Alles ach so echt: Die ORF-Fernsehserie Ein echter Wiener geht nicht unter vermittelte in der Kreisky-Ära proletarische Alltagskonflikte in Favoriten (gedreht im Studio). Heute dient sie als wertbeständige Kapitalgröße im Marketing von Standort, Identität und „Kulturerbe“
Favoriten (das i kurz gesprochen): 10. Bezirk Wiens, „drittgrößte Stadt“ Österreichs. „Die Hasengasse ist das Herz von Favoriten“, heißt es 1979 in der 23., vorletzten Folge von Ein echter Wiener geht nicht unter. Diese ORF-Serie spielt vorwiegend dort: in einem Gründerzeit-Mietshaus in der Hasengasse in Favoriten. Vielmehr: am Wohnzimmer-Esstisch der Arbeiter*innenfamilie Sackbauer. Deren cholerischer Patriarch Edmund – Mundl – sagt den Satz mit Herz, gefolgt von einem seiner Wutanfälle, in diesem Fall darüber, wie sich alles ändert: Nicht nur brauchst du für die 1979 neuartigen Bierflaschenkapseln plötzlich einen Öffner – auch „des Platzl, den Reumannplatz, hams zu ana Gängerzone gmacht!“
Ein echter Wiener geht nicht unter war von 1975 bis 1979 eine Sitcom mit wenigen Außendrehs. Im Zentrum stand der typische Wohngemeinschafts- oder Familien-Versammlungsort: das Wohnzimmer. Große Teile dieses, wie es hieß, „Fernsehspiels“ hätten live gesendet werden können: Nicht der Schnitt regiert, sondern lange Einstellungen, Schwenks, Zooms. Auch bei der Kamera – um Mundl zu zitieren – „gibt’s ka Zittern“. Und: Ein echter Wiener geht nicht unter könnte auch in Wien-Meidling oder Wien-Erdberg spielen. Anders als im ORF-Serienerfolg Kaisermühlen Blues 1992–1999, ebenfalls geschrieben von Ernst Hinterberger, wird hier kein Regionalraum durchquert, keine „Welt“, keine Soziotop-Ökologie. Vielmehr entwirft Ein echter Wiener geht nicht unter – in flacher Video-Optik, ohne Musik-Score und Signation – einen Raum fast nur aus Kräfte-Konstellationen heraus: aus Lebensweisen, die zusammenprallen, aus Positionen, die stur gehalten oder bestürmt werden. Diese Kräfte sind primär sozial definiert – und davon ausgehend politisch konturiert: alltagskulturell, im Gendering, im Ethnischen. Kräftekollision in Abwesenheit eines einhüllenden Sounds (kein Blues in Favoriten) heißt: Soundscape und „Feeling“ von Ein echter Wiener geht nicht unter kommen aus dem aufgedrehten Schauspiel.
Das heißt – neben viel Torkeln und Armrudern, zumal beim Bier-Öffnen –, das Schreiduell ist die exemplarische Form der Kommunikation.
Esstisch „mitten in Favoriten”
Da ist zweierlei Projektion am Werk. Erstens die Zuschreibung, dass proletarische Leute, zumal Männer, immer gleich heißlaufen und rumschimpfen, mit einem engen Repertoire an Sprüchen. Und zweitens, seitens der Gestalter*innen, die öffentliche Projektion eines signature feature, nämlich dem der – so hieß das damals – „ordinären“ Ausdrucksweise, besonders von Edmund Sackbauer. In der Erstrezeption der Serie bot die Gewagtheit der Dialoge Stoff für Kontroversen. Im Unterschied zum konservativ getönten heutigen „Mundart-Kulturerbe“-Trend war dies eher ein Stück sozialrealistisch erweiterte Repräsentationskultur der blassroten Kreisky-Ära – und ein Mediencoup mit Event-Flair („Aufreger“), bei dem alle dabei sein konnten. Zeitzeugenschaftlich gesagt: Gern hätte ich damals (war aber mit acht, neun, zehn Jahren zu klein) diese „Fernsehsendung“ gesehen, von der es hieß, da werde so viel „im Dialekt geschimpft“. Was meine Mutter, stets um Bekräftigung ihres Klassenaufstiegs zu den Angestellten bemüht, sehr störte, während mein Vater es gut fand, wohl als ein Ventil in ebendiesem fordernden Aufstieg, – war etwa Mundls Wording „Mastdarmakrobat! Oaschkräuler!“ zur Beschreibung eines schleimenden Kollegen.
