Über das Verhältnis und die Abgrenzung zueinander
Unter diesem Titel fand vom 8. bis 9. Mai in Wien eine Tagung der Gruppe A.D.M.I.N.S. (Analyse und Dekonstruktion menschenverachtender Ideologien in der Sozialen Arbeit) statt. Einige Fragestellungen und Diskussionen, die die Gruppe in der Konzipierung der Konferenz beschäftigten, soll dieser Text skizzieren.
Sozialen Arbeit läuft in ihrem Selbstverständnis – generell eine gute, weil helfende, Menschenrechtsprofession zu sein – Gefahr, das eigene Verhältnis zu Ideologien der Ungleichheit ungenügend zu reflektieren. Dabei ist ihre historische Verantwortung, als ausführendes Organ im Austrofaschismus, und vor allem bei den mörderischen Verbrechen des Nationalsozialismus, bei genauerem Hinsehen kaum zu übersehen. Seit der Niederlage des Nationalsozialismus berühren sich Sozialen Arbeit und Neonazismus beziehungsweise Rechtsextremismus kontinuierlich an verschiedenen Punkten. Die so genannte „Fürsorge“, als Vorläuferin der Sozialen Arbeit, geht in Österreich auf Ilse Arlt zurück, sie gründete 1912 die erste Ausbildungsstätte in der Österreich-Ungarischen Monarchie. In der Ersten Republik blieb die Fürsorge weitestgehend auf das Rote Wien beschränkt, dessen sozialreformistische Programme durch den Austrofaschismus zerstört wurden. 1938 wurde Ilse Arlt aufgrund ihrer mütterlicherseits jüdischen Abstammung jegliche Lehrtätigkeit untersagt, die Ausbildungsstelle geschlossen und ihre Bücher eingestampft.
Kompliz*innenschaft im Nationalsozialismus
Im Nationalsozialismus war die Wohlfahrtsfürsorge damit beschäftigt, die Unterwerfung der Individuen unter die Zwänge der „Volksgemeinschaft“ umzusetzen. Die nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV), im April 1932 als eingetragener Verein durch die NSDAP gegründet, wurde zur zweitgrößten nationalsozialistischen Massenorganisation nach der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Sie widmete sich der Unterstützung und Förderung der „erbgesunden Volksgenossen“, und erfreute sich unter diesen einer großen Beliebtheit. Die Arbeit richtete sich vor allem an Mütter und Kinder, populär waren die NSV Kindergärten, die mit dem Motto „Händchen falten – Köpfchen senken, immer an den Führer denken“ Kleinkinder indoktrinierten.
Bereits im Juli 1933 wurde in Deutschland das Gesetz zur „Verhütung erbkranken Nachwuchs“ erlassen, es folgten im September 1935 die „Nürnberger Rassegesetze“, einen Monat später das „Ehegesundheitsgesetz“. Die Durchführung all dieser Gesetze setzte einen Apparat voraus, der die Grenzziehung zwischen der „wertvollen“, weil „erbgesunden“ Bevölkerung und den so genannten „Minderwertigen“ vollzog. Dieser Apparat war, in der Fürsorgearbeit, der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD). Hier wurde den Fürsorger*innen ein neues, umfassendes Arbeitsgebiet zugewiesen. Sie ermittelten und sammelten ab 1934 Daten und erstellten millionenfach „Sippentafeln“. Auf Grundlage dieser wurden bis 1945 etwa 400.000 Menschen zwangssterilisiert, viele starben an den Folgen, die Überlebenden litten unter ihnen. Im September 1939 begann die systematische Ermordung kranker Erwachsener in der Aktion T4, bei der europaweit 300.000 bis 400.000 Menschen getötet wurden. Vereinzelt begleiteten Fürsorger*innen Kinder in die Vernichtungslager und reichten anschließend ihre Fahrkarten für die Spesenabrechnung ein. Nach 1945 erklärten und bagatellisierten Fürsorger*innen in Befragungen ihre Tätigkeiten mit der grenzenlosen Armut und Arbeitslosigkeit in der Weltwirtschaftskrise seit 1929. Das postnazistische Personal durchzog bis weit in die 1990er Jahre die Ämter, Behörden und Sozialeinrichtungen in Österreich und Deutschland. Viele Kinder und Jugendliche, die in Heimen und Pflegefamilien untergebracht waren, erfuhren dessen autoritäre Gewalttätigkeit am eigenen Leib.
Kritische Soziale Arbeit
Mitte der 1960er formierte sich, angestoßen von der Journalistin und späteren Mitbegründerin der Roten Armee Fraktion (RAF), Ulrike Meinhof, die sogenannte „Heimkampagne“. Eine neue, kritische Sozialarbeit griff die unterdrückerischen Zustände in der Fürsorgeerziehung bundesdeutscher und österreichischer Heime an.
