Aus der Reihe: ku. & ko. Das phantastische Geschäft
Neben dem kleinen Park in der Seitenstraße liegt das wohl berühmteste Geschäft der Stadt. Haben wir nicht, gibt’s nicht, steht am Schild auf der Tür. Der Durchgangsmelder mit seinem wohlklingenden Glockenspiel ist schon seit Wochen still. Das Geschäft ist geschlossen, im Lockdown, doch hinter der Verkaufstheke steht Kuna im blauen Schein ihres Laptops. Sie hat eben die Kamera für die Videokonferenz angemacht und erblickt Konrad in einem Fenster auf ihrem Bildschirm. Er hat Kuna den Rücken zugedreht, fummelt an den Reglern seines Küchenradios und nickt, als er endlich ein Lied erkennt. „Manchmal san ma unausstehlich“, brummt Konrad und schenkt sich einen Kaffee ein. Mit einem „Guten Morgen, Konrad“ macht Kuna auf sich aufmerksam. Konrad wirbelