MALMOE

Unbehagliche Männlichkeit

Gestörtes Störendes #23

(CN Pornographie, Gewalt)

Ich fühle mich schon eine Ewigkeit lang unbehaglich mit Männlichkeit. Deswegen ist sie zu einem zentralen Thema meines Lebens geworden, an dem ich mich beständig abarbeite. Es ist mir wie eine Haut, die nicht ganz passt. Eine bestimmte Art von Mann macht mir Angst, mit dieser Grobheit, der Konkurrenz, dem Geprahle, der Härte. Ich bin auf ganz persönlicher Ebene sehr froh, dass das „erlaubte“ Spektrum an „Männlichkeit“ sich erweitert und etwas aufgeweicht hat. Ich wünschte, ich hätte mehr Mut, noch mehr mit meiner Ästhetik zu spielen, die Grenzen mehr zu verschieben. Jedenfalls ging es neulich in einem Gespräch mit (prä-)pubertierenden Jungs um Pornographie. Da hatte ich plötzlich das Gefühl, dass sich da inhaltlich nicht wirklich was geändert hat. Ja, die Verfügbarkeit ist ganz anders und „deep fakes“ sind nur ein Beispiel für „neue“ Inhalte, aber die Art der Pornographie ist mehr oder weniger dieselbe. Zumindest die Mainstream-Pornographie, von der ich hier rede.

Die Mainstream-Pornographie ist ein Einübungsfeld in patriarchale Sexualität, in der alles sich um den Phallus dreht, das zentrale Organ der Lust. Der erste Pornofilm, der richtig in den regulären Kinos lief und laut Wikipedia den „Porno-Chic“ der 1970er-Jahre maßgeblich mitauslöste, war Deep Throat, in welchem es um eine Frau geht, deren Klitoris sich (praktischerweise für die Männer!) in ihrer Kehle befindet, weswegen sie nur per Oralsex an einem Mann zum Orgasmus kommen kann. Dummer und platter geht es fast nicht. Aber es drückt sich darin die Phantasie des patriarchalen Mannes aus, dass sein Phallus der ultimative Lustspender und überhaupt ganz toll und wichtig sei. Die Hauptdarstellerin wurde übrigens vom Produktionsleiter, der ihr damaliger Partner war, schwer misshandelt, genötigt und missbraucht und um das Honorar betrogen.
Diese Art von Pornographie ist nur Symptom unaserer phallozentrischen Kultur. Im Gespräch mit den Jungs wurde schnell klar, dass Oralsex „Blowjob“ bedeutet und Sex phallische Penetration der Vagina. So weit so fad. Es fühlt sich so an, als hätte sich da gar nichts geändert in den letzten 30 Jahren.

Der Phallozentrismus fixiert den Mann in seiner Position, er muss eindeutig sein, darf nicht fließen, aufweichen. Er ist selbst nur kraft seines Körpers, Ausdruck der patriarchalen Herrschaft, insofern diese ein Zeichen braucht, eben den Phallus. Der Phallus muss nicht unbedingt als Penis da sein, er kann auch durch „männliches“ Gebaren suggeriert werden, wie z. B. bei Transmännern, die als Männer „durchgehen“ („passing“), aber nicht unbedingt einen Penis bzw. ein „Penoid“ haben. Es geht um die Zuweisung, das Zugerechnet-Werden, die Identifizierung. Sobald diese passiert, hat mann Zugang zu Männerwelten, -räumen, -praxen.

Es scheint mir, als gäbe es eine absurde und lächerliche Parallelität zwischen Männlichkeit und erigiertem Penis: Härte gepaart mit Hyperempfindlichkeit, schnelles Aufblasen vs. Zusammenfallen. Männlichkeit lebt von der Abgrenzung zur unterworfenen und abgewerteten Weiblichkeit. Hierin scheint mir die Unflexibilität von „Männlichkeit“ zu liegen. Es gibt auf der „männlichen“ Seite kaum Pluralisierung, es gibt kein Äquivalent zu FLINTA*, also Frauen/Lesben/Inter/Trans- und Agenderpersonen. Es gibt Männer und dann alles andere. Ich finde, das gehört aufgeweicht, vervielfältigt, bunter und durchlässiger gemacht. Ich wünsche mir Femboys, Sissies, Tunten, Transen, Bis, Gays, Transmänner usw. Das ergäbe z. B. das schöne Akronym mit Aufforderungscharakter BiFeSTTTGay. Da müssen wir noch dran feilen. Wenn wir Männlichkeit vervielfältigen, aufweichen und diversifizieren, bekämpfen wir gleichzeitig patriarchale Verhältnisse. Es kann ja nicht sein, dass alle Subjektivitäten, die anders sind, aus der Kategorie „Mann“ rausfallen und zur Diversität auf der „weiblichen“ bzw. der nicht-männlichen Seite beitragen. Sicher, das würde, konsequent weitergedacht, auch zur Auflösung der Kategorien führen, aber das scheint mir doch eine recht theoretische Annahme. Ich wünsche mir, dass der männliche Körper in seiner Verletzlichkeit, Durchlässigkeit und Zartheit sichtbarer wird, dass auch der Penis eine scheue Pflanze sein darf, die umschlossen wird, weg vom Bild der Penetration hin zu jenem der Circlusion (Bini Adamczak). Auch wenn mir meine „männliche“ Haut nicht ganz passt, ordne ich mich doch dieser Kategorie zu. Ich bin sicher nicht trans, aber ich bin auch nicht ganz cis. Sosehr ich dieses die Norm sichtbar machende Appendix wichtig finde, reproduziert es doch auch eine Eindeutigkeit, die es so gar nicht gibt. Der Raum für Vielfalt und Widersprüchliches im als monolithisch imaginierten Raum von „Männlichkeit“ muss meiner Meinung nach dringlich geöffnet werden.