Gestörtes Störendes #22
Wir sind umgeben von Dingen. Dinge, die wir brauchen, um uns zu ernähren, präsentabel zu machen, zu regenerieren und solchen, die herumliegen, verstaut sind oder gelagert werden. Die meisten dieser Dinge haben wir gekauft. Sie sind Waren. Ist ein Ding kaputt, wird es ersetzt. Ein funktionales Verhältnis. Andererseits binden wir uns auch an bestimmte Dinge, wir mögen sie, brauchen sie, begehren sie und machen sie zu einem Teil von uns. Ein persönliches Verhältnis.
Eines dieser Dinge sind Socken. Sie sind ein gewöhnliches Kleidungsstück, das zu unserem Alltag gehört. Vielleicht sind sie uns nicht so wichtig, da sie zwischen Schuhen und Hosen nicht auffallen. Es kann zu Momenten der Anspannung kommen, wenn wir in bestimmten Situationen unsere Schuhe ausziehen müssen: Dann stellt sich die Frage, ob unsere Socken sauber und heil sind.
Ich trage gern bunte Socken. Sie sollen ein Hingucker sein. Allerdings ein versteckter. Sie bilden einen Kontrast zu den sonstigen Farben meines Outfits, die oft unauffällig sind. Dahinter verbirgt sich mein Wunsch, aufzufallen, ohne zu sehr aufzufallen. Gleichzeitig möchte ich mit bestimmten Männlichkeitsbildern brechen, indem ich bei diesen Kleidungselementen Verspieltheit zeige.
Das passt zur Idee flippiger Socken in einem allgemeineren Sinne: Angepasste Menschen zeigen durch ausgefallene Socken, dass hier mehr los ist, als auf den ersten Blick vermutet. Das ist die Warenästhetik der „glücklichen Socken“, wie eine einschlägige Marke übersetzt heißt. Deren Homepage verrät, dass sie die Welt glücklicher machen wollen durch fröhliches Design und nachhaltige Produktion. Diese Firma hat aber gar keine eigene Produktion, sondern lässt in Ländern mit niedrigen Produktionskosten herstellen. Sie verlassen sich auf „Gütesiegel“ der Produktionsstätten, oft eine reine Augenauswischerei. Neben billiger Arbeit werden meist auch billige Materialien verwendet. Ich jedenfalls beginne meine Tage sehr oft damit, Löcher in meinen „glücklichen Socken“ zu flicken. Die sind von der Qualität her nämlich absoluter Schrott. Manche Löcher zeigen sich schon beim zweiten Mal Tragen. Nach einigen Monaten ist der Stoff oft derart brüchig, dass sich ein Nähen nicht mehr auszahlt.
Was sagt uns diese Ware über uns selbst, über unsere Subjektivität in kapitalistischen Verhältnissen? An den „glücklichen Socken“ zeigt sich das falsche Ganze: Unter ausbeuterischen Bedingungen werden sie produziert und ihre Geschichte durch Nachhaltigkeits- und Positivitätsgebrabbel verschleiert. Gleichzeitig lassen sich die Umstände und Bedingungen ihrer Produktion, also billiges Material und extremer Arbeitsdruck, nicht auslöschen.
Auf den Menschen umgelegt scheint das doch gut zur Tendenz zur Selbstoptimierung zu passen, die nach außen Effizienz, Perfektion, Spaß und Vielfalt präsentiert, während die eigenen Unzulänglichkeiten, Brüchigkeiten, Risse, Verletzungen verborgen werden. Wir versuchen, uns durch positives Denken am Funktionieren zu halten. Dabei ist es vielleicht in Wirklichkeit so, dass wir einsam sind, traurig, enttäuscht, bedürftig, orientierungslos usw. Das zuzugeben ist aber was für „Loser“. Stattdessen spinnen wir mit an der Illusion von Erfolg und Machbarkeit.
Die individualistische Antwort auf den individuellen Stress heißt sehr oft „Achtsamkeit“, was nicht prinzipiell schlecht ist, wohl aber in dieser Kombination. Verbinden wir sie mit Gesellschaftskritik bzw. Antikapitalismus, schaut die Situation anders aus, dann nämlich achten wir die Dinge und uns selbst, unsere Grenzen, unsere Gefühle, unsere Bedürfnisse, unsere Verletzungen. In diesem Sinne sehe ich das Flicken meiner Socken: Ich schätze sie mit ihren Löchern und Schwachstellen und kümmere mich um sie. Das gelingt mir bei ihnen manchmal besser als bei mir selbst. Hinsichtlich Akzeptanz meiner Grenzen und Schwächen sowie meiner Unzulänglichkeiten gibt es Luft nach oben. Diese zu zeigen ist allerdings riskant, da Ablehnung, Herabwürdigung, Spott und ähnliches mehr neuerliche Verletzungen darstellen: Schläge auf wunde Stellen, Schnitte auf Narben, Überbeanspruchungen brüchiger Stellen.
So können mir meine Socken bei Gesellschaftskritik ein Ausgangspunkt sein für mich selbst, denn ich weiß um ihre Produktionsbedingungen und kann ihnen diese nicht vorwerfen, das wäre lächerlich. Bei uns selbst und anderen Menschen machen wir das aber. Der Imperativ der Selbstoptimierung gebietet es. Wir sind handelnde Subjekte und entwickeln uns, das unterscheidet uns von Dingen. Trotzdem gilt es, die gesellschaftlichen, sozialen und familiären Bedingungen unserer Subjektwerdung in den Blick zu nehmen. So wie wir allzu oft einen funktionalen Blick auf die Dinge haben, sind wir selbst viel zu oft einem solchen unterworfen. Wir sind dann nicht Mensch, sondern Arbeitskraft, Informationsquelle, Dienstleister*in usw. – Mittel zum Zweck.
Wenn ich mir unsere Spiegelung in den Dingen bewusst mache, bewege ich mich weg von einem funktionalen Verhältnis hin zu einem beziehungsorientierten. Dadurch habe ich die Chance, achtsamer im Umgang mit ihnen und auch mit anderen Menschen zu werden. Es macht mich freundlicher und sorgender und lässt mich den Blick schärfen hinsichtlich beschädigender Strukturen und Bedingungen.