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  Kurz nachgefragt: „HILFE! Armut in der Vorstadt“

Elke Rajal im Gespräch über die Ausstellung in Ottakring, zivilgesellschaftlichen Einsatz für soziale Gerechtigkeit und was Armut bedeutet – um 1900 und heute

Zeitgleich mit dem Erscheinen dieser Ausgabe eröffnet im Bezirksmuseum Ottakring eine Ausstellung des Wiener Kreisky-Archivs, die in Kooperation mit Schüler_innen der GRG Maroltingergasse (Klasse 5c bzw. 6c) entstanden ist. „HILFE! Armut in der Vorstadt“ thematisiert Armut in Wien um 1900.

Seit 2014 arbeitet eine Schulklasse gemeinsam mit zwei (freien) Wissenschaftflerinnen am Wiener Kreisky-Archiv an dem Projekt – wie einfach/schwierig ist diese Kooperation?

Die Kooperation ist grundsätzlich sehr spannend. WissenschaftlerInnen sind gezwungen, ihre Erkenntnisse so zu vermitteln, dass sie auch für – in unserem Fall 15 und 16-jährige – SchülerInnen nachvollziehbar sind. Auch Methoden müssen so erklärt werden, dass sie für die Jugendlichen gut anwendbar sind. Das Vokabular, mit dem man oft hantiert, muss daraufhin überprüft werden, was davon verständlich ist und was nicht. Oft ist es nicht einfach, Fachbegriffe mit einfachen Worten zu umschreiben, andererseits ist es auch ein Gewinn für die ForscherInnen. Eine schwierige Frage ist, wieviel Komplexität verloren geht, wenn man Vieles so runterbricht. In Rückschau auf unser Projekt können wir allerdings sagen, dass man die Jugendlichen keinesfalls unterschätzen darf: Wir haben den Eindruck, dass sich „unsere“ SchülerInnen sehr differenziert mit dem Thema auseinandergesetzt haben und letztlich auch die Ambivalenzen, die das Thema beinhaltet, gut verstanden haben.

Auf einer organisatorischen Ebene ist es oftmals schwierig, zwischen den Logiken eines Forschungs- und eines Schulbetriebs zu vermitteln. Schulische Abläufe sind eng getaktet: Lehrpläne, Schularbeiten, Notenschluss etc. Neben der Zeitknappheit für alles außerhalb des Regelunterrichts besteht dann auch noch Raumnot. Da ist es oft nicht leicht, ausreichend Zeit und Räume für die Projektarbeit zu bekommen, um wirklich konzentriert arbeiten zu können. Forschung in 50 Minuten-Einheiten ist schwierig, aber geblockte Projekttage sind fast nur nach Notenschluss machbar, wo die SchülerInnen allerdings schon ein wenig ausgepowert sind. Unterm Strich hat das aber gut geklappt, auch, und vor allem, durch die Unterstützung der Lehrerinnen.

Kooperationsprojekte zwischen Schulen und Wissenschaft verlangen in jedem Fall von allen Beteiligten (WissenschafterInnen, LehrerInnen, SchülerInnen, Direktionen) die Bereitschaft, sich neben den eigenen Arbeitsabläufen, Räumen und Zeitvorstellungen auch auf neue einzulassen.

Was ist das besondere an den beiden Projekten, die ihr in der Ausstellung dokumentiert?

