MALMOE

Wie viel Angst
ist zuviel Angst?

Selbstermächtigend gegen
die wahrgenommene Ohnmacht

Individuell empfunden ist Angst längst eine kollektive Emotion. Auf Schritt und Tritt spukt sie, wie ein durchsichtiger Vorhang, der unseren Gefühlszustand ungerichtet verzerrt und unbestimmte Bedrohungen ankündigt. Als Nebel hat sich Angst auf unser gesellschaftliches (Zusammen-)Leben gelegt. Solange wir dagegen keine wirksamen Strategien gefunden haben, bleibt sie als mächtige und umfangreiche Regierungstechnik ein effektives Kontrollwerkzeug. Aktuell kommen Antworten noch marktkonform und individualisiert in neoliberalen Logiken von Selbstoptimierungspaketen: Yoga- und Atemübungen, zur Arbeit joggen (clever!), diverseste Therapieformate (teuer), Zeit-/Arbeits-/Xyz-Management Workshops. Die Angebote antworten individualisiert auf die Herausforderung und sind deshalb auch Teil und nicht Lösung des Problems. Weil die Realität uns alle betrifft und fester Bestandteil vom vorherrschenden Regierungsmodus ist, braucht es aber kollektive Strategien: Workshops, Micro-Dosing und magic mushroom-Treatments helfen nicht zur Bekämpfung der Ursachen von Angstzuständen.

Prekarisierungsprozesse erfassen immer weitreichendere gesellschaftliche Schichten, für die konstante Sorgen und Ängste nun auch alltägliche Realität werden. Die internalisierten Disziplinierungstechniken wirken, kleinste Verstöße werden mit Kündigung geahndet. Allein schon das Bewusstsein darum macht uns um einiges gehöriger. Prekarisierung dringt in die satte Mitte ein, sie frisst sich rassifiziert und vergeschlechtlicht nun auch durch die Gesellschaften des globalen Nordens.


Wer profitiert davon?

Diese gesellschaftlich produzierten Realitäten machen sich besonders faschistische Ideologien zu Nutze, wenn sie als Antworten das Aufgehen im homogenen Gefüge propagieren oder wenn sie von der ermächtigenden Tat phantasieren, die den nächsten Schläfer auf die Schwelle zum Terror ruft und sich so in tätiger Gewalt manifestiert. So wendet sich die Angst gegen konstruierte Andere, die als Gefahr rassistisch, sexistisch (und immer auch klassistisch) markiert werden. Die freiheitseinschränkenden Konsequenzen des Faschismus sind strikt antifeministisch, im Kern durchzogen von Antisemitismus und werden von autoritären Gesetzmäßigkeiten definiert.

Faschismus nährt sich aus dem Paradox: zum einen selbst gesellschaftliche Ängste zu verstärken, zum anderen inszeniert er sich als einzige Kraft, der diese zu überkommen weiß. In seiner Konsequenz bedeutet Faschismus immer gesellschaftlichen Unfrieden, seine Logik fußt letztlich auf kriegerischer Auseinandersetzung.

Das einflussreiche Zine We Are All Anxious von der Gruppe Plan C aus London, auf die ich mich hier berufe, stellt Emotionen und Affekte in eine grobe Relation zu Phasen des Kapitalismus. Demnach bindet sich Kapitalismus (und Faschismus als seine zugespitzte Ausprägung) immer an dominante Emotionen und Affekte, aktuell sind es Angst und Prekarität.

Eine äußere Realität von Netzwerken der Überwachungen CCTV, Gesichtserkennungen, ständige Evaluierungen, Qualitätschecks, Tracking im Smartphone Device und nicht zuletzt der wachsame Nachbar, dem noch Denunzierung aus Diktatur und Monarchie nachhängt, übersetzt sich bis in die Tiefen unserer Träume- und Gefühlswelten.

Seit den 1970ern finden wir linke akademische Analysen, die von einer Unfertigkeit und damit Veränderbarkeit von Gesellschaft und Demokratie sprechen. Doch sind es aktuell viel mehr die Menschen, die als unfertig und inkomplett ausgegeben werden, verbunden mit Auflagen: Lifelong Learning, Gamification von Sprachapps zum Auffrischen des CVs. Dabei sichern Smartphones konstante Erreichbarkeit auf allen Ebenen und tun so ihr Übriges zur Entgrenzung des Arbeitstags. Dort noch ein Projekt zwischenschieben und permanent unsere professionelle Social Media-Identität mit Content füttern. Die Hülle ist heute vielleicht authentischer, auf jeden Fall wirkt sie vitaler als die Person, die sie pflegt.

Es sind umfassende Verwertungslogiken, die Gesellschaft dominieren: Selbstständig zerfällt in selbst und ständig. Die Abstiegsängste sind nicht nur real, sie machen uns auch handlungsunfähig. Ein gefundenes Fressen für jedes autoritäre Regime.

