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  Kreativ gegen das Unternehmen Stadt

Zwischennutzungen im Spannungsfeld von Gentrifizierung und Widerstand

Eine Zwischennutzungsagentur wie Kreative Räume Wien ist ein Politikinstrument, das in vielen europäischen Städten angewandt wird. Es lässt sich als Element „unternehmerischer“ Stadtentwicklung (David Harvey) analysieren, die mit dem Strukturwandel von Globalisierung und Tertiarisierung in den Städten Einzug gehalten hat. Um sich im globalen Standortwettbewerb zu positionieren, handeln Stadtverwaltungen verstärkt angebotsorientiert: „Schlüsselbranchen“ werden gefördert, städtische Infrastruktur privatisiert, „Markthemmnisse“ wie Mietrechte abgebaut. In diesem Kontext stellte der Ökonom Richard Florida 2002 die These auf, dass in den desindustrialisierten Städten die „kreative Klasse“ zum Schlüsselfaktor wirtschaftlicher Prosperität wird: Wenn Städte attraktive Bedingungen für Kreative schaffen, werden diese dorthin ziehen. Ihnen werden die Dienstleistungsunternehmen folgen und damit Arbeitsplätze sowie Steuereinnahmen. In der Transformation städtischer Ökonomien nehmen die Creative Industries seither eine dreifache Rolle ein: Sie machen das Versprechen selbstbestimmter und flexibler Arbeit. Sie dienen dem City Branding, das die Stadt als vibrierende Kulturmetropole zu vermarkten sucht. Und sie werden als kostengünstiges Mittel der Stadtentwicklung eingesetzt.

Die Logik unternehmerischer Stadtentwicklung

Auch in Wien greift die Stadt immer weniger durch sozialstaatliche Verwaltung, etwa jene des Wohnungsmarkts, regulierend ein. Doch die unternehmerische Stadtentwicklung lässt sich nicht einfach als Rückzug des Staates verstehen: Vielmehr wird der Fokus städtischer Interventionen darauf gelegt, attraktive Bedingungen für private Investor*innen zu schaffen. Städtische Entwicklung soll durch positive „Spill-over-Effekte“ entstehen, die ein neues Großprojekt, die Renovation eines Parks oder neue Erdgeschossnutzungen auf den umliegenden Stadtraum haben. Denn in einem gefragten Viertel steigen die potenziellen Haus- und Mietpreise („rent gap“), sodass die Anlage für private Investor*innen wieder attraktiv wird. In anderen Worten: Gentrifizierung ist nicht Folgeerscheinung unternehmerischer Stadtentwicklung, sie ist ihre Methode.

Dass eine von der Stadt kontrollierte Zwischennutzungsagentur also die marktgetriebene „Revitalisierung der Stadt“ zum Ziel hat, scheint nahezuliegen. Dennoch sollten Zwischennutzungen nicht per se als Agenten der Gentrifizierung verteufelt werden: Vielmehr sollte sich die Kritik gegen die unternehmerische Stadt und die kapitalistische Verwertungslogik richten. In diesen Prozessen stecken Widersprüche, die durch widerständige Zwischennutzungen offengelegt und verstärkt werden können.

Ground-Floor-Gentrification

Trotz konstant steigender Mietpreise stellt sich die Stadtverwaltung weiterhin auf den Standpunkt, dass es keine Gentrifizierung gebe in Wien. Zwar mögen das Mietrecht und der hohe Anteil an städtischen Wohnungen die direkte Verdrängung zumindest abschwächen. Doch das übersieht, dass gerade in Wien die indirekte Verdrängung (Peter Marcuse) eine wichtige Rolle spielt, die als „Ground-Floor-Gentrification“ bezeichnet werden kann.

Auch „heruntergekommene“ Grätzl sind Lebensräume, die den Bewohner*innen soziale Infrastruktur und Netzwerke zur Verfügung stellen. Wenn diese verloren gehen – wenn etwa das alte Café verschwindet, wo sich alle beim Namen kennen –, beginnen sich Menschen einsam zu fühlen im eigenen Grätzl – und ziehen weg, ohne dass dabei die Miete ausschlaggebend war.

Auf den mit dem Strukturwandel entstandenen Leerstand in der Erdgeschoßzone hat die Stadt Wien bisher keine Antwort gefunden – außer kreative Zwischennutzungen. Wenn diese jedoch tagsüber ein einschlägiges Hipster-Publikum und in der Nacht grölende Partygänger*innen bedienen, steigt der Verdrängungsdruck auf eingesessene Bewohner*innen.

Damit bietet Leerstand aber auch die Chance, dass sich (Zwischen-)Nutzungen gegen die Aufwertungsziele der Stadt richten: wenn sie sich in der Nachbarschaft verankern und der bestehenden Grätzlbevölkerung selbstorganisierten Zugang zu sozialer Infrastruktur bieten. So werden soziale Netzwerke aufgebaut und verstärkt, die auch für den Widerstand gegen Verdrängung aktiviert werden können.

Die Kreativität widerständig umwerten

Wenn die Stadtverwaltung auf Creative Industries setzt, eignet sie sich die „Kreativität“ für ihre Wachstumsziele an. Sie stilisiert marktförmiges, den Aufwertungsinteressen konformes, kreatives Schaffen zur einzig bedeutsamen Kreativität hoch. Indem sie die Kontrolle über Zwischennutzungen mittels befristeter Prekariatsverträge behält, verdoppelt sie zudem die Prekarisierung von Kulturarbeiter*innen. Wenn diese die von der Stadt porträtierte Rolle als „unternehmerische Kreative“ selbst annehmen, verdeckt dies das Bewusstsein für die eigene prekäre Situation und die Instrumentalisierung der Kreativität durch die Stadt.

Damit wird für städtischen Widerstand entscheidend, dass sich Zwischennutzungen möglichst stark von der Kontrolle der Stadtverwaltung entziehen können – ohne dabei Gefahr zu laufen, direkt von privaten Besitzer*innen abhängig zu werden. Widerständige Akte wie Besetzungen oder die Weigerung, nach Ablauf des Prekariatsvertrages auszuziehen, können so nicht nur Alternativen zu Zwischennutzungen darstellen, sondern auch Druckmittel gegen die Stadtverwaltung sein.
Gelingt dies, kann Kreativität auch Mittel sozialer Ermächtigung einer Grätzlbevölkerung sein: Wenn etwa Migrant*innen bei Theaterprojekten mitmachen oder Frauen aus verschiedenen Kulturen die geschlossene Bäckerei als Gemeinschaftsprojekt wiedereröffnen. Aus einer emanzipatorischen Perspektive ginge es also darum, im Leerstand das Potenzial zur Umwertung zu sehen: Neue Praktiken der Stadtaneignung zu schaffen, die gegen die Marktförmigkeit von Kreativität und vom Lebensraum Stadt antreten.

online seit 22.02.2017 10:47:56 (Printausgabe 77)
autorIn und feedback : Jonas Aebi




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