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WER HAT ANGST VOR EBOLA? Über Überlagerungen von seuchenmedizinischen und rassistischen Diskursen und die koloniale „Vernunft“ bei der Berichterstattung über Ebola. „Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?“ ruft die Figur des „Schwarzen Mannes“ im hierzulande bis heute beliebten Kinderspiel den ihr gegenüber Stehenden zu. Folgenden Dialog rufen daraufhin die Spielenden: „Niemand!“ „Und wenn er aber kommt?“ „Dann laufen wir davon!“. Daraufhin laufen beide Seiten aufeinander zu und tauschen Plätze. Wer dabei von der Person, die den „Schwarzen Mann“ spielt, berührt wird, verwandelt sich selbst in diesen und gehört in der folgenden Runde der Gruppe der Fänger_innen an. Die vergrößert sich von Runde zu Runde, während sich die Gruppe der Entkommenen stetig verkleinert, bis nur eine einzige Person übrig bleibt, die somit gewinnt. Ein Kinderspiel? Auf die Frage ob das Spiel rassistisch sei, weil es als Kinderschreck das Konstrukt des „Schwarzen Mannes“ bedient, kommt häufig die Antwort: Nein, denn das Spiel und der Begriff verweise auf den „Schwarzen Tod“, die Pest, und seine Herkunft habe nichts mit der Hautfarbe von Menschen zu tun. So sei auch jene Person bezeichnet worden, die die Pesttoten abholte und nicht zuletzt deshalb die Pest selbst verkörperte: wo sie war, war die Seuche nicht weit. Das Pestthema würde im Spiel auch durch den Akt der Berührung, durch die man selbst zur ansteckenden und gefährlichen Person wird, deutlich. Aber – und hier möchte ich den Entkräftigungsversuchen in Bezug auf Rassismus entgegnen: das eine schließt das andere nicht aus. Vielmehr ist es gerade die Verschränkung von Seuche und Rassismus, die in diesem Spiel praktiziert wird. Denn, und darauf basieren die folgenden Überlegungen zu Ebola und seiner Repräsentation in westlichen Medien: die Angst vor Seuchen kann sich allzu leicht mit Rassismus überlagern, weil sie ähnliche Bilder evozieren; wenn Seuchen zum Beispiel zu Symbolen werden, die ihrerseits rassistische Manifestationen sind, oder rassistisch aufgeladen werden können. Zusätzlich wirkt der Umkehrschluss: Wird die Furcht vor einer Seuche als symbolische Figur wie der des „Schwarzen Mannes“ phantasiert, ist der Schritt nicht weit, die Figur selbst als Seuche zu imaginieren. Fremde als Seuche bzw. mit Metaphern aus der Seuchenmedizin zu beschreiben, ist in rassistischen Diskursen eine gängige Praxis. Geht es um den afrikanischen Kontinent, kommen außerdem noch die (post)kolonialen Bilder der „Überbevölkerung“ und die darauf basierende Furcht vor einer flutartigen Überschwemmung dazu, die die Metapher von Menschen als Seuche nährt. Das Seuchen- und Infektionsvokabular einerseits und das Rassismusvokabular andererseits, also die Rede von der Gefahr der fremden Eindringlinge, die unkontrolliert und unbemerkt (Körper-)Grenzen übertreten, so den (menschlichen wie den staatlichen) Souverän unterlaufen und ihn dann von innen heraus zerstören, liegen so eng beieinander, dass sie schwer voneinander zu trennen sind. Die Nähe dieser beiden Diskurse ist so alt wie die Bakteriologie selbst. Viren, Bakterien und Infektionen wurden seit ihrer wissenschaftlichen Erforschung mit Sprachbildern beschrieben, die dem Diskurs über menschliche Fremde, Ausländer_innen und Migrant_innen entstammten.[1] Gerade in Bezug auf Ebola ist die Gefahr daher groß, dass Schwarze Menschen als potentielle Seuchenträger_innen stigmatisiert werden. Eine Gefahr für den Westen und die westliche Überlegenheit Seitdem Ebola den Weg in westliche Medien gefunden hat, und das war lange nachdem Ebola in Guinea und Sierra Leone ausgebrochen war, begleiteten die Berichte vordergründig folgende Frage: Kann Ebola auch dem Westen, Europa, den „Weißen“ gefährlich werden? Welche Gefahr geht von diesem Ausbruch aus? Eine, die „uns“ angeht? Oder handelt es sich um eine (der üblichen) Katastrophe(n), die „uns“ nur betroffen machen muss, während sie die „Anderen“ betrifft? Wie so oft wurde und wird differenziert zwischen einem „Wir“ und einem „Sie“, in Menschen, die es wert sind, um sie zu trauern und in jene andere, deren Gefährdung „uns“ gleichgültig ist.[2] Die Antwort auf die Frage, ob Ebola auch Europa gefährlich werden kann, wurde in den Beiträgen meist mitgeliefert und fiel beschwichtigend aus: Bei „unserem“ Gesundheits- und Kontrollsystem, „unseren“ Hygienestandards und „unserer“ Kultur wäre Ebola in kürzester Zeit Geschichte. So behauptete Die Zeit unter dem Titel „Virus außer Kontrolle“ am 4. Juli 2014: „Würden Patienten und Angehörige ein paar einfache Regeln befolgen, wäre die Seuche gut beherrschbar.“ Und läßt den „Ebola-Fachmann“ Stephan Günther entsprechend zu Wort kommen: „In Europa wäre der Spuk in einer Woche vorbei.“ „Die wichtigsten Waffen im Kampf gegen Ebola sind normaler Menschenverstand, Kenntnisse normaler Hygiene, Kenntnisse über Infektionskrankheiten und Schutzkleidung“, wird drei Monate später René Gottschalk vom Frankfurter Gesundheitsamt ebenfalls in Der Zeit (9.10.2014) zitiert. Der Umstand, dass es den medizinischen Infrastrukturen in den von Ebola betroffenen westafrikanischen Ländern, nämlich Guinea, Sierra Leone und Liberia an Ressourcen mangelt, vor allem jenen, um Ebola zu stoppen, wird dabei allzu oft mit der alt bekannten kolonialen Brille beschrieben. Da bestätigt sich das Bild der westlichen Überlegenheit (bzw. der westlichen Norm und Normalität) einerseits und der vermeintlichen „Primitivität“ und Unmündigkeit „Afrikas“ andererseits. Verhältnisse, die Sklaverei und Kolonisierung afrikanischer Länder lange Zeit legitimierten. Der Verweis auf den Mangel an Ressourcen, ohne ihn als strukturellen Mangel auszuweisen, der „als Folge einer jahrhundertealten Geschichte“ entstanden ist, „deren vorletzte Etappe nach Sklaverei, Kolonialherrschaft und Ausplünderung jahrzehntelange Bürgerkriege waren und sind“, wie es Achille Mbembe kürzlich formulierte [3], hat den Effekt, die alte Erzählung von der Geschichtslosigkeit und der zeitlosen Rückständigkeit Afrikas fortzuschreiben. Allzu oft werden Mängel, mit denen afrikanische Staaten zu kämpfen haben, losgelöst von Ausbeutungsverhältnissen und der Exploration afrikanischer Rohstoffe durch westliche Staaten beschrieben. Eine Frage der Kultur? Die Überlegenheit des Westens wird in den Berichten über Ebola aber nicht nur in Bezug auf gesundheitsmedizinische und infrastrukturelle Ressourcen benannt. Meist verweisen die Berichte auch auf die Kultur der afrikanischen Bevölkerung, die der Seuche Tür und Tor öffne und den Bemühungen der westlichen Helfer_innen wie Ärzte ohne Grenzen entgegenlaufen würde. Das ist vor allem dann problematisch, wenn kulturelle Praktiken als Gegensatz zu „Zivilisiertheit“ und im Selbstverständnis einer aufklärerischen Moderne als rückständig und sinnlos erachtet werden. Zum Beispiel wenn der traditionelle Umgang mit den Toten, die bei der Trauerfeier zum Abschied berührt werden, als „kulturelle“ Ursache für die Verbreitung von Ebola unterstrichen wird. Da Tote, die an Ebola gestorben sind, hochansteckend sind, wird dieser Praxis ein hoher Stellenwert in der Verbreitung von Ebola beigemessen. Geringen Stellenwert hat hingegen oft das Verständnis für diese Tradition. „Dabei ließe sich die Ausbreitung des Virus stark eindämmen, könnte sich die Bevölkerung in dieser Ausnahmesituation von ihren Traditionen zwischenzeitlich lossagen“, schlägt eine Zeit-Autorin vor.[4] Dieser Vorschlag repräsentiert nicht nur eine Form westlicher Ignoranz gegenüber einem der schmerzhaftesten Rituale, er re-zitiert auch den vermeintlichen Gegensatz zwischen afrikanischer Tradition und westlicher Vernunft (auch im Westen sind Totenwaschungen im Übrigen nicht steril). Zur Festschreibung des kulturellen Unterschieds als Mit-Ursache für die Verbreitung der Seuche kommt das westliche Unverständnis gegenüber „Unkenntnissen“ der afrikanischen Bevölkerung über Vorgänge wie Virusinfektionen und eine Geringschätzung darüber, dass Reaktionen von Seiten der afrikanischen Bevölkerung auf die Maßnahmen westlicher Helfer_innen häufig von Misstrauen begleitet waren. Die Bevölkerung ließ sich nicht immer einfach „aufklären“, zudem kursierte die Vermutung, dass die Weißen Ebola nach Afrika gebracht hätten. Dieser Skepsis wird kaum Verständnis entgegengebracht und zu selten in Zusammenhang gebracht mit der kolonialen Geschichte weißer Bevormundung in Afrika. Medizinische Aufklärung kann auch zur Verfestigung hegemonialer Gegensätze beitragen, wenn sie mit kolonialer Attitüde als „The White Man’s Burden“ (dt.: Die Last des Weißen Mannes) vermittelt wird. Wo Ebola auftrat, schlugen die Weißen ihre Zelte auf, aus der distanzierten und sterilen Position unter dem Ebola-Schutzanzug erklärten sie den Schwarzen „deren“ Krankheit. Die so nur zu leicht evozierte Erinnerung an westliche „Hilfe“, die vor allem eigene Interessen vertritt und der afrikanischen Bevölkerung mehr schadet als nützt, hat weitaus realere Bezugspunkte in Geschichte und Gegenwart als die Angst der Weißen vor Ebola und der damit verschränkten rassistischen Furcht vor einer „Infektion“ Europas. Als vor kurzem und zu später Stunde ein Bekannter am Wiener Schwedenplatz an Jugendlichen vorbeiging, riefen diese „Ebola! Ebola!“ und wichen vor ihm zurück. Er lebt in Wien. In Ghana, wo er aufgewachsen ist, gibt es kein Ebola. Ähnlich wie Schwarze Hautfarbe undifferenziert und aller (migrations-)gesellschaftlicher Realitäten zum Trotz in (ganz) Afrika verortet wird, stehen Guinea, Sierra Leone und Liberia für ganz Afrika, obwohl das ziemlich unlogisch ist. Mit dem Blick auf die Karte Anthony Englands, der Afrika als Kontinent ausweist, auf dem es zum Großteil kein Ebola gibt [5], lässt jede Beunruhigung, die Ebola als afrikanische Gefahr für Europa darstellte, absurd erscheinen. Rassismus ist nicht logisch, berechnend oder differenziert sondern oft subtil und nicht immer plakativ wie die rechten Rufe nach einem Flüchtlingsstopp aufgrund der Ebola-Gefahr. Umso wirkungsvoller kann er sein, wenn er sich mit der Angst vor einer scheinbar faktischen Gefahr wie Ebola kreuzt, die dann Stigmatisierungen, Quarantäne, Grenzkontrollen und biopolitische Überwachungen als präventive Schutzmaßnahmen und zudem die Fortschreibung eines über hundert Jahre alten kolonialen Diskurses legitimiert. [1] Philipp Sarasin, Infizierte Körper, kontaminierte Sprachen. Metaphern als Gegenstand der Wissenschaftsgeschichte, in: Philipp Sarasin, Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse. Frankfurt am Main 2003, 191–230. [2] Vgl. Judith Butler, Raster des Krieges. Warum wir nicht jedes Leid beklagen. Frankfurt am Main/New York 2010. [3] Achille Mbembe im Interview geführt von Elisabeth von Thadden. „Ebola ist wie wir: mobil.“ Die Zeit vom 1.11.2014. [4]„Die Traditionen müssen der Hygiene weichen“. Die Zeit vom 30.10.2014. [5]Anthony England verbreitete die „No Ebola“ –Karte über seinen Twitter-Account @EbolaPhone. online seit 16.12.2014 12:36:27 (Printausgabe 69) autorIn und feedback : Eva Hallama |
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