Die linke feministische Debatte über patriarchale Gewalt greift zu kurz. Noch immer denkt sie Betroffene fast ausschließlich als weiße heterosexuelle, ableisierte cis Frauen.
Dass Österreich nach den Morden an insgesamt acht Frauen eine breite Debatte über patriarchale Gewalt geführt hat, ist erfreulich. Wie sie geführt wird, weniger. Denn letztendlich ist der Diskurs kein antipatriarchaler, sondern ein dominant rassistischer. Darüber hinaus verteidigt er weiße patriarchale Strukturen in Österreich. Zwar gelang es der linken, feministischen Kritik, auf diese patriarchalen Strukturen und rassistischen Vereinnahmungen hinzuweisen und nicht die rassistischen Reflexe der feministischen Debatte in Deutschland nach der Kölner Silvesternacht 2015 zu reproduzieren. Wie wir an dieser Stelle thesenhaft zeigen wollen, verblieb jedoch auch die linke feministische Debatte überwiegend in weißen, cis- und heteronormativen Perspektiven.
Rassismus, Ableismus sowie Hetero- und Cisnormativität stellen grundlegende Elemente eines Patriarchats dar, welches sich im Kontext der modernen, kapitalistischen nationalstaatlichen Ordnung des Globalen Nordens formiert hat. Dies auszublenden, macht die vielgestaltigen Formen von Gewalt gegen QTBIPoC (queer trans Black Indigenious People of Color) unsichtbar. Andererseits beschränkt sich unsere Kritik nicht darauf, sichtbar zu machen, dass unterschiedlich positionierte Individuen unter patriarchaler Gewalt leiden. Als weiße ableisierte genderqueere Person und queere ableisierte Woman of Color haben wir kein Interesse an „Oppression Olympics“ oder bloßer Anerkennung als Angehörige von weiteren „Opfergruppen“. Die Morde an den acht cis Frauen sind abscheuliche Ausdrücke patriarchaler Strukturen. Wenn die feministische Linke die Debatte um patriarchale Gewalt auf die Gewalt von cis Männern an weißen ableisierten cis Frauen engführt, reproduziert sie allerdings die rassistischen, ableistischen sowie cis- und heteronormativen Dimensionen dieser Gewalt. Denn der ethnisch_völkische Nationalstaat war und ist zu seiner Re_Produktion immer rassistischsowie ableistisch cis- und heteronormativ. Vor diesem Hintergrund ist auch die aktuelle Vereinnahmung feministischer Diskurse durch die schwarz-blaue Regierung zu verstehen und anzugreifen.
Wir möchten dazu einige Zusammenhänge hinsichtlich Rassismus, Cis- und Transnormativität skizzenhaft herauszuarbeiten, die unserer Meinung für eine radikale und umfassende Kritik an patriarchalen Strukturen bedeutsam sind. So hoffen wir, einige Anregungen und Hinweise für eine feministische und linke gemeinsame Suche nach Antworten auf patriarchale Gewalt beitragen zu können.
Wer wird geschützt?
Ein zentraler Aspekt in der Diskussion um patriarchale Gewalt ist der Schutz der Betroffenen. Auch wenn sich ersteinmal nur an unterstützende NGOs oder an medizinische Hilfe gewendet wird: Möchte x, dass der Vorfall strafrechtlich verfolgt wird, führt kein Weg an der Polizei vorbei. Dabei wird immer wieder vergessen, dass auch die Polizei eine rassistische und gewalttätige Institution ist. Geschützt werden hier nur Betroffene, die sich ohne Angst vor Repressionen und Kriminalisierung an sie wenden können.
