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  Menschenrechte light

Über die Kürzung der Mindestsicherung in Niederösterreich und die Übernahme von FPÖ-Positionen durch die ÖVP

Anfang November erklärte Bundeskanzler Christian Kern die Verhandlungen über eine Neuregelung der Mindestsicherung für beendet. Monate sinnloser Verhandlungen haben gezeigt, dass die ÖVP an einer Einigung im Sinne eines Kompromisses nicht interessiert ist und jeden anderen Vorschlag als jenen ihrer Maximalforderung blockiert. Ein Weiterverhandeln hätte daher vermutlich lediglich Zugeständnisse der SPÖ bedeutet, wie sie bezogen auf „Deckelung“ und Umstellung auf „Sachleistungen“ auch teilweise schon erfolgt sind. Andererseits bedeutet dies nur sechs Jahre nach der Einführung der „Bedarfsorientierten Mindestsicherung“ das Ende bundeseinheitlicher Standards, somit dessen, was als das Mindeste angesehen wird, das man in Österreich zum Überleben braucht. Für eine Neuregelung sind nun die Landesregierungen zuständig, nach Oberösterreich hat nun auch Niederösterreich diesen Mindeststandard drastisch gekürzt.

Mindestsicherung „light“ und gemeinnütziger Jobzwang in Niederösterreich

Die im November im niederösterreichischen Landtag beschlossene Novelle des Mindestsicherungsgesetzes sieht vor, dass nur jene Menschen, die fünf der letzten sechs Jahre in Österreich verbracht haben, die volle Mindestsicherung beziehen können. Gemeint sind natürlich Asylberechtigte, und umgangen werden soll die Genfer Flüchtlingskonvention, wonach anerkannte Flüchtlinge gegenüber österreichischen Staatsbürger_innen nicht gesetzlich schlechter gestellt werden dürfen. Für Asylberechtigte gibt es mit der zynisch als „Mindestsicherung light“ betitelten Neuregelung nur noch einen gekürzten Betrag von 560 Euro. Um diese Kürzung zu rechtfertigen, arbeitet ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka konsequent mit Falschaussagen und unzulässigen Vergleichen, etwa zwischen der Situation von Asylwerber_innen in der Grundversorgung und Asylberechtigten, die mit diesem Betrag auch eine eigene Wohnung finanzieren müssen.

Gleichzeitig soll Asylberechtigten auch das Zusammenleben in WGs erschwert werden: Das niederösterreichische Gesetz hält explizit fest, dass WGs als gemeinsamer Haushalt betrachtet werden und unabhängig von Personenzahl oder ob eine Unterhaltsverpflichtung besteht ein „Deckel“ von 1500 Euro eingeführt wird. Das bedeutet für viele de facto eine Streichung der Mindestsicherung und fördert die Ausbeutung von Asylberechtigten in Massenquartieren, wo zum Teil hunderte Euro pro Bett abkassiert werden.

Mit dem neuen Gesetz können Mindestsicherungsbezieher_innen von den Gemeinden zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet werden, wenn sie sich nicht gerade anderweitig in einer AMS-Maßnahme befinden, genauere Zumutbarkeitsbestimmungen wurden keine festgelegt. Einmalig kann ein solcher Job abgelehnt werden, beim zweiten Mal wird das Geld um die Hälfte gekürzt. Anstatt also beispielsweise auf Gemeindeebene reguläre Arbeitsverhältnisse zu schaffen, wird auf unbezahlte Zwangsarbeit, Lohn-Dumping in Form von „Ein-Euro-Jobs“ und eine Verfestigung des prekären Bittsteller_innenstatus gesetzt.
Umgesetzt wurde auch die Kürzung der Mindestsicherung bei Familien und Kindern, wie sie von der ÖVP seit über einem Jahr als eine ihrer wichtigsten politischen Forderungen gehandelt wird. Denn nichts anderes bedeutet die „Deckelung“ auf 1500 Euro pro Haushalt, da Alleinstehende und Paare gar nicht erst einen Bezug in dieser Höhe bekommen können. Besonders stark von den Kürzungen betroffen sind dabei Alleinerziehende und pflegende Angehörige, vor allem also Frauen.

Allianz zwischen ÖVP und FPÖ

Die Sprachwissenschafterin Ruth Wodak sagte kürzlich im Interview gegenüber dem Standard, zentral für das Erstarken einer „Antiausländerstimmung“ in Österreich sei die Übernahme von FPÖ-Positionen durch die ÖVP, beispielsweise durch Ex-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, die sich als erste positiv auf die „Festung Europa“ bezog. Die anhaltende Kampagni­sierung gegen die Mindestsicherung ist ein wichtiger Baustein in dieser Allianz.

Man gibt sich keine große Mühe mehr, die hinter den Kürzungsforderungen stehenden Interessen zu verschleiern: Es gehe darum, Niedrigverdiener_innen „das Gefühl zu geben“, dass die Arbeit sich für sie lohnt, erklärte Lopatka kürzlich in der ORF-Sendung Im Zentrum, was die ÖVP unter „Gerechtigkeit gegenüber Steuerzahler_innen“ versteht. ÖVP und FPÖ begründen die Kürzungen mit steigenden Bezieher_innenzahlen und damit der befremdlichen Logik, wonach das unterste soziale Netz genau dann abzuschaffen ist, wenn es am dringendsten benötigt wird. Dabei wird die Mindestsicherung gleichzeitig kaum noch im Kontext von Armutsbekämpfung und Arbeitsmarktpolitik diskutiert. ÖVP und FPÖ verweigern sich der Frage, ob oder wie man mit 560 Euro in Österreich überleben können soll, denn darum geht es ihnen nicht: vielmehr sollen die Geflüchteten weiterziehen – und dabei das rot-grüne Wien unter Druck setzen.

Scheitert eine Bund-Länder-Vereinbarung endgültig, ist es Ländersache, die Mindestsicherung neu zu regeln, der Irrsinn der niederösterreichischen „Lösung“ lässt Schlimmes befürchten, zumal ÖVP und FPÖ mit Ausnahme von Wien in allen Landesregierungen vertreten sind. Anstehende Neuregelungen, ob zum Beispiel Wohnbeihilfe zusätzlich zur Mindestsicherung bezogen werden kann oder davon abgezogen wird, entscheiden darüber, ob Menschen von einem Monat auf den anderen ihre Wohnung nicht mehr bezahlen werden können. Die Mindestsicherung, derzeit bei einem finanziellen Umfang von etwa 1% des österreichischen Sozialbudgets (für 2016 sind etwa 1,3% aller Sozialausgaben prognostiziert), wird für eine Neiddebatte gegenüber Geflüchteten und sozial Schwachen missbraucht. Für ein Einsparungspotential im zweistelligen Millionenbereich wird in Kauf genommen, die von der Kürzung Betroffenen in die Obdachlosigkeit zu schicken und Wege aus der Armut deutlich zu erschweren.


online seit 08.03.2017 14:08:43 (Printausgabe 77)
autorIn und feedback : Bernadette Schönangerer




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