Prekarität in ihrer Konsequenz produziert Menschen als austauschbare Gegenstände und breite Zustände von Hoffnungslosigkeit: Mehr und mehr junge Menschen leben zu Hause bei ihren Eltern, Antidepressiva sind wie Vitaminpräparate im Umlauf, flächendeckende Verschuldungen binden Menschen noch stärker an Kontrollsysteme und ihre Dynamiken. Die gängige Feststellung ist im Westen eine stärker empfundene Einsamkeit als jemals zuvor. Politische Strategien gegen diese Vorherrschaft basieren auf veralteten Analysen:

Streiks im Betrieb sind zunehmend schwer zu organisieren und durchzuführen bei vereinzelten Arbeitsabläufen und sofortiger Austauschbarkeit durch Anheuerungen via Apps. Bei Bahnstreiks übernehmen immer mehr UBER und BlaBlaCar (in das sich zufälligerweise die französischen Staatsbahn SNCF eingekauft hat). Eher militante Aktionsformen sind mit Trauma und Angstzustände verbunden: Überwachung ist real, Strafen horrend hoch und Paragraphen wie »Terroristische Vereinigung« wirksames Mittel zur Zerschlagung jeden Widerstands und Abschreckung vor jeder Aktion.


Was kann getan werden?

Solange Angst ein »öffentliches Geheimnis« (Plan C) bleibt, bestätigt sich stetig ihre Wirkmächtigkeit. Doch kündigt sich hier schon eine erste Notwendigkeit an.

Ganz nach den feministischen Prinzipien, Wissen aus spezifischen Verortungen zu produzieren, soll zur Sprache gebracht werden, was individualisiert, um das öffentliche Geheimnis zum kollektiven Wissen zu transformieren und dadurch zur Entzauberung der unsichtbaren Wirkmacht von Angstgefühlen, wie Überforderung und wahrgenommener Hilflosigkeit, beizutragen.

Ein erster Schritt ist, mit dem Narrativ der Aussichtslosigkeit zu brechen. Durch eine Transformation von Angst und Vereinzelung zu einem politischen Begriff von Ungerechtigkeit zu kommen, ist dazu ein Schlüssel. Doch dürfen wir hier nicht stehen bleiben. Es muss eine Übersetzung in konkrete Handlungen und Aktionen gefunden werden.

Gerade weil Angst körperlich erfahren wird, muss Ermächtigung verkörperlicht passieren: Angst als Wut auf die Straße getragen werden. Widersprechen, und das laut und unbequem. Viele von uns haben eine historische Bringschuld. Lassen wir die Faschos damit nicht davonkommen! Nicht dieses Mal. Dabei niemals vergessen: Fuck ‘em while they live. Und zumindest das, dieses Mal. Doch ist Handeln auf verschiedenen Ebenen gefragt, um einen Durchmarsch der Faschos durch die Institutionen zu bremsen. Die Zuspitzung gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse schränken auch ungebremst weitere Möglichkeiten zur kritischen Bewusstseinsbildung ein. Darum gilt es auch, gesellschaftliche Errungenschaften zu verteidigen, ihr Aufgeben würde Positionen zu Gunsten faschistischer Kräfte weiter verschieben und so auch ihre Politiken von Angst ausbauen.

Verteidigt Institutionen, mit denen ihr zu tun habt: Gewerkschaften, Medienhäuser, Gerichte oder Schulen und Universitäten. Gründet oder unterstützt Betriebsrät_innen, Österreichische Hochschüler_innenschaft, abonniert Zeitschriften, richtet Spendenaufträge zu etwa Roter Hilfe etc. ein.

Brich damit, deinen eingeübten Bahnen zu folgen, bring dich in ungewohnte Position, sprich mit Menschen, zu denen du wenig Kontakt hast, fang direkt bei deinen Nachbar_innen an! Mach neue Freunde und setzt dich für ihre Interessen auf Demos und in Leser_innenbriefen ein, wenn du mit ihren Positionen etwas anfangen kannst.

In diesem neuen-alten Mix von faschistischen Bewegungen gilt es, Übersicht zu behalten. Autoritäre Regime schlachten jede Aktion zu ihren Gunsten aus und legitimieren so Freiheitseinschränkungen. Bleib gefasst, auch wenn das Undenkbare eintritt. Einschüchterungen durch Terror ist ein Herrschaftsinstrument.

In diesen Bewegungen wirst du auf andere Menschen treffen, mit denen du Beziehungen eingehst und Netzwerke knüpfst. Das baut nicht nur Vertrauen auf und Ängste ab, es bildet sich ein Myzel, wie die Wurzelarme von Pilzen, das schafft mächtige Widerstandsräume in der Gesellschaft.

Aktuell überlegen wir ein neues Format in MALMOE, von dem diese Poster-MALMOE ein erster vorsichtiger Versuch ist. Auch hier arbeiten wir kollektiv, beschäftigen uns mit unseren Realitäten und schreiben situiert aus einer bestimmten Position in der Zeit heraus, vielleicht auch das ein Raum, der es ermöglicht, gesellschaftliche Prozesse besser zu verstehen, um bei dem »Faschismus in uns allen« anzufangen, »der uns beherrscht, uns lieben macht, was wir verabscheuen«, wie das einmal treffend formuliert wurde. Denn unter der Wut liegt immer die Angst.