MALMOE

Unterhaltsverfahren 
vor Gericht

Zwei Fälle, die an einem Dienstag im Oktober vor einem Wiener Bezirksgericht verhandelt wurden, stehen stellvertretend für tausende dieser Art: Die unterhaltspflichtige Person leistet keinen oder zu wenig Unterhalt, Rückzahlungen stehen aus, es wird kein Urteil gesprochen, stattdessen vertagt – Kinder bleiben in Armut.

Auffallend viele Linke wissen relativ wenig, wenn es um Unterhaltszahlungen in Österreich geht. Das hat mehrere Gründe. Ein gewisses Desinteresse besteht wohl am Thema Kinder ganz generell. Hinzu kommt die marginalisierte Position von Betroffenen, denen es aufgrund ihrer aufreibenden Alltagsbewältigung kaum möglich ist, in linken Strukturen teilzunehmen. Ihre Abwesenheit wird dann wiederum gerne als fehlendes Interesse an linken Kämpfen missverstanden. Care-Verpflichtungen werden einfach auch hier nicht ausreichend mitbedacht.

Ein zweiter Grund ist die Ignoranz, die dem Thema von politischer Seite entgegenschlägt. Zahlreiche Forderungen in Bezug auf die Verbesserung der Situation von Ein-Eltern-Familien bestehen bereits seit mehreren Jahrzehnten. Vor Wahlen sorgt sich mittlerweile zwar jede Partei gern, die Umsetzung dieser Sorge wird dann aber leider stets „vergessen“.

Dabei ist die grassierende Armut unter Alleinerziehenden weitgehend bekannt. 162.000 Alleinerziehende leben in Österreich, neun von zehn sind Frauen. 45 Prozent von ihnen leben in Armut. Damit sind sie nach geflüchteten Menschen die Gruppe mit der höchsten Armutsgefährdung. Eine von vielen Ursachen liegt in den fehlenden oder zu niedrigen Unterhaltszahlungen. Wie eklatant sich die Problemlage gesamtgesellschaftlich darstellt, wissen wir seit diesem Herbst zum allerersten Mal auch offiziell. Die Regierung kam einer jahrzehntelangen Forderung feministischer Organisationen endlich nach, nämlich der statistischen Erhebung von validen Zahlen zu Unterhaltszahlungen. Die Lage ist deutlich schlimmer, als alle vorangegangenen Umfragen von feministischen Organisationen bisher angedeutet haben. Die Ergebnisse in Kurzfassung: 36 Prozent der Kinder erhalten gar keinen Unterhalt, das sind 59.000; davon haben 27 Prozent auch keinen Anspruch auf Alimente (44.000 Kinder). Rund zehn Prozent erhalten Unterhaltsvorschuss, im Mittel 250 Euro. 51 Prozent der Kinder erhalten Unterhalt, durchschnittlich 301 Euro. Vier Prozent beziehen eine Halbwaisenrente, wobei es doppelt so viele Halbwaisenkinder gibt, die keine Rente beziehen. Wenn man nun die Regelbedarfssätze von 2021/22 heranzieht – also jene Höhe, die ein Kind in Österreich laut Kinder- und Jugendwohlfahrt zum Leben benötigt –, zeigt sich deutlich, wie drastisch die niedrigen oder nicht vorhandenen Zahlungen wirken. Die Statistik Austria promotet dazu die neuen Zahlen feierlich: „82.000 minderjährige Kinder von Alleinerzieherinnen bekommen Geldunterhalt vom Vater“ und „16.000 erhalten Unterhaltsvorschuss, welcher im Mittel bei 250 Euro liegt“. Ganz so, als ob die Ergebnisse der ersten Studie dazu nicht komplett skandalös wären.

Über ein Drittel aller Unterhaltsverfahren landen vor Gericht

Der erste Fall am Bezirksgericht landete dort, weil der Vater seit zehn Jahren keinen Unterhalt für seine 12- und 14-jährigen Kinder zahlte. Er gab an, dass er davon ausging, dass ihm der Unterhalt automatisch vom Lohn abgezogen worden wäre. Sein Lohn würde sehr unregelmäßig ausbezahlt. Er arbeite als LKW-Fahrer im Springerdmodus und verdiene zwischen 1600 und 1800 Euro netto im Monat. Die Frage, die sich aufdrängt: Wie kann es sein, dass diesem Vater zehn Jahre nicht mitgeteilt wurde, dass er Unterhalt für seine zwei ältesten Kinder zahlen muss? Vor allem wenn der Fall durch die Jugendwohlfahrt vor Gericht gebracht wurde. Auch seine Frau hätte angeblich nie etwas gesagt, obwohl sie in einer guten Beziehung stünden. Der Richter empfahl einen Termin bei der Kinder- und Jugendwohlfahrt, um dort eine Unterhaltsvereinbarung zu unterzeichnen. Damit ist eine zwischen den Elternteilen getroffene Übereinkunft über Alimentationszahlungen in einer bestimmten Höhe gemeint. Falls dem nicht nachgekommen wird, wird die vereinbarte Höhe für den staatlichen Unterhaltsvorschuss herangezogen. So eine Vereinbarung muss alle paar Jahre erneuert werden. Das Jugendamt empfiehlt als Höhe 16 bis 22 Prozent des Nettoeinkommens. In diesem Falle forderte das Jugendamt 290 Euro pro Kind, wobei der Angeklagte von 200 Euro ausgegangen war. Der Richter ermutigte den Vater auf eine äußerst verständnisvolle Art, er solle sich einen Termin ausmachen und könne dann ja eine Herabsetzung beantragen. Moralische Belehrungen, wie bei dem kurz zuvor verhandelten Fall einer alleinerziehenden Handelsangestellten (Ladendiebstahl), blieben aus.

