwaltung des öffentlichen Raums auch mit den Mitteln der Kriminalpolitik. So reicht für die einfache Gefahrenerforschung bei Einzelpersonen heute bereits der polizeiliche Verdacht auf Vorbereitung einer politisch motivierten Straftat aus. Mit der Gesetzesnovelle soll nun die bisher Gruppen vorbehaltene erweiterte Gefahrenerforschung künftig auch für Einzelpersonen gelten. Dabei war die Maßnahme überhaupt erst mit dem Argument der erhöhten Komplexität gerade gruppenbezogener Ermittlungen eingeführt worden. Aus diesen Interventionen gewonnene Erkenntnisse haben sich in der jüngsten Vergangenheit zudem als höchst fragwürdig erwiesen: so etwa die Anschuldigung der Bildung einer kriminellen Organisation gegenüber Wiener Tierrechtsaktivist_innen. Sollte die Gesetzesnovelle in ihrer jetzigen Form verabschiedet werden, müssten politisch aktive Personen befürchten, noch leichter als bisher – nämlich ohne unter die Konstruktion einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung zu fallen – als Gefahr für die öffentliche Sicherheit eingestuft und ohne Richter_innenbeschluss überwacht zu werden.

Dies käme schon bei der positiven öffentlichen Bezugnahme auf Gewalt gegen Menschen, Sachen oder verfassungsmäßige Einrichtungen in Frage, sofern zu befürchten ist, dass dies eine schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit mit sich bringt oder die Gefahr der Begehung einer Straftat besteht. Oder aber – wohlgemerkt ohne eine Straftat zu planen – bei der Beschaffung von Mitteln und Kenntnissen, die zur Durchführung schwerer Sachbeschädigungen bzw. zur Gefährdung von Menschen geeignet sind. Vorgelagert werden soll der erweiterten Gefahrenerforschung zudem eine erweiterte Gefährdungsanalyse. Potenzielle Kandidat_innen für die Gefahrenerforschung oder Gefahrenabwehr würden dann wohl durch diese Analyse vorselektiert. Personenbezogene Daten sollen in ihr ohne konkreten Anlass und sogar ohne Zustimmung des Rechtsschutzbeauftragten für jeweils ein Jahr gesammelt und weiterverarbeitet werden können.

Polizeiarbeit an den Grenzen des Wissbaren

Seine Legitimation bezieht der Vorstoß dabei v. a. aus dem Verlust der Bestimmbarkeit derzeit virulenter Formen des Terrorismus – bei gleichzeitigem Anspruch, ohne Restrisiko Sicherheit gewährleisten zu wollen. Den Polizeien sollen in diesem Zuge bessere Mittel an die Hand gegeben werden, damit sie vor dem Täter am Tatort sein können. Ein derartiger Umgang mit Unsicherheiten schafft aber keine Gewissheiten, vielmehr wird er zum sich selbst perpetuierenden Zweck: Denn mit der Orientierung an knowns unknowns, jenen Gefahren, deren Vorhandensein angenommen wird, von denen aber noch nicht gewusst wird, wo und in welchem Manifestationsstadium sie existieren, orientieren die Aktivitäten des Verfassungsschutzes sich immer weniger an konkreten Handlungen, sondern an Potenzialen einzelner Personen oder Gruppen. Auch „schwache Signale“ (so Gridling, Leiter des BVT) können nach dieser Logik auf ernst zu nehmende Straftaten hinweisen. Jeglicher unbequeme politische Ausdruck, jegliches Bestreben radikaler Veränderung wird so zu einem Sicherheitsproblem.

Die verselbständigte polizeiliche Logik wird damit gleichzeitig zu einer von vielen Antworten auf die derzeitige Krise. Mit den bestehenden und noch mehr mit den geplanten Gesetzen wird linke Kritik so systematisch in die Nähe von Gewalthandlungen gerückt und im Rahmen des – jegliche Form nicht-staatlicher Gewalt gleichsetzenden und gleichermaßen ächtenden – bürgerlichen Gewaltdiskurses delegitimiert. Es greift deshalb zu kurz, mit Kritik an der Novelle im Code des Rechtssystems zu verbleiben, indem man die Unschuld potenziell Betroffener herausstellt oder den Eingriff in die Grundrechte selbiger moniert. Die Entkriminalisierung linker Politik bedarf auch, vielleicht sogar zuallererst, einer Kritik des bürgerlichen Gewaltbegriffs. Dies wäre momentan der beste Stock zwischen den Beinen des Sicherheitsdiskurses im Perpetuum mobile-Modus.

online seit 26.12.2011 13:19:03
autorIn und feedback : AK




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