Für QTIBIPoC und trans Personen gehören polizeiliche Übergriffe leider schon zum Alltag, sie verbinden den Gedanken an die Polizei eher mit Angst und Gewalt, als mit Schutz und Unterstützung. Betroffene ohne Aufenthaltstitel sehen sich mit besonders schweren Hürden konfrontiert. Sie können keine Hilfe bei der Polizei ersuchen, da ihnen Abschiebung und Schubhaft drohen. Gleichzeitig befinden sich viele, durch fehlende Arbeitserlaubnis in einer finanziellen Abhängigkeit von d_ Gewalttäter*in. Migrant*innen und generell Personen, die einen erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt haben und deren gesellschaftliche Teilhabe nicht gesichert ist, sehen sich häufig gezwungen in gewaltvollen Beziehungen zu bleiben. Darüber hinaus kommt es auch immer wieder zu Übergriffen seitens des Personals in Unterkünften für Geflüchtete, doch wird in den meisten Fällen nicht der betroffenen Person geglaubt. Viele Betroffene von Gewalt berichten davon, dass bei Gesprächen mit der Polizei ihre eigene Glaubwürdigkeit in Frage gestellt oder gar eine Mitschuld impliziert wird. Nicht selten kommt es zu Retraumatisierungen. Für Schwarze Frauen und Women of Color, genauso wie für QTBIPoCs ist es gleichzeitig schwierig, Fälle zu melden, wenn die Täter*innen rassistische Diskriminierung durch die Polizei zu erwarten haben.
Was wird dokumentiert?
Ich habe es schon selbst erlebt, dass nach einem sexualisierten und rassistischen Übergriff die Polizei (die von Anwesenden gerufen wurde) dann überfordert war und nicht recht wusste wie sie es jetzt einordnen soll. Natürlich wurde auch beides wieder durch Kommentare von der Exekutive in Frage gestellt. Bei einer späteren Zeuginnenaussage wurde mir dann nahegelegt, mich auf den sexualisierten Übergriff zu konzentrieren, da rassistische Beleidigungen nicht wirklich Chance in einem Prozess haben würden. Mit anderen Worten: Ich solle mich doch einmal entscheiden, welche der beiden Diskriminierungsformen denn jetzt schwerwiegender seien. (Shenja)
Wie Kimberly Crenshaw beschrieb, sind Schwarze Frauen im Rechtssystem nicht geschützt. Sie, die den Begriff der Intersektionalität prägte, macht deutlich, dass verschiedene Diskriminierungsformen nicht voneinander zu trennen und deshalb nur verschränkt zu betrachten sind. Der beschriebene Fall wirft auch die Frage nach der Dokumentation solcher Fälle auf. Wird ein solcher Fall nun als rassistisch oder sexistisch eingestuft? Häufig wird nicht einmal eine der Dimensionen anerkannt.
Abgesehen davon, dass viele Fälle nicht gemeldet werden und so nicht in Statistiken auftauchen, gibt es für viele Menschen gar keine oder nur unzureichend Statistiken. Was ist zum Beispiel mit Menschen die nicht binär sind? Die Frage von der geschlechtlichen und damit patriarchalen Ebene wird hier unsichtbar, wenn im binären Geschlechterregime Täter*in und Betroffene*r demselben Geschlecht zugeschrieben werden. Die aktuellste Studie zu Gewalt an trans Menschen in der EU ist von 2014. Sie zeigt auf, dass 34% der Befragten trans Menschen in den letzten fünf Jahren vor der Studie physische Gewalt erfahren haben oder ihnen angedroht wurde. Wir haben 2019 und noch immer liegen keine aktualisierten und national aufgeschlüsselten Daten vor, genauso wenig wie repräsentative Studien. Angesicht des autoritären, neoliberalen Backlashs besteht keine Hoffnung zur Annahme, die Situation hätte sich gebessert. Zur Gewalt gegen Schwarze Frauen und Women of Color sowie QTBIPoC in der EU gibt es keinerlei Statistiken, die von staatlichen oder EU-Institutionen erhoben wird. Offenbar besteht kein Wille, diese Gewalt zu dokumentieren und sie sprechbar zu machen. Wieder werden Menschen, die nicht der weißen hetero-cis Norm entsprechen, unsichtbar gemacht.
Patriarchat ist immer rassistisch
Uns erscheint angesichts dessen ein intersektionales und mehrschichtiges Verständnis von Patriarchat zentral. Zwar ist das Patriarchat universell über männliche Herrschaft definiert. Jedoch artikuliert sich diese Herrschaft für und in unterschiedlich racialized_ethnisierten Gruppen in der postkolonialen österreichischen Gesellschaft in widersprüchlicher Weise. So ist es mit der Entstehung des Nationalstaats, dessen ethnischer Fundierung sowie im Kontext des Fortdauerns der kolonialrassistischen Züge der Moderne untrennbar verwoben mit der Vorstellung der weißen Nation. Die Kontrolle über weibliche Körper und deren Reproduktionsfähigkeit als zentrale Elemente patriarchaler Strukturen bedeutet für weiße und racialized_ethnisierte Körper insofern unterschiedliches. Zielt der Zugriff auf weiße ableisierte, weiblich gelesene Körper auf deren Verfügung in heteronormativen Beziehungskonstellationen mit dem Ziel, mit möglichst vielen Kindern die weiße Nation zu reproduzieren, kommt dem racialized_ethnisierten oder dis-ableisierten weiblichen Körper eine andere Rolle zu. Weiblich gelesene Körper von Schwarzen Personen und People of Color werden hypersexualisiert: Sie gelten für weiße Begierde leicht verfügbar und bedrohlich zugleich. Zu exotisierten Objekten gemacht, sollen sie sich in kolonialer Tradition nur reproduzieren, wenn es dem wirtschaftlichen Interesse der weißen Nation dient.
Allgemein äußert sich patriarchale Herrschaft für eine Vielzahl nicht-normativer Körper gerade eher in Strukturen, die in ihre Generativität eingreifen, um die Geburt nicht-normativer Kinder zu verhindern. Beispiele sind etwa dieZwangssterilisationen von Schwarzen Frauen in den USA bis 1981 sowie die noch immer auch in Österreich im Verborgenen stattfindenden Zwangssterilisationen von be_hinderten Menschen. Ebenso gilt dies für die von der Regierung geplante Deckelung der Mindestsicherung. Denn es sind überproportional viele racialized_ethnisierte Familien, die von der Kürzung betroffen sind.
… sowie cis- und heterosexistisch
Neben seinen rassistischen und ableistischen Einschreibungen ist es uns wichtig, die hetero- und cisnormativen Dimensionen des modernen, hiesigen Patriarchats deutlich zu machen. So ist das gegenwärtige Patriarchat durch die Norm gleichgeschlechtlicher FreundInnenschaften und zweigeschlechtlicher romantischer Beziehungen charakterisiert. Freundinnenschaften sollen dabei die emotionale Arbeit leisten, um heteronormative, auf Zweigeschlechtlichkeit basierende Familien zu stabilisieren. Denn die romantische Liebe ist noch immer stark mit normativer Zweigeschlechtlichkeit und dem Ziel verbunden, (möglichst leibliche) Kinder zu bekommen. In diesen Vorstellungen haben trans Körper keinen Platz: ihre Elternschaft wird unsichtbar oder zum Spektakel gemacht.
Gleichzeitig ist patriarchale Männlichkeit auf die Fiktion angewiesen, immer begehrt, stets heterosexuell und abgeschlossen und kohärent und damit stabil zu sein. Diese Männlichkeit wird durch eine Vielzahl queerer Figuren immer wieder in Frage gestellt. In der Folge bedeutet Patriarchat für diese Figuren das ständige Erfahren vielfältiger Formen von Gewalt. So verkörpert der transweibliche Körper, wie der nicht heterosexuell begehrende Körper, die cis Männern innewohnende Angst des Verlusts von Männlichkeit, da er die nie vollständig gelingende Männlichkeit in ihrer Instabilität zeigt. Der transmännliche Körper stellt unterdessen Männlichkeit in Frage, weil er auf die Konstruiertheit von Männlichkeit verweist und damit auf deren fiktionalen Charakter. Auch die Figur der Lesbe stellt patriarchale Männlichkeit in Frage.Sie verweigert sich der für patriarchale Männlichkeit notwendigen Vorstellung der Verfügbarkeit weiblich gelesener Körper für Männer.
Patriarchat in und außerhalb unserer Communities
In linksradikalen Communities wird sich häufig damit gebrüstet, herrschaftsfrei zu sein. Doch auch wenn es mittlerweile Konzepte und Ansätze gibt, fällt es immer wieder auf, dass auf Gewalt an FLINTQ Personen entweder gar nicht oder mit großer Überforderung reagiert wird. Auch in queeren Communities wird sich zu wenig mit Gewalt in der eigenen Community auseinandergesetzt. Die mehrheitlich weiße queere Szene verweigert sich immer noch einer Auseinandersetzung mit weißen Privilegien. Gerade für QTBIPoCs ist es angesichts dessen besonders schwer, sich in dieser Gehör zu verschaffen, mit patriarchalen Übergriffen aus der queeren Community umzugehen, sie zu überleben und Strukturen zu kritisieren.
Wenn wir im Kontext der Debatte um gesamtgesellschaftliche patriarchale Gewalt den Blick auch auf unsere queeren und linken Szenen wenden, wollen wir gerade nicht dem individualisierenden und bürgerlichen Impuls folgen, nachdem jede*r bei sich selbst anfangen soll. Nichtsdestotrotz wollen wir nicht von eigener Verantwortlichkeit entbinden. Die Aufmerksamkeit auf gesamtgesellschaftliche Verhältnisse ist für uns mindestens ebenso wichtig wie die innerhalb unserer Communities. Vielmehr werden mit dem Blick auf unsere queeren und linken Kontexte diese vielfältigen und subtilen Erscheinungsformen patriarchaler Gewalt sichtbar, die in der gesamten Gesellschaft mit Formen extremer physischer und struktureller Gewalt in Wechselwirkung stehen. Gewalt in FLINTQ Kontexten zeigt auch, dass patriarchales Verhalten nicht nur an männliche Körper gebunden ist. Wenngleich in unterschiedlicher Weise, adressieren Männlichkeit und Patriarchat verschiedenste Körper und Individuen. Sie machen patriarchales Verhalten für sie attraktiv und werfen für sie Dividenden ab.
Wege für eine queerfeministische, antirassistische, antipatriarchale Politik
Nach „innen“ zu schauen, kann insofern zu einer grundlegenderen und aufmerksameren Kritik gesellschaftlicher Strukturen führen: Sofern es meint,wachsam dafür zu sein, wie verschiedene gesellschaftliche positionierte Individuen innerhalb und außerhalb unserer Szenen in unterschiedlichen Formen und Graden unter dem Patriarchat leiden – und von ihm profitieren. Gleichzeitig verhindert der kritische Blick auf unsere Szenen, diese dichotom als ausschließlich sichere Häfen und andere Kontexte allein als gewaltvoll zu begreifen. Ein solcher Blick ermöglicht Bündnisse zwischen Betroffenen patriarchaler Gewalt.
In diesem Zuge kann eine Perspektive, welche die rassistischen, hetero- und cisnormativen Einschreibungen im Patriarchat anerkennt, wichtige Hinweise auf der Suche nach Verbündeten in antipatriarchalen Kämpfen liefern: QTIBIPoCs, weiße Queers und trans Personen etwa. Schließlich kann uns eine solche Perspektive auch darauf aufmerksam machen, wann unsere linken und feministischen Kämpfe bei aller scharfen Kritik an der patriarchalen und rassistischen Politik der Regierung auch zu ungewollten Kompliz*innen für ethnisch-nationalistischen und völkischen Ideologien und Politiken werden. Um radikal antipatriarchal zu sein, muss sich linke und feministische Politik darum auch gegen die rassistischen, ableistischen, cis- und heteronormativen Dimensionen patriarchaler Gewalt richten.