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  (Un)Sichtbarkeitskontinuitäten

Interview mit den Filmemacherinnen Brigitta Freigassner und Miriam Raggam.

Im Film „Eigensinn und Ansichtssachen“ (A 2015, 33') werden öffentlich sichtbare Spuren der Geschichte/n von Austrofaschismus, Nationalsozialismus und Antisemitismus in Judenburg und des Widerstands dagegen zum Thema gemacht, wie auch Fragen nach Geschlecht und Erinnerung aufgeworfen.

MALMOE: Euer Film beschäftigt sich in mehrfacher Hinsicht mit Marginalisierungen – mit der Marginalisierung von Erinnerungen von Frauen an Widerstand und Krieg, mit der Unsichtbarkeit dieser Vergangenheitsspuren im öffentlichen Raum und außerdem mit Widerstand gegen den Austrofaschismus, der oft neben dem Widerstand gegen das Nazi-Regime in den Hintergrund tritt. Zuallererst die Frage: Wieso Judenburg?

Brigitta Freigassner und Miriam Raggam: Vor circa drei Jahren verbrachten wir drei Monate als Artists in Residence in Judenburg mit dem Wunsch, Frauen* mit emanzipatorischen Lebenseinstellungen, die in ländlichen Gebieten leben, zu portraitieren. Viele Menschen leben in Kleinstädten, sie werden aber oft nicht wahrgenommen aufgrund der Hierarchisierung zwischen Großstadt und Kleinstadt, der wir ein bisschen entgegen wirken wollten. Ob das gelungen ist oder nicht, wissen wir nicht. Wir sind jedenfalls auf einige interessante Themen und vor allem Persönlichkeiten gestoßen und haben den Film dann sehr groß geplant.

Im Schnitt haben wir gesehen, dass die jüdische Geschichte der Stadt für uns sehr wichtig war, sowie auch die Geschichte des Widerstands, den Frauen zur Zeit des Nationalsozialismus geleistet haben. Die Kontinuitäten von (Un)Sichtbarkeiten zu thematisieren war für uns als Filmemacherinnen wichtig, da wir mit Film Sichtbarkeit schaffen wollen und bis zu einem gewissen Grad in der Medienlandschaft mitmischen können.

Ihr beschäftigt euch viel mit öffentlichem Raum und Gedenken. Was ja auch im Sprechen über den Stadtnamen offensichtlich wird, ist die Gleichzeitigkeit von völliger Sichtbarkeit jüdischer Geschichte und deren Unsichtbarkeit im Stadtbild. Könnt ihr etwas zu dem Stadtnamen und dem Umgang mit jüdischer Geschichte sagen?

Judenburg liegt auf einer mittelalterlichen Handelsstraße, an der es mehrere jüdische Gemeinden gab. Darauf weisen Ortsbezeichnungen entlang dieser Wege hin. In diesem Zusammenhang ist, nach Meinung des Stadtmuseums, die Herkunft des Namens Judenburg zu lesen. Parallel zu der Ortsnamensherleitung gibt es noch eine weitere, die sich von der jüdischen Geschichte distanziert. Während der NS-Zeit war geplant die Stadt umzubenennen, dazu kam es aber nicht mehr.

Das Stadtmuseum in Judenburg arbeitet schon seit längerem an der Aufarbeitung der jüngeren sowie der älteren jüdischen Geschichte. Derzeit wird an einem Denkmal oder einer Gedenktafel gearbeitet.

Eine der stärksten Szenen im Film finde ich die Aufzählung von ermordeten und deportierten Jüd_innen, sowie der arisierten Betriebe und deren Verortung im Stadtbild. Wie ist diese teilweise animierte Szene entstanden, was waren Eure Diskussionen und Gedanken dazu?

Im Mittelalter gab es in Judenburg eine Gemeinde in der Gegend um die sogenannte Judengasse. Als sich im 19. Jahrhundert wieder Jüd_innen in Judenburg angesiedelt hatten, lebten sie zwar über die gesamte Stadt verteilt, insbesondere jedoch parallel zur Judengasse in der Kaserngasse. Die Animationen in der Kamerafahrt durch diese Straße, sind optische Verschiebungen der Hausfassaden. Für uns stand dies symbolisch dafür, dass hinter den Fassaden die Geschichte von Enteignung jüdischer Stadtbewohner_innen und deren Vertreibung aus Judenburg geschrieben steht.