Überhaupt: Mundl. Anders als beim Kaisermühlen Blues-All-Star-Ensemble verdichtet Ein echter Wiener geht nicht unter das eigene Serien-Image in der sprücheschleudernden Hauptfigur nach ihr, also mit der Mundl, und kaum beim Originaltitel nennen die meisten heute diese Serie. Vergleichbar damit ist im Austro-Populärkulturbestand, dass die Heimatkomödie Der Hofrat Geiger (1947) unter einem anderen Titel erinnert wird, nämlich als Mariandl, benannt nach der vierten Hauptfigur (und dem „Hitsong“) des Films. Mundl, Mariandl: Abgesehen vom dl-Diminutiv liegt da eine Verbindung in Hans Moser, einem Star des Hofrat-Films, dessen „Grant“ und „gschaftige Cholerik“ in Mundl Sackbauer nachhallt. Mundl-Darsteller Karl Merkatz mosert ab und zu und singt sogar zum Abschied aus der Wohnung in der letzten Folge – 24. Dezember 1979 – das mit Moser assoziierte „Kellergassen“-Heurigenlied mit „I sitz ganz verlassn in der Hasengassn auf an Sta’“. Und auch Moser spielte mehrmals bornierte Patriarchen, die von „modernen“ (in seinem Fall: „Nazi-modernen“) Familienmitgliedern zur Räson gebracht werden – und doch nicht untergehen. Allerdings ist Moser schlechthin ein Kleinbürger, oft in Relation zu Adel, Großbürgertum und Landeiern. Mundl dagegen ist archetypischer „Prolet“ im (Familien-)Konflikt mit Kleinbürgertum (die Frau von Sohn Karli) und Intellektuellen („das Nudlaug“, der Freund von Tochter Hanni). Und sie alle haben Beef mit Wiener Bürokratien.
Um 1980 hatte ein älterer Schüler bei uns im Gymnasium allseits den Spitznamen Mundl, weil er so „ordinär“ (orschinär sagten wir) redete. Heute ist er Wissenschaftsphilosoph. Die Marke Mundl führt das Mundwerk im Namen. Der echte Wiener ging nämlich nicht unter, sondern hatte Bestand: Die Rezeption der Serie geriet zur Dauerauswertung und umwidmenden Aneignung, noch ehe dafür das Wort „Kult“ gängig wurde. Mitte der 1990er wirkte ich ganz am Rand daran mit, in stadtraumpolitisch markanter Weise: Nach ORF-Reruns der Serie (1987/88, 1995/96), nach Beginn der Dauernutzung der Episode „Jahreswechsel“ im ORF-Silvesterprogramm und einer Kompilation der Weihnachts- und Silvesterfolge für den Kinoeinsatz 1994 leistete Mundl seinen Beitrag zur Gentrifizierung, genauer zur gastro-investorischen „Erschließung“ des bis dahin „brachliegenden“ Wiener Donaukanals. Nämlich: 1996 wollte ein Szenegastronom für sein Kanal-Lokal ein bisserl Kulturprogramm zur Nobilitierung und so gerieten Freund*innen von mir und ich samt Studikultur-affinem Filmprogramm (auf VHS-Kassetten, gebeamt) an seine Summerstage. Dort präsentierten wir vor viel Publikum Louis de Funès-Filme und vor weniger Publikum die Nachmittags-Vortragsreihe „Wienerisch lernen mit Filmen“, bei der ich mit Clips aus Ein echter Wiener geht nicht unter referierte. Dass am Donaukanal heute das Eventkapital regiert, daran sind Mundl und ich mitschuld. Aber, als Antidot zu dieser Profitwirtschaftsverstrickung: In dem Vortrag im September 1996 erwähnte ich auch, dass das eben gefeierte Volksstimmefest mit dem aus der Serie zitierten Mundl-Slogan „Eh kloa!“ geworben hatte. Mit der Umnutzung von Mundl-Sagern (ähnlich der Umwandlung von Kabarettfilm-Dialogen in Memes, z. B. „Danke, ganz lieb“) blieb die KPÖ nicht allein.