Ja, es gibt eine Playboygrenze

Hier liegt wohl ein Kernproblem im Unterhaltsgesetz: Alimente werden gerne so hingestellt, als würden sie Kinderarmut einen Riegel vorschieben. Der Gesetzgeber hat mit der sogenannten Playboygrenze (so steht es im Gesetz) eine obere Beschränkung eingezogen, die dem Unterhaltszahlenden maximal das 2,5-Fache vom Regelbedarfssatz abverlangt, unabhängig von der tatsächlichen Höhe des Einkommens. Der Staat kümmert sich also um die Verhinderung einer möglichen Überalimentierung – nach unten hin gibt es jedoch keine verpflichtende Mindestgrenze für Alimentationszahlungen. Hier steht auf der einen Seite Schutz für gutverdienende Unterhaltspflichtige (meist Männer) und fehlende Absicherung für Kinder und Jugendliche auf der anderen. 10 bis 30 Euro Unterhaltsvorschuss sind in Österreich keine Seltenheit. Die allermeisten feministischen Organisationen fordern daher, genau wie der Aufstand der Alleinerziehenden, eine bedingungslose, an den Regelbedarfssätzen orientierte Unterhaltsgarantie, gänzlich unabhängig vom zweiten Elternteil. Die Verhinderung von Kinderarmut ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Demgegenüber steht die neoliberal-konservative Individualisierung und Privatisierung von Verantwortung für die dramatische ökonomische Lage für Alleinerziehende (meistens auf die ohnehin bereits unbezahlte Care-Arbeit verrichtende Person), welche das derzeitige System dominiert.

Kinderarmut abschaffen

Der zweite Fall an diesem Dienstag zeigt deutlich, warum die Praxis im Bereich Alimente deutlich zu kurz greift. Ein vierfacher Vater zahlte für das älteste Kind (15 Jahre) nicht ausreichend Unterhalt. Er ist Mitte 30, chronisch krank, nicht arbeitsfähig und war die letzten drei Jahre obdachlos. Seit kurzem hat er wieder eine eigene Wohnung und bezieht nun die Mindestsicherung. Er kümmert sich um alle vier Kinder, hält Termine ein, für zwei Kinder hat er vor kurzem die Obsorge erhalten. Wenn alles gut geht, könnten zwei von ihnen bald zu ihm ziehen.

Wenn man einen kurzen Blick auf die Regelbedarfssätze wirft, wird sofort klar, dass eine Person mit einem Mindestsicherungsbezug von ca. 850 Euro monatlich unmöglich für vier Kinder Unterhalt in ausreichender Höhe zahlen kann, selbst wenn der Wille da ist. Alleine um den Bedarf des 15-jährigen Kindes decken zu können, bräuchte es nach den Regelbedarfssätzen 488 Euro monatlich. In einer hochgradig ökonomisch ungleichen Gesellschaft bewegen sich auch die (unmöglichen) Alimentszahlungen entlang dieser Ungleichheiten. Die Regelbedarfssätze beruhen zudem auf einem fiktiven Warenkorb aus dem Jahr 1964, welcher besagt, wie viel Geld ein Kind in Österreich kostet. Dieser wurde seitdem nur der Inflation angepasst. Hier braucht es dringend eine neue Kinderkostenstudie, um diese Sätze ans 21. Jahrhundert anzupassen.

Eine radikale feministische Perspektive auf die Armutsgefährdung von Alleinerziehenden und deren Kindern muss Lösungen jenseits der zweiten, sich manchmal in hochgradig prekären Situationen befindlichen Person fordern. Es wäre höchste Zeit, eine unabhängige Grundsicherung von Kindern in Österreich einzuführen. Laut Volkshilfe leben 350.000 Kinder und Jugendliche in Armut. Jedes fünfte Kind in Österreich ist betroffen. Eine staatlich garantierte Versorgung in Form einer bedingungslosen Unterhaltsgarantie, die sich unabhängig von der Situation der zahlungspflichtigen Person mindestens nach der Höhe der Regelbedarfssätze richtet, wäre hier ein längst überfälliger Schritt, um den mehrfachen Ungleichheiten im Kontext von Unterhaltszahlungen entgegenwirken zu können.