Beide „Projekte“ waren Reaktionen auf die soziale Lage an den Rändern der Stadt, die stark von Armut und Wohnungsnot geprägt waren. Im Laufe des 19. Jahrhunderts hat sich Wien ja rapide verändert. Mit der Industrialisierung wuchs die Stadt, gerade in den ehemaligen Vororten wie Ottakring, das 1892 nach Wien eingemeindet wurde. Anfang des 20. Jahrhunderts war Ottakring der bevölkerungsreichste Bezirk Wiens. In unserem Projekt wollten wir uns verschiedene Arten von Interventionen in den Raum „Vorstadt“ anschauen: Das Settlement ist ein Beispiel dafür, wie mittels Wohltätigkeit bzw. Fürsorge Not zu lindern versucht wurde, bereits zu einer Zeit, als der Staat dies noch nicht als seine Verpflichtung ansah. (Die Gründung des Vereins „Wiener Settlement“ erfolgte 1901.) Die „Notstandsbauten“ (so der offizielle Begriff) an der Gablenzgasse sind ein Beispiel für eine wohnpolitische Intervention, ebenfalls zu einer Zeit, als die Schaffung von Wohnraum noch nicht als städtische bzw. staatliche Verpflichtung angesehen wurde, noch bevor etwa im Roten Wien eine Reihe von Gemeindebauten errichtet wurden. (Die Errichtung der Notstandssiedlung wurde 1911, also noch zu Zeiten der Monarchie, beschlossen.)

Beide Einrichtungen haben also auf unterschiedliche Weise versucht zu intervenieren und waren für die damalige Zeit außergewöhnlich innovative Projekte. Zwischen den Einrichtungen gibt es auch „Verbindungslinien“: Personen, die in der Notstandssiedlung lebten, waren zum Teil unter Betreuung des Settlements. Die in der Notstandssiedlung tätige Fürsorgerin Rosa Dworschak war zudem eine enge Kollegin und Freundin des im Settlement tätigen psychoanalytischen Pädagogen August Aichhorn.

Was beide Einrichtungen ebenfalls spannend für uns gemacht hat: Es gab nicht allzu viel Forschung zu ihnen. Der Nachlass des Settlements liegt in der Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien und wurde bislang erst von einer Person umfassender beforscht, nämlich Elisabeth Malleier. Zur Notstandssiedlung gab es ein ZeitzeugInnen-Projekt, aber keine wissenschaftliche Bearbeitung.

Ist es ein Zufall, dass beide Projekt im Bezirk Ottakring waren?

Zweck des Vereins „Wiener Settlement“ war laut Vereinsstatuten die „Anbahnung freundschaftlicher Beziehungen zwischen der besitzlosen und der besitzenden Classe und [die] Hebung des geistigen, körperlichen und sittlichen Niveaus der armen Bevölkerung“. Um dieses Ziel zu erreichen, sollte ein Settlement in einem der „armen und überbevölkerten Bezirke Wiens“ errichtet werden. Ottakring war Anfang des 20. Jahrhunderts dafür idealtypisch. Moriz Kuffner, Inhaber der Ottakringer Brauerei, stellte dann für das Settlement das erste Gebäude zur Verfügung.

Auch die Errichtung von Notstandsbauten in Ottakring war kein Zufall. Die Wohnungsknappheit und schlechte Wohnungsqualität waren hier besonders ausgeprägt. Die Mietpreise waren enorm hoch, was zu einer hohen Belagsdichte der Wohnungen führte. Außerdem war das Mietrecht äußerst vermieterfreundlich, was geringe Verweildauern an einer bestimmten Adresse zur Folge hatte. Viele Menschen waren auch gänzlich wohnungs- oder obdachlos. Im September 1911 kam es in Wien, schwerpunktmäßig in Ottakring, dann zu Teuerungsrevolten. Kurz darauf, im Oktober, beschloss der Gemeinderat die Errichtung von Notstandsbauten. Ob hier ein unmittelbarer oder nur ein indirekter Zusammenhang bestand, kann nicht gesagt werden. Jedenfalls machte es für die Stadtverwaltung Sinn, gerade in jenen Gebieten, wo das Potential für soziale Unruhen am größten war, wohnpolitisch zu intervenieren.

Das Wiener Settlement war ein Projekt von Frauen und auch Teil der Frauenbewegung – wieso waren es gerade Frauen, die sich dem Thema Armut annahmen?

Bereits die Gründung ging auf zwei Frauen, Else Federn und Marie Lang, zurück. Marie Lang hatte den Settlement-Gedanken von ihren England-Reisen – wo sie teils als Vertreterin des „Allgemeinen österreichischen Frauenvereins“ war – nach Österreich gebracht. Sie überzeugte Else Federn davon, dass es auch in Wien ein Settlement brauche. Federn war dann über Jahrzehnte die zentrale Figur des Settlements.

Im Verein tätig waren vor allem bürgerliche Frauen. Das große Interesse an sozialem Engagement hing mit Sicherheit auch damit zusammen, dass es für sie nicht besonders viele Möglichkeiten gab, außer Haus tätig zu sein: die Ausübung eines „Berufs“ war nicht vorgesehen, eine „Berufung“ wie das Settlement bot jedoch Entfaltungsmöglichkeiten.

Neben den Frauen selbst waren aber oft auch ihre Familienangehörigen für das Settlement tätig: Mütter, Schwiegermütter, Schwestern, aber auch Brüder oder Väter. Gegründet und getragen wurde das Settlement mehrheitlich von Frauen, einzelne Positionen wurden jedoch auch von Männern eingenommen.

Gibt es einen Unterschied zwischen „Armut“ und „Arm sein“ zur Jahrhundertwende und heute?

Interessanterweise gibt es auffällig viele Ähnlichkeiten. Hohe Mieten und räumliche Verdrängungsprozesse gibt es beispielsweise heute auch noch. Phänomene wie „BettgeherInnen“, Personen, die selbst keine eigene Wohnung hatten und nur für ein paar Tag- oder Nachtstunden ein Bett mieteten (1891 in Ottakring fast 10%), sind hingegen in dieser Ausprägung verschwunden. Zudem gibt es heute – bei allen Mängeln – mit Sicherheit mehr und bessere staatliche Unterstützungssysteme als Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts.

Wo interessante Ähnlichkeiten zu sehen sind: Anfang des 20. Jahrhunderts standen viele der sozialen Probleme in der rasch wachsenden Metropole Wien im Zusammenhang mit dem Zuzug aus verschiedenen Gebieten der Monarchie. Aufgrund des Reichsgemeindegesetz von 1862 und dem Reichsheimatgesetz von 1863 war für das Armenwesen die jeweilige Heimatgemeinde zuständig. Wer in Wien nicht heimatberechtigt war, für den war keine Unterstützung vorgesehen. Ein Großteil der BewohnerInnen Wiens war daher von städtischen Fürsorgeleistungen ausgeschlossen. 1900 waren z.B. 62% der Zivilbevölkerung nicht heimatberechtigt in Wien. Diese Personen waren auf private Wohlfahrtsvereine angewiesen. Auch heute, in Zusammenhang mit der sogenannten Flüchtlingskrise, sind viele Menschen stark von ehrenamtlichem Engagement und von privaten Hilfseinrichtungen abhängig. Zudem gibt es Debatten, die Hilfeleistungen für Zugezogene weiter einzuschränken zu wollen. Eine immer größer werdende Anzahl von Menschen, die neu, aber auch schon über Jahrzehnte hier sind, ist zudem nicht wahlberechtigt, hat also keine Möglichkeit, die Stadt in der sie leben, mitzugestalten.

Armut in der Vorstadt

Die Ausstellung „HILFE! Armut in der Vorstadt“ wird von Heidi Niederkofler und Elke Rajal kuratiert und ist von 3.6. bis 25.9.2016 im Bezirksmuseum Ottakring zu sehen. Wien 16, Richard-Wagner Platz 19b, Eingang Hasnerstraße



online seit 16.06.2016 08:46:47 (Printausgabe 75)
autorIn und feedback : Interview: Nikola Staritz




Wie vorher!

aus dem Diskursiv: Vom Leben mit Kindern
[05.10.2018,Monika Vykoukal]


Neiiiihhin!

aus dem Diskursiv:
Vom Leben mit Kindern [05.10.2018,Patrick Ward]


Er hat die Melone so gern

aus dem Diskursiv:
Vom Leben mit Kindern [05.10.2018,Benjamin Herr]


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