Patriarch, Rassist, aber Prost!
Um 2010 sprach die Medienkonsumkultur Sackbauer-Wienerisch bereits flüssig, zumal in Form von Getränken. Wie Merkatz’ andere dauerprägende Rolle, die eines Wiener Fleischhauers in den vier geschichtsrevisionistischen Bockerer-Kinofilmen (1981–2003), sich im Wurst-Marketing ausgewirkt hat, weiß ich nicht. Jedenfalls führte der Kassenerfolg der mit Stammbesetzung aus der Serie abgeleiteten Kinofilme Echte Wiener – Die Sackbauer-Saga (2008) und Echte Wiener 2: Die Deppat’n und die Gspritzt’n (2010) zu Getränke-Franchises: ein Brauerei-Werbespot mit Merkatz, der kurzlebige Energydrink Sack Power (Werbezeile: „Lass den Mundl raus“), das MundlBier (Werbezeile: „Ned deppat“) vom Diskonter Zielpunkt, der 2016 pleiteging. Billigbier ist ein hartnäckiges Proletariatsklischee, und es ist in der Serie Ein echter Wiener geht nicht unter genuin ein Streit-Objekt: Gegenstand und „Mikro-Versammlungs-Ort“ von Konflikten. Nicht so sehr zwischen Klassen – die bourgeoisen Werners trinken immer Wein, die Sackbauers manchmal und wenn, dann Doppler, eh kloa –, sondern eher zwischen Körpern, Mensch- und Ding-Körpern, in Mundls und Karlis Bierflaschenslapstick, sowie in Genderbeziehungen. Denn: Einerseits ist die Order „Bring mir ein Bier!“ von Mundl und Karli an die Ehefrau bzw. Schwester Fixbestandteil einer Ritualisierung patriarchaler Macht (damals wohl auch als Diskussionsanstoß gedacht). Anderseits ist das Zusammenscheißen besoffener Ehemänner eine Königinnendisziplin der Ermächtigung der „echten Wienerinnen“ der Serie. An sich gönnt das Skript den Frauen ja viel weniger Sprüche, weshalb ihre Präsenz im Spiel einer unterbewerteten Infrastruktur-Care-Arbeit auch für den jeweiligen Handlungsfortgang gleichkommt. Aber: Manchmal tobt auch Antonia „Toni“ Sackbauer (souverän gespielt von Ingrid Burkhard) und nennt etwa ihren Mundl „Mannsbild! Unnedigs! Bleds! Angsoffns!“
Der heute kanonische Spruch mit Bier-Kontext aus der Serie ist natürlich „Mei Bier is ned deppat!“ (1978 in der Episode „Der Enkel“). Von Mundls nicht deppertem Bier aus zeigt sich der Gegenwartsbezug der Serie in dreierlei Weise in heutiger Krisenzeit: Erstens in der Krise der Wiener Sozialdemokratie. Am Abend der erstmals an die Kurz-ÖVP verlorenen Nationalratswahl 2017 begann Ex-Bürgermeister Häupl seine Rede über das relativ gute Ergebnis der Wiener SPÖ mit dem Zitat: „Mei Wien is ned deppat!“ Damit zitierte Häupl mehr als nur ein Seidl aus den Seventies herbei. Zweitens auch dies: 1977 in „Die Erbschaft“ schimpft Mundl in der Werkskantine „Da wählt ma’s, wählt ma’s, alle vier Jahr, und dann des!“, und ein Kollege klagt, wie „kniawach“ der „Benya-Toni“ (der Gewerkschaftsbund-Chef) ist.
Dem Sitcom-Modell folgend, stehen aber drittens nicht Arbeits-, sondern Wohnkontexte im Fokus der Serie und damit Wohn-Konflikte. Diese wiederum sind durchsetzt von Auseinandersetzungen mit Wiener Rassismus gegen Arbeitsmigrant*innen („Gastarbeiter“), etwa 1977 in der Episode „Haus-Abbruch“: Beim Stiegenhaus-Tratsch keift eine Autochthone, die vielen „Tschuschen“ (ein Unwort für Jugoslaw*innen) im Haus seien ein Zeichen dafür, dass bald „die Caterpillare“ zum Hausabriss kämen – „und das im Roten Wien!“ Hausmeisterin Blahovec (Dolores Schmidinger) widerspricht ihr und merkt an, der jugoslawische Mieter Nikolic sei „schon o. k.“, und er zahle, weil „nicht im Mieterschutz“, viel mehr Miete als andere.