Ab den späten 1980er Jahren wendeten sich Jugendarbeiter*innen in der BRD mit Ansätzen aus dem Streetwork der offenen Suchthilfe als akzeptierende Sozialarbeiter*innen an Hooligans und rechtsextreme Jugendliche. Die akzeptierende Jugendarbeit versteht sich als gesellschaftskritisch und ortet Othering, Rassismus und Ungleichheitsideologien in großen Teilen der Bevölkerung. Ein Sozialarbeiter meinte, dass Eltern ihr Kind verprügeln, weil es einen Mercedes Stern abgebrochen hätte, aber bei rassistisch motivierter Gewalt mit den Schultern zucken. In den Jugendzentren, in denen klar gegen menschenverachtende Äußerungen Position bezogen wurde, konnten benachteiligte rechte Jugendliche erreicht werden. Viele andere Jugendzentren wurden aber zu Vernetzungsorten, von denen ausgehend nicht-weiße und/oder nicht-rechte Jugendliche angegriffen wurden. Die Antifa kritisierte die akzeptierende Jugendarbeit daher dafür, sich nicht mit rechtsextremen Inhalten auseinanderzusetzen und die politische Agenda rechtsextremer Jugendlicher zu verharmlosen. Diese Diskussion gab es aber auch innerhalb der akzeptierenden Sozialarbeit. Ihr Begründer, Franz Josef Krafeld, sagte 1998 in einem Interview mit dem Antifaschistischen Infoblatt: „Ich halte in diesem Zusammenhang die Antifa für einen wichtigen Bestandteil der Auseinandersetzung um (…) den Rechtsextremismus zu bekämpfen. Und ich halte es für eine gefährliche Strategie, aus diesem Zusammenhang des Kampfs gegen Rechtsextremismus die Antifa ausgrenzen zu wollen – mit politischen oder juristischen Mitteln oder auch mit Verfassungsargumenten.“
Jugendzentren als rechtsextreme Vernetzungsorte
Die damalige Bundesregierung verstand den Rechtsextremismus vor allem als Gewaltproblem von Jugendlichen. Im Jahr 1992 wurde unter der damaligen Jugendministerin Angela Merkel (CDU) das „Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt“ für die fünf „neuen Bundesländer“ geschaffen. Die Ausfinanzierung durch die Mittel des Aktionsprogramms, zusammen mit dem Konzept der Selbstverwaltung der akzeptierenden Jugendarbeit und vielfach unbedarften und überforderten Sozialarbeiter*innen, führte dazu, dass aus Jugendzentren rechtsextreme Zentren werden konnten. Sozialarbeiter*innen organisierten Busse und Ordnerinnendienste zu rechtsextremen Aufmärschen, in mehreren Fällen wurden Kader als Jugendarbeiterinnen eingestellt. Die Neonazi-Band Landser gründete sich Anfang der 1990er in einem Berliner Jugendclub, ein Mitarbeiter hatte sein Schlagzeug zur Verfügung gestellt. Es kam ausgehend von Jugendzentren zu Überfällen, die vielfach mit schweren Verletzungen oder sogar tödlich für die Opfer endeten. Und nicht zuletzt fand sich Anfang der 1990er der selbst ernannte NSU in den Räumen eines Jenaer Jugendclubs.
In dieser Zeit entwickelte sich aber auch ein – heute fast vergessener – Widerstand von migrantischen Kids und jungen Erwachsenen, die sich 1988 in der Antifa Gençlik (Antifa Jugend) gegen die zunehmende rechtsextreme Bedrohung zusammenschlossen. Nach einer massiven Repressionswelle und Auseinandersetzungen um Rassismus und Sexismus löste sie sich 1994 auf. Ercan Yasaroglu erklärte nach dem Ende der Gruppe: „Wir wollten keine Opfer mehr sein, kein Anhängsel der Gesellschaft, über das man herrschen kann, sondern Teil einer Gesellschaft, sowohl auf rechtlicher wie auch auf sozialer Basis“.
Im 21. Jahrhundert entdecken Rechtsextreme, häufig aus dem völkischen Milieu, die strategische Attraktivität der Sozialen Arbeit für sich. Sie versuchen Rassismus und Ungleichheitsideologien rhetorisch Raum zu verschaffen und gleichzeitig Kamerad*innen in sozialen Einrichtungen zu platzieren. Die Sozialen Arbeit steht dem aber nicht hilflos entgegen, in einem ständigen Reflektieren der eigenen Position gegen Ungleichheitsideologien kann sie helfen, den Rechtsextremismus zu bekämpfen. Die Konferenz „Sozialarbeit und Rechtsextremismus – Über das Verhältnis und die Abgrenzung zueinander“ soll dazu beitragen, Sozialen Arbeit in diesem Kampf zu bestärken.
ak wantok (Hg.): Antifa Gençlik. Eine Dokumentation (1988–1994). Münster: Unrast 2020