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EBOLA SPRINGT NUR SELTEN MIT Mobilität und wirtschaftliche Auswirkungen des Virus in Sierra Leone Zum Zeitpunkt meiner Projektreise Ende April 2014 zur Eisenerzmine Marampa in Sierra Leone hatte Ebola im angrenzenden Guinea bereits etwa 120 Todesopfer gefordert. Insgesamt war in Sierra Leone zu der Zeit von den Auswirkungen noch verhältnismäßig wenig zu spüren, die Krankheit war noch nicht ausgebrochen, trotzdem aber, auch in der Mine, präsent. Marampa (mit dessen Geschichte ich mich beschäftige) ist die ehemalige Eisenerzstätte der britischen Kolonialmacht, später die einer VOEST-Tochter und wird heute vom britischen Konzern London Mining betrieben. Am abgezäunten, bewachten Eingang zum Gelände London Minings wurde seit einiger Zeit standardmäßig Fieber gemessen – innerhalb des Areals waren Informationstafeln angebracht: Ebola – Symptome, Verlauf, Vorsichtsmaßnahmen. Es gab die berechtigte Sorge, dass das Virus, das direkt an der Grenze zu Sierra Leone zirkulierte, den Weg ins Landesinnere finden würde. Noch aber befand man sich im Konjunktiv. Im rohstoffreichen Sierra Leone zeichnet Bergbau für etwa 17 Prozent des Bruttoinlandsproduktes verantwortlich. Wie Magneten ziehen große Rohstoffkonzerne tausende Arbeitskräfte aus dem ganzen Land an und stoßen diese bei Bedarf auch wieder ab. Die Eisenerzmine in Marampa unterscheidet sich diesbezüglich wenig vom Profil anderer Rohstoffstätten im geographischen Süden. Fremdkapital wird punktuell eingesetzt, ohne dass es dabei die Grenzen eines definierten und klar abgegrenzten Interessensgebiets nennenswert überwindet. Sekundärindustrie, in diesem Fall Stahlwerke, gibt es in Sierra Leone nicht. Trotz CSR-Maßnahmen bleibt die Präsenz des Konzerns dabei „dünn“: Wenn Infrastruktur geschaffen wird, dann vorrangig zur Optimierung der Produktion, lokale Löhne werden zwecks höherer Profite klein gehalten, nachhaltige Investitionen in die umliegenden Communities bleiben aus. Marktergeben werden Friedhöfe planiert, Dörfer umgesiedelt, Ernten durch giftige Abfälle vernichtet und Wälder abgeholzt. Die Rohstoffstätte ist mit ihrer geographischen Umgebung kaum in Kontakt, sondern mit anderen Orten – und Bedürfnissen – verbunden: Was auch immer an der Stätte selbst geschieht – wohin die Reise geht, bestimmen das Headquarter in London, Konzerne wie Glencore in der Schweiz und diverse InvestorInnen. Das auch in den letzten Wochen: Nach Problemen mit der Produktion und einem massiven Einbruch des Erzpreises (von über 40 Prozent in den letzten Monaten) auf dem Weltmarkt war es Ebola, das den Konzern vor knapp zwei Monaten bankrott gehen ließ. Ebola hat dabei zu keinem Zeitpunkt das Areal Marampas erreicht. Dennoch geriet die Produktion ins Stocken, wurden die ausländischen Mitarbeiter abgezogen. Der Grund für das Aus waren letztlich die InvestorInnen: Durch den Ausbruch der Epidemie war Marmapa ein Risikoprojekt geworden, das nicht länger vielversprechende Anlagemöglichkeit war, sondern abgestoßen werden musste. Sierra Leone gilt mittlerweile als das am stärksten von Ebola betroffene Land mit insgesamt 6190 Erkrankten. Von Ihnen sind 1267 gestorben, eine hohe Dunkelziffer wird angenommen. Die Wurzeln des Ausbruch ruhen nicht zuletzt, auch wenn sie sich nicht eindeutig nachweisen lassen, in gegenwärtigen Entwicklungen wie Landgrabbing und Ressourcenausbeutung, die im Kolonialismus ihren Ausgang fanden. Bei Ebola, wie auch bei HIV, SARS oder Vogelgrippe handelt es sich um ein Virus, das von Tieren auf Menschen übergesprungen ist. Rodungen und die anhaltende Zerstörung von Lebensräumen lassen die dezimierte, verbleibende Fauna stetig näher an die Bevölkerung heranrücken, wodurch sich die Gefahr einer Krankheitsübertragung zwischen Tier und Mensch drastisch erhöht. Der Übertritt von Krankheitserregern auf den Menschen wurde und wird dadurch weiterhin erleichtert; ihre Verbreitung durch die Errichtung und Optimierung von Transportwegen mehr und mehr beschleunigt. Die Mobilität und das globalisierte Sein des Virus hat kürzlich auch der der Politikwissenschafter und Theoretiker Achille Mbembe thematisiert: Zu befürchten sei, dass dadurch die Grenzen zwischen den afrikanischen Staaten geschlossen bleiben. Und Menschen aus Sierra Leone, Liberia und Guinea die Grenzen Europas, der USA und Asien nicht mehr passieren können – während sonst gleichzeitig gerade die Mobilität der Güter, die Ausnutzung der biologischen Ressourcen, die Durchlässigkeit zwischen den Staaten gefordert und – im Kontext assymetrischer Machtverhältnisse – gelebt wird. Wo jeweils ein Aufschrei durch die Medien geht, wenn Ebola vereinzelt mit dem Flugzeug nach Europa oder die USA kommt, währendessen in den „betroffenen“ Ländern etwa 7000 Personen an Ebola gestorben sind und noch viel mehr sterben werden, ist leicht erkennbar, wie es um die Mobilität des Virus tatsächlich steht: ja, ganz, ganz selten vollzieht es die sprunghaften Bewegungen des Fremdkapitals nach, das über große Konzerne und NGOs ins Land kommt. Bevorzugt jedoch bewegt es sich von Ort zu Ort, und es reist mit den BewohnerInnen Sierra Leones, die ihr Einkommen zum allergrößten Teil aus dem informellen Sektor beziehen, welcher einen hohen Grad an Mobilität verlangt. Im September errichtete die Regierung Sierra Leones Quarantänezonen. Damit wurden auf einen Schlag 1.2 Millionen Menschen im Land genau dieser Mobilität enthoben. BewohnerInnen dürfen demnach die Grenzen ihres Gemeindegebiets nur in Ausnahmefällen mit Genehmigungen und über kontrollierte Straßenkorridore verlassen. Alle, die Kontakt mit einer an Ebola erkrankten Person hatten, alle, die an einer Straßensperre mit mehr als 38 Grad Körpertemperatur angetroffen werden, und alle Haushalte mit Verdachtsfällen stehen unter mindestens 3-wöchigem Hausarrest. Auf diese Weise trifft Ebola auch jene, die vom Virus selbst verschont geblieben sind, am Kern ihrer Existenz. Etwa 66 Prozent der Einwohner Sierra Leones sind in der Landwirtschaft tätig. Aufgrund von Quarantänesituationen können viele ihre Felder nicht mehr bestellen oder verlassen aus Angst vor Ansteckung (oder Kontrollen) ihre Häuser nicht oder nur selten. Wege zu Märkten sind durch Straßensperren blockiert, die Märkte selbst häufig geschlossen. Da die Bewirtschaftung der Felder großteils ausbleibt, wird es im nächsten Jahr noch deutlich weniger Erträge geben. Die Nahrungsmittelknappheit macht sich schon jetzt massiv bemerkbar: Grundnahrungsmittel wie Reis oder Cassava haben sich in den letzten Monaten um 30–40 Prozent verteuert. Die zweitgrößte Einnahmequelle in Sierra Leone ist der Kleinstbergbau. Etwa 20 Prozent der Bevölkerung leben von den Einkünften aus dem informellen Abbau von Gold und Diamanten. Auch hier sind die üblichen Handelsrouten nun durch die Sperren schier unpassierbar. Frühere AbnehmerInnen aus den umliegenden Ländern sind selbst von den Blockaden betroffen. Internationale GroßabnehmerInnen haben ihre KäuferInnen aus Liberia, Sierra Leone und Guinea zurückgezogen. Selbst zugestellte Pakete mit Diamantlieferungen wurden aus Indien wieder retourniert: aus Angst vor Ebola. Die wirtschaftlichen und existenziellen Folgen Ebolas werden die Epidemie noch lange überdauern. Direkte und indirekte Auswirkungen – also Erkrankung und Tod (auch von Angehörigen, FreundInnen und Bekannten) – stehen dabei angstgesteuerten Reaktionen und strukturellen Maßnahmen gegenüber, die die Ansteckung gering halten sollen. Am Ende beider Narrationen erwarten die lokale Bevölkerung extreme Nahrungsmittelknappheit und Armut. Der schier ausweglosen Lage, die die Quarantänemaßnahmen der Regierung in Sierra Leone für das Überleben der Bevölkerung mit sich brachten, steht die Frage nach Alternativen bei der Eindämmung der Krankheit gegenüber, auf die sich weder im zerrütteten staatlichen Gesundheitssystem noch bei den derzeit zahllosen, nur punktuell agierenden internationalen Initiativen in Sierra Leone Antworten zu finden scheinen. Die Abschottungsrhetorik, und -politiken des globalen Nordens zwischen Panik und wiederkehrender Stigmatisierung afrikanischer Länder und „Afrikas“ sind dabei untragbar kontraproduktiv und verantwortungslos. Denn Ebola und seine Verbreitung stehen in einem direkten Zusammenhang mit (neo-)kolonialen Macht- und Wirtschaftsverhältnissen. Diese werden nicht nur in der Auseinandersetzung mit den Ursachen für Ausbruch und Verbreitung Ebolas sichtbar, sondern setzen sich in vielen der internationalen Reaktionen auf die Krise fort. Unter diesen Vorzeichen gilt es die tatsächlichen Lebensbedingungen, ökonomischen Strukturen und resultierenden Bedürfnisse der Bevölkerung an den betroffenen Orten zu verstehen, will man auch nur in die Nähe eines verantwortlichen Umgangs mit der Epidemie und ihren Auswirkungen kommen. online seit 16.02.2015 23:47:32 (Printausgabe 69) autorIn und feedback : Juma Hauser |
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Wie vorher! aus dem Diskursiv: Vom Leben mit Kindern [05.10.2018,Monika Vykoukal] Neiiiihhin! aus dem Diskursiv: Vom Leben mit Kindern [05.10.2018,Patrick Ward] Er hat die Melone so gern aus dem Diskursiv: Vom Leben mit Kindern [05.10.2018,Benjamin Herr] die nächsten 3 Einträge ... |
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