Die Kollision von Positionen in Gruppendialogen wie diesem ist typisch dafür, wie Hinterbergers sozialkritisch inspirierte Skripts kleine Prozesse in Gang setzen, signifikant, weil – en passant – Momente von Aufklärung und Allianz entstehen: Im Außenfeind-Bündnis gegen den abrissfreudigen Investor prosten Mundl, an sich ein Alltagsrassist, und Herr Nikolic einander zu; letzterer habe, wie Herr Blahovec bekräftigt, die Idee gehabt, sich zu „solaridisieren“. Wenn Mundl beim Mieter*innenplenum dem Hamburger Investor zuruft „Bei uns san de Wiener die ersten!“, dann ist das „Piefke“-Phobie – und erinnert unversehens an die quasi „Wiener*innen First!“-Gemeindebau-Vergabehürden im heutigen Wien: Du kriegst 1976 eine Sozialwohnung, wenn du „seit der Geburt bei der Partei eingschriebn“ bist (Karli in „Die Wohnung“), und heute, wenn du nicht vor kurzem erst nach Wien eingewandert bist. Wohnen als Ort feminisierter Reproduktionsarbeit verknüpft Ehefrau Toni (1975 in Folge zwei: „Der Urlaub“) mit dem Migrationsregime, wenn sie hellsichtig zu Mann und Sohn sagt: „Die Tschuschen san grad aso wie ich – machen die Drecksarbeit!“
Bauer zahlt Bier – echt jetzt?
Die Serie zeigt „verkleinbürgerlichtes“ proletarisches Leben im ständigen „Umbau“, auch Kritik in Sachen NS-Vergangenheit taucht im Dialog auf. Zimmerrenovierung und Sozialreform – das bietet aber gerade den Jungen wenig Perspektive: Sie haben keinen „Raum“, sind in ihrer häufigen Nacktheit überexponiert. In den Abwehr- und Bewahrungskämpfen der Eltern gibt es keine Zukunft. Nur eine ganz nahe Zukunft in Mundls notorischen Watschenandrohungen (z. B. „I hau dir glei a Watschn owe, dass dir der Hundertwasser auffefliagt!“) – und eine ganz ferne Zukunft, die unsere Gegenwart ist. In dieser, also heute, zählt das „Familien-Silber“ im ORF-Archiv (samt Lizenzrechten) zu „echten Werten“, die „nicht untergehen“. Zumal in Krisen und für jene, denen das Geld zur Veranlagung in „Betongold“ fehlt: Mit dem Slogan „Mei Silber is ned deppat!“ warb 2020 das Münz-Institut Wien in Kooperation mit dem ORF für den Kauf wertbeständiger Münzen, die zum Anlass „45 Jahre Ein echter Wiener geht nicht unter“ (und zu Merkatz’ 90er) den Jubilar mit Flasche in Silber geprägt zeigen. Reden ist Silber, Schimpfen erst recht.
Verlässliche Institutionen haben Bestand. In Corona-Zeiten hat der ORF wieder Goldquoten bei den News-Programmen und feiert generell ein Revival als Nationalintegrationsmedium, diesmal jedoch nicht durch das Einbeziehen unterrepräsentierter Klassen, sondern durch die Pflege patriotischer Marken und Traditionskapitalien. Anti-urbanen Neoprovinzialismus gibts obendrauf. In einem der aktuellen GIS-Werbespots fürs Bezahlen der ORF-Gebühren steht ein Janker-tragender Landwirt aus Niederösterreich im Kuhstall und sagt: „I hob dem Mundl sei Bier zahlt.“ Aber: Angesichts der politischen Spaltung zwischen reaktionärem Land und zarten linken Pflanzerln in der Stadt – warum sollte ein Trachtensakko-Bauer im Türkiskernland dem Sackbauer im restroten Wien ein Bier zahlen? Da wäre er ja deppat.