Wie seid ihr bei der Recherche vorgegangen? Wie habt Ihr Eure Interviewpartnerinnen gefunden und ausgewählt? Und über welche Quellen und Archive seid ihr zu den Namen und Geschichten der ermordeten und vertriebenen Jüd_innen gekommen?

Es gibt mehrere Publikationen über Judenburg und die Region Aichfeld-Murboden zu den Themen Austrofaschismus, Nationalsozialismus, Widerstandsgeschichte(n) und jüdische Geschichte. Das Stadtmuseum Judenburg unter der Leitung von Michael Schiestl, wie auch der CLIO Verlag, insbesondere Heimo Halbrainer, haben sehr viel aufgearbeitet. Außerdem war das DÖW auch ein guter Ort um viel Material zu finden.

Die Liste der Judenburger_innen, die als Jüd_innen vertrieben und ermordet wurden, haben wir aus dem Buch „Adolfburg statt Judenburg“, basierend auf der Recherche von Michael Schiestl.

Unsere Interviewpartnerinnen haben wir hauptsächlich über das Stadtmuseum und dessen (freiwillige) Mitarbeiter_innen gefunden, sowie durch Bücher: „Ich bin immer schon eine politische Frau gewesen“ von und mit Maria Cäsar, in „Burggasse“ ist der Text „Spurensuche“ von Alexandra Link veröffentlicht. Das Stadtmuseum hat uns während unserer ganzen Recherchezeit sehr stark unterstützt.

Ihr erwähnt Ruth Klügers Ausspruch: „Die Kriege gehören den Männern, daher auch die Kriegserinnerungen. Und der Faschismus schon gar, ob man nun für oder gegen ihn gewesen ist: reine Männersache. Außerdem: Frauen haben keine Vergangenheit.“ Klüger hat diese Sätze im Rahmen ihrer 1992 erschienenen Autobiografie „weiter leben“ formuliert. Dazwischen erschienenen zahlreiche Publikationen, wenige, aber auch zu Frauen im Widerstand, vor allem aber zu Frauen der NS-Elite. Guido Knopp hat im deutschen Fernsehen eine Reihe zu „Hitlers Frauen“ produziert. Hat Ruth Klügers Annahme für euch heute noch so Gültigkeit? Inwiefern denkt ihr, hat sich da etwas verändert in den letzten fast 25 Jahren?

Das Buch von Ruth Klüger ist sehr persönlich und gerade aufgrund dessen, dass sie ihre gedanklichen Analysen zu Teilen ihres Lebens nach außen trägt, auf außergewöhnliche Weise politisch. Dieser Satz bezieht sich auf ihre Erfahrungen als Überlebende und Frau. Sie schreibt darüber, wie sie Jahrzehnte lang nicht um ihre Meinung gefragt wurde. Auch wenn das 25 Jahre her ist, war es für uns wichtig wiederzugeben, wie sie die Jahrzehnte nach dem Krieg erlebt hat.

Beim schnellen Durchspielen von einigen Guido-Knopp-Filmen, sind gleich mehrere aufgefallen, in denen keine einzige oder gerade mal eine Frau vorkommt. Oftmals werden Frauen nur als Ehefrauen ohne Namen erwähnt. Wenn sie sprechen, dann nicht über politische Fragen, sondern über Liebesbeziehungen oder das Ausmaß der Verehrung und Nacheiferung von Männern. In Knopps Serie über Hitlers Frauen kommen zwar Frauen vor, auch als Spezialistinnen, die über Frauen sprechen, aber das Gesamtbild verändert sich dadurch nicht viel.
Was sich seit den 80er/90er Jahren geändert hat, ist – insbesondere von selbstorganisierten linken und feministischen Gruppen – eine verstärkte Aufarbeitung von Geschichte über Frauen*. Diese Arbeit hat das Geschichtsbild geprägt und tut es noch weiterhin.

Wo kann man euren Film sehen oder bekommen?

Daran arbeiten wir noch! Momentan reichen wir bei verschiedenen Festivals ein, möchten auf jeden Fall in Wien ein Screening mit Diskussion veranstalten und werden dies auf einer Homepage veröffentlichen, die gerade noch im Aufbau ist. Weiters zeigen wir den Film auch im Stadtmuseum in Judenburg und voraussichtlich bei CLIO in Graz.

Interview: Renée Winter

online seit 19.09.2016 13:51:50 (Printausgabe 75)
autorIn und feedback : Interview: Renée Winter




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