Poesiealbum Schwarz-Blau (#6) – Neue Einträge ins österreichische Stammbuch im katastrophal warmen Februar 2019.
Ans Kreuz genagelt
Im protestantischen Norden Europas ist der Karfreitag jener Tag, an dem die reformierten Christ*innen mal zeigen dürfen was ’ne echte Feier ist. Kinder hatten früher den ganzen Tag zu schweigen und noch heute darf es keine Tanzveranstaltungen oder sonstige erheiternde Happenings geben, weil „Tod Gottes = traurig“. Diese Trauer muss man sich und den Nachbar*innen beweisen, weshalb in Norddeutschland auch mal die Polizei gerufen wird, wenn wer an diesem Tag im Garten arbeitet. Das heilige Österreich war in dieser Sache traditionell katholisch flexibel, alle Geschäfte hatten geöffnet und so konnte man im Baumarkt in der Stunde, als unser Erlöser ans Kreuz genagelt wurde, Dachlatten kaufen. Die protestantische Minderheit aber durfte daheimsitzen und trauern. Der EuGH verlangte jetzt eine Lösung und die schwarz-blaue Regierung konnte ihre Reformfähigkeit eindrucksvoll unter Beweis stellen. Die Lösung, die in trauter Harmonie niemandem schaden sollte und keinem nützte, lautete zunächst salomonisch: „halber Feiertag“. Streng genommen sei es natürlich nur ein Viertelfeiertag (so die Arbeiterkammer), denn die Angestellten dürften erst ab 14 Uhr lostrauern, da hätten viele freitags eh schon (bald) frei. Dass die Geschäfte dann allerdings schließen müssten, war für den Einzelhandel ein wortreich beklagter Schaden, ist der Tag doch neben dem 23.12. der verkaufsreichste. Wohl weil sich die „Unfähigkeit zu trauern“ am besten in einem Konsumrauscherl ausleben lässt. Die Bundesregierung gab sich zunächst vollends zufrieden mit der Lösung, mit der niemand zufrieden war. Zumindest schenkte die De-facto-Abschaffung des Feiertags wichtige Einsichten. Der lutherische Bischof Bünker erkannte endlich: „Das Versprechen der Regierung, niemandem etwas zu nehmen, kann ich hier nicht erkennen.“
Die Posse ging dann in die nächste Runde. Schließlich wurde endlich ein gerechtes Ergebnis gefunden: Überhaupt gar kein Feiertag mehr, alle gehen Karfreitag hackln und aus! Opferfest und Yom Kippur werden dieser Art von kosmischer Gerechtigkeit bald folgen und irgendwann wird die Industriellenvereinigung durchgesetzt haben, dass der 25.12. aka „Weihnachten“ nur mehr ein unbezahlter, freier Nachmittag ist. Was wollen diese religiösen Faulenzer*innen auch dauernd blaumachen?
Ist er schon weg?
„Ist Kickl schon weg?“ heißt eine informative Website (und Petition) der NGO epicenter.works, die dankenswerterweise die unzähligen Rücktrittsgründe für Herbert Kickl listet – es würde den Platz in diesem Poesiealbum (und in allen anderen zusammen) sprengen. „Nein“, lautet die Antwort übrigens, denn in Österreich treten Politiker*innen auch dann nicht unbedingt zurück, wenn sie strafrechtlich verurteilt wurden. Oder: Beamte des eigenen Ministeriums im Verfassungsschutz eine Razzia durchführen, um Dokumente verschwinden zu lassen, oder sie öffentlich Pressefreiheit, den Rechtsstaat und die Menschenrechtskonvention in Frage stellen – um nur ein paar Beispiele herauszugreifen.
Tragisch daran ist, dass sich nun laufend Regierungspolitiker*innen in öffentlichen Statements zum Rechtsstaat und zur europäischen Menschenrechtskonvention bekennen, denn vorausgesetzt werden kann das heute nicht mehr. Die SPÖ konnte sich wiederum wochenlang nicht entscheiden, ob sie das von Kickl angeregte präventive Einsperren von Menschen auf Verdachtsmomente hin oder eine Einschätzung als „Gefährder“ nicht doch für eine gute Idee hält. Wenn, dann solle es die Sicherungshaft aber nicht nur für Asylwerber*innen, sondern auch für Österreicher*innen geben, sagt Hans Peter Doskoszil. Unklar ist, ob er das als verqueren Scherz meint. Kickl hingegen hält den Vorschlag für „zu kurz gedacht“ und hegt sicherlich noch umfassendere Haftpläne.
Kurz bei Trump
„Auch wenn sie lügen, sagen sie die Wahrheit“ diese Erkenntnis Hegels, dass die Wahrheit einer Lüge jede Verschleierung durchscheint, belegten die beiden Politdarsteller Kurz und Trump bei ihrem Treffen in Washington eindrucksvoll. Die wahre Lüge ist schnell erklärt: Kurz ist lupenreiner Trumpist, er hat in seinem Wahlkampf teilweise Strategien seines Vorbildes wortgetreu kopiert. Beim „Trumpen“ geht es darum, den Medien ein Bild zu liefern und tagtäglich zu bedienen, in dem sich die Öffentlichkeit verlieren darf und gefesselt wird. Hinterrücks kann dann die eigene Klientel bedient werden. Nun spielt Donald Trump die Rolle des verbrecherischen Lustgreises und die passt bei Kurz (noch) nicht. Außerdem wäre wohl auch dem dem Kaiser Kurz treu ergebenen Kronenzeitungs-Boulevard irgendwann aufgefallen, dass Kurz kein New Yorker Immobilien-„Milliardär“ ist. Es bedurfte also gewisser Anpassungen. Welches Bild man den Leuten vorgaukelt, ist letztlich wurscht, es muss nur simpel und griffig sein und mittels „Message Control“ sauber gehalten werden. Dies kann nur gelingen, wenn man sich tunlichst niemals für irgendwelche Inhalte oder Fakten interessiert, weil die bekanntlich alles nur kompliziert machen und das geplante Narrativ gefährden. Meister Trump zeigte seinem Eleven Kurz dann, wie Trumpismus in Höchstform gelebt wird. Weil Trump offenbar nicht den blassesten Schimmer hatte, wer dieser Trottel aus Europa ist, den man neben ihn, während einer üppige sieben Minuten dauernden Pressekonferenz, ins Bild gerückt hatte, sprach er den Satz, der den österreichischen Boulevard verzückte und die letztgültige Wahrheit über Kurz formulierte: „Sie sind ein junger Mann, was ziemlich gut ist.“
Freiwillige Ausgangssperre
In einer gemeinsamen Pressekonferenz betonen Kickl und der niederösterreichische FPÖ-Landesrat Gottfried „Welpenmafia“ Waldhäusl ihre Forderung nach einer Sicherungshaft. Nicht nur darf Waldhäusl nach Bekanntwerden der Zustände im stacheldrahtumzäunten Lager für jugendliche Asylwerber*innen in Drasenhofen (und einiger irrsinniger Auftritte im ORF) immer noch ein politisches Amt bekleiden, er darf sein Lager mit Rückendeckung Kickls nun auch als Vorzeigemodell promoten. Quartiere für Asylwerber*innen in Niederösterreich sollen aufgerüstet und von zusätzlichen Securities bewacht werden. Asylwerber*innen dort direkt einzusperren, sei „nicht möglich“, bedauert Waldhäusl, es gebe aber eine „Hausordnung“. In Drasenhofen bedeutete diese, dass die Jugendlichen lediglich für eine Stunde am Tag und nur unter Begleitung das Quartier verlassen konnten. Kickl stellt sich unterdessen eine „freiwillige Nachtruhe“ für Asylwerber*innen vor. Wer sie nicht einhalte, werde eben in ein Quartier „abseits der Ballungszentren“ verlegt. Nur wer seinem Verstand eine freiwillige Nachtruhe verordnet hat, kann da noch folgen, mit Rechtsstaat hat das nichts mehr zu tun.
Asyl Neu im Medienspiegel
Die Neuordnung der Asylberatung ist ein „elegantes“ Instrument zur Machtergreifung. Personen, die ein anderes Gesellschaftsbild als die Regierung vertreten, werden nicht eingesperrt, sondern arbeitslos. NGOs müssen jetzt viele Stellen streichen und das Ministerium stellt „nicht weisungsgebundene“ Berater*innen ein, die die Rechtsberatungsarbeit übernehmen sollen. Diese haben allein dadurch, dass sie ihren Job ergattert haben, bewiesen, dass sie kaum „unabhängig“ sein können. Warum sollte das Ministerium Menschen mit einer divergierenden gesellschaftspolitischen Anschauung einstellen?
Der neue „Super-Sektionsschef“ im Innenministerium, Peter Webinger, sollte die Änderungen gegenüber den Medien verkaufen. Und die machten ihm dies leicht. Befragt von den brav-kritischen Zeitungen in Österreich geht Peter Webinger letztlich die Talking Points der FPÖ durch. So fragt ihn die Kleine Zeitung nach der „realistischen“ Asylberatung und ob die NGOs denn wirklich alle „schlampig arbeiten“ würden – und akzeptierte bei ihrem hilflos ironischen Unterton, dass Rechtsberatung am wirtschaftlichen Kriterium der Effizienz zu eichen sei. Webinger legte sich bei diesen Fragen die Fiedel unters Kinn und spielte die alte Melodie von der „Asylindustrie“. Der Mann, der laut Der Standard die „Migrationskrise 2015 für das Innenministerium zur allgemeinen Zufriedenheit gemanagt hat“, wird nie mit den Argumenten von „Caritas und Co“ behelligt. Einzig nach der hohen Fehlerquote der Entscheide fragt man ihn und da darf Webinger luftig ausweichen und meint, er würde seinen Kritiker*innen „die Hand reichen“. Damit insinuiert er, man würde nicht mit ihm reden wollen. Diesem Einserschmäh, den die FPÖ einst entwickelte und den heute auch ÖVP-Nahe beherrschen, dürfte keine Journalist*in unwidersprochen durchgehen lassen. Vielmehr könnte bei der Asylneuordnung die Regierung mit ihrer bewiesenen Inkompetenz konfrontiert werden. Der misslungene EU-Vorsitz und die gescheiterte Asylinitiative oder der aus rechtsradikalen Gründen abgelehnte EU-Migrationspakt wären Gelegenheiten zu würzigen Fragen an Webinger, wie er sich denn sein „gesamteuropäisches Asylsystem“ vorstelle mit einer Bundesregierung in Austria, die keinerlei internationale Kompromisse einzugehen gedenkt. Alles keine Fragen, mit denen sich „der stets streng dem Recht verpflichtete“ Jurist Webinger rumschlagen muss, der gerne Frontex als „Lichtblick“ lobt und damit den de facto Mord durch unterlassene Hilfeleistung als ein probates Mittel der Asyl-Abschreckung darstellt. Widerspruch für diesen antihumanistischen Killerkurs der ÖVP in den Medien? Fehlanzeige.
Wertimport
Die ÖVP-Staatssekretärin im Innenministerium, Karoline Edtstadler, bekanntlich eher Sidekick als Gegengewicht zu Kickl, setzt sich ebenfalls für die präventive Sicherungshaft ein und erklärt in ihrer stets alle Seiten verstehenden Art, dass es natürlich einer richterlichen Genehmigung für die Sicherungshaft bedürfe. Das sollte alle Bedenken ausräumen.
In Sachen Gewaltschutz hat Edtstadler ja bereits einige Perlen geliefert. Sie leitete aus den wutschäumenden Postings in sozialen Medien die Notwendigkeit höherer Strafen für Sexualstraftäter ab, weil die Bevölkerung für die niedrigen Strafen kein Verständnis mehr habe. Dass eine Vielzahl von Organisationen, die im Opferschutz und in der Gewaltprävention arbeiten, kritisierten, die Probleme liegen nicht im gerade erst 2016 angehobenen Strafmaß, denn das verhindere keine Gewalttaten und helfe auch den Betroffenen nicht, tat nichts zur Sache. Wer braucht schon Erfahrungswerte aus der Praxis und wissenschaftliche Expertise, wenn man Politik auch auf Basis von Befindlichkeiten, Popularitätswerten oder aus einem Zwicken im Arsch heraus machen kann?
Anlässlich einer Reihe von Frauenmorden zu Beginn des Jahres stachelte Edtstadler die rassistisch geführte Debatte an, in dem sie penibel die Herkunft von Tätern auflistete und von „importierten Werthaltungen“ sprach. Nicht nur das Patriarchat und Gewalt gegen Frauen seien in Österreich importiert, in der ORF-Diskussion Im Zentrum sprach Edtstadler sogar davon, dass es nun österreichische „Nachahmungstäter“ gebe. Hier zeigt sich eine neue Linie, so lässt Wolfgang Sobotka per Studie untersuchen, ob die Muslim*innen den Antisemitismus nach Österreich importieren, den es hierzulande bekanntlich nie gegeben hat. Diese Art von verlogener Blödheit kann wohl nur als Ergebnis der besonderen österreichischen Wertkultur erklärt werden.
Spucki
Der erste April ist bekanntlich der Tag, an dem man auch mal die Hand reichen sollte und dem politischen Gegner Tipps gibt. Tag-ein Tag-aus müssen wir uns über die rechtsradikale Regierung und insbesondere die FPÖ beschweren. Zeit also, ihnen einmal entgegenzukommen und ihnen bei ihrem größten Problem zu helfen: Niemand mag sie. Ein bedauerliches Faktum, denn auch die Wähler*innen der FPÖ haben deren frustriertes Genöhle bis zur Halskrause, außerdem glaubt auch niemand wirklich was die Partei verlauten lässt. Deswegen brauchen sie eine Image-Politur und die bietet bekanntlich ein knuddeliges und sympathische Maskottchen. Unser Vorschlag: „Spucki – Der Kotzbrocken“.
Spucki erlebt spannende Abenteuer (die MALMOE-Redaktion hilft gerne bei der Ausarbeitung), die immer wieder mit der gleichen lehrreichen Pointe enden, bei der Spucki gefragt wird „Ja, aber Spucki meinst du das denn ernst, was du da verzapft hast?“ und Spucki sagt: „Aber nein, das ist doch alles nur erfunden. Ich kann nicht anders. (Achtung Catchphrase!) Ich bin einfach ein Kotzbrocken!“ Alle müssen erleichtert lachen. „Die Dinge“ führt Spucki weiter aus, „die ich einfach behaupte, sollen Missgunst und Hass streuen, damit die Menschen meine Partei die FPÖ wählen. Wir wollen keine Probleme lösen, wir wollen sie ausnutzen, das ist alles. Bitte verzeiht mir.“ Und die Menschen sagen wohlwollend: „Ach Spucki, gräme dich nicht, wir wissen ja alle, dass du nur eine Witzfigur bist.“
Mit dem Maskottchen Spucki könnte die FPÖ echte Sympathien sammeln. Viel besser als mit dem völlig abgehobenen HC-Man oder den hochnotpeinlichen Versuchen, „Liebe“ auf Plakaten anzupreisen. Dies würde die Situation in Österreich verbessern und alle könnten wieder gut schlafen.
Später könnte Spucki einen Gefährten bekommen den Schäferhundrüden „Hassi“, der Passanten hinterrücks in den Allerwertesten beißt und sogleich ruft: „Ich bin hier das Opfer!“. Einfach süß die beiden.