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  Ein Jahr liberalisierte Fortpflanzung

Was kann das neue Gesetz und wird die Eizelle zum umkämpften Rohstoff?

Nach der Verfassungsklage eines lesbischen Paares war der österreichische Gesetzgeber zum Handeln aufgerufen und musste, dem Gleichbehandlungsgebot folgend, seine Gesetze bezüglich der Fortpflanzung reformieren. Die Diskriminierung von lesbischen Paaren ist nun abgeschafft und der Weg zur Samenspende steht ihnen, im Gegensatz zu alleinstehenden Frauen (jeder sexuellen Orientierung), seit 2015 offen – egal ob die Befruchtung mittels Insemination oder IVF geschieht. Und, fast ebenso wichtig: beide Partner_innen werden automatisch als Eltern des Kindes anerkannt (und nicht nur die „biologische“ Mutter, die das Kind ausgetragen hat). Laut Wiens größtem Kinderwunschzentrum „Goldenes Kreuz“ kam es im Jahr seit der Gesetzesnovelle zu 60 erfolgreichen Befruchtungen lesbischer Paare. So weit so gut.

Rohstoff Eizelle

Doch das Gesetz impliziert weitere Änderungen. Die Eizellenspende, die in Österreich bisher verboten war, ist nun erlaubt. Dritte können also ihre Eizellen spenden. Die Eizellenspende ist, wie man sich vorstellen kann, ein etwas vertrackterer und größerer Eingriff in den Körper der Spenderin als die Samenspende des Mannes: nach einer „Hormonkur“, also der starken hormonellen Stimulation mit Spritzen, damit sich die Eizellen im Körper der Frau stark und zahlreich entwickeln, werden diese in einem operativen Eingriff unter Narkose entnommen, der in Folge für einige Tage schmerzhaft sein kann.

Die Eizellenspende ist im österreichischen Gesetz mit einem Verbot versehen: Dem Kommerzialisierungs -und Vermittlungsverbot. Und das ist wichtig, denn das heißt, dass Spenderinnen nicht bezahlt werden dürfen, die Eizellenspende für die Spenderin also keine Quelle für Einkünfte, kein Geschäft sein darf. Damit soll verhindert werden, dass Frauen insbesondere aus sozial schwachen Schichten und Gegenden, sich dem Druck ausgesetzt sehen, ihren Körper in Form von Eizellen zu verkaufen. Der ökonomische Druck würde dann auch dazu führen, dass Frauen ihre Eizellen immer und immer wieder spenden – und sich immer und immer wieder Hormonhämmern und Operationen aussetzten. Und was drei, vier Mal für die meisten medizinisch wahrscheinlich kein Problem darstellt, ist bei mehrmaliger Wiederholung in seinen Langzeitwirkungen unerforscht und jedenfalls extrem belastend und ungesund. Mit dem Kommerzialisierungsverbot, das ausschließlich eine Aufwandsentschädigung für die direkten Barauslagen der Spenderin erlaubt, sowie dem Vermittlungsverbot, wodurch weder Eizellen und Samen selbst noch spendierbereite Spender_innen vermittelt werden dürfen bzw. für die Spende geworben werden darf, soll der Markt und Handel mit der Ressource Frau/Eizelle unterbunden werden, wie er in anderen Ländern, die solch ein Verbot nicht vorsehen, zu beobachten ist. De facto heißt das, dass wer eine Eizellenspende machen will, sich die Spenderin selbst organisieren muss. Dass es trotz des Verbots zu „informellen“ Bezahlungen kommt, ist allerdings nicht zu steuern: Auf Ö1 (Journal Panorama von 23.2.16) wird von „Einladungen“ berichtet, wo z.B. russische Spenderinnen auf einen Luxusurlaub nach Wien eingeladen werden, währenddessen eben auch die Eizellenspende stattfindet.

Der Reproduktionsmarkt

Auch ohne Eizellenspende ist die Fortpflanzung längst ein großer und gewinnbringender Markt: Krankenkassen zahlen hier meist wenig bis nichts (1), die Institute werden privat bezahlt und um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen, sind Menschen willens, enormen (auch finanziellen) Aufwand zu betreiben. Das ist nachvollziehbar: Die Trauer und der Druck auf Menschen, denen der Kinderwunsch – aus welchen Gründen auch immer – verwehrt bleibt, ist enorm und leider nachhaltig. Das liegt an den Erwartungen des sozialen Umfelds an Paare, deren Kinderlosigkeit immer noch zumeist als Scheitern der Frauen begriffen wird, ebenso wie an der einfachen Tatsache, dass Leute sehr gerne Kinder haben wollen. Beides wiederum ist nicht von den gesellschaftlichen Normen und der herrschenden Vorstellung, dass ein „richtiges“ Leben immer noch eines in der Kleinfamilie und mit Kindern ist, zu trennen. Menschen, die keinen Kinderwunsch haben, gelten auch heute noch als zumindest komisch und insbesondere Frauen als egoistisch und „karrieregeil“ (vgl. Palmisano in MALMOE 69: Rezension: „Die Uhr, die nicht tickt. Kinderlos glücklich“ bzw. Staritz in An.schläge 1/2015: „Kinderlos glücklich. Interview mit Sarah Diehl“).

Von dieser Situation profitieren die in etwa 30 Kinderwunschzentren (KWZ) in Österreich für die es einen immer größeren Markt an zahlungswilligen – und sehr oft auch zahlungskräftigen – Kund_innen gibt.

„Zumutung“ Behinderung

Neben der Eizellenspende ist es vor allem eine zweite Änderung im FMedG, die aufregt. Auch hier soll uns die katholische Kritik nicht interessieren – die Kritik an Liberalisierungen im Bereich der Reproduktion sollte nicht der Kirche überlassen werden, stattdessen gibt es auch progressive und feministische Kritik, die meist viel zu kurz kommt.
Es handelt sich um die PID. Nach drei erfolglosen IVF, drei Fehlgeburten oder wenn es ein großes genetisches „Risiko“ gibt, dass eine „schwere Erbkrankheit“ entsteht, ist PID nach Einzelfallprüfung grundsätzlich erlaubt. Die Embryonen werden auf Erbkrankheiten und Behinderungen getestet – wobei es sich bei den Ergebnissen immer lediglich um „Dispositionen“ handelt, also Möglichkeiten, dass dieses oder jenes eintreten könnte. Medizinisch scheint es gesichert, dass durch PID Behinderungen nur in geringem Maße festgestellt werden können. Nebenbei entstehen die meisten Behinderungen während der Geburt. Erbkrankheiten können durch PID etwas besser diagnostiziert werden, da man in dem Fall ja zumeist im Vorhinein weiß, was genau man untersucht. Aber wie auch immer: bei der PID geht es um den Versuch, Behinderungen zu verhindern in dem diese möglichst früh festgestellt werden, so dass dann entschieden werden kann, ob man abtreibt oder das Kind „trotzdem“ will (zur Behindertenfeindlichkeit der PND und PID mehr im Interview mit Kirsten Achtelik).

Was für eine Wahlfreiheit?

Anstatt also ein erwünschtes Kind zu bekommen und dieses zu lieben, werden Eltern mit dem durch PID gewonnen Wissen um eine mögliche Behinderung des Kindes vor die Wahl gestellt, welches Kind sie nicht wollen. In einer Gesellschaft, in der das Leben mit (Kindern mit) Behinderungen vermehrt als „Zumutung“ gilt, ist diese Entscheidung die wahre Zumutung. Denn eine wirklich freie Wahl gibt es hier nicht. Behinderte Menschen gelten aus zwei Gründen als unerwünscht: Einerseits weil sie uns, so Andrea Truman (2), ja so und so nur „auf der Tasche lägen“ in einer Leistungsgesellschaft, die generell alle, die ihren Maximen nicht entsprechen (können/wollen), zu Parias macht. Andererseits, weil das Leben mit Menschen mit Behinderungen sozial und ökonomisch tatsächlich oft schwierig und für manche kaum zu bewerkstelligen ist, auch weil ein neoliberaler Staat nicht die sozialstaatlichen und gemeinschaftlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen will und alles in die individuelle Verantwortung schiebt. In dem Sinne plädiert Achtelik dafür, doch für verbesserte Lebensbedingungen zu kämpfen anstatt gegen behindertes Leben.
Das FMedG beweist einmal mehr die Ambivalenzen, die technologischer Fortschritt aus vor allem feministischer Perspektive aufweist: denn potentielle (medizinische oder juristische Möglichkeiten) entfalten ihre „wahre“ Wirkung im gesellschaftspolitischen Kontext und den vorgefundenen Verhältnissen. Diese sind mit Gesetzen allein nicht zu begreifen.

(1) Über den IVF-Fonds können 70% der Kosten für vier IVF übernommen werden
(2) Andrea Truman: „Diagnose Mensch“, Jungle World Nr. 29, Berlin 17. Juli 2014

online seit 06.06.2016 17:24:30 (Printausgabe 74)
autorIn und feedback : Nikola Staritz


Links zum Artikel:
www.malmoe.org/artikel/widersprechen/2903Sigrun Palmisano: KINDER KRIEGEN, ABER WIE – KEINE KRIEGEN, ABER WARUM?
www.malmoe.org/artikel/alltag/3143Interview Kirsten Achtelik



Wie vorher!

aus dem Diskursiv: Vom Leben mit Kindern
[05.10.2018,Monika Vykoukal]


Neiiiihhin!

aus dem Diskursiv:
Vom Leben mit Kindern [05.10.2018,Patrick Ward]


Er hat die Melone so gern

aus dem Diskursiv:
Vom Leben mit Kindern [05.10.2018,Benjamin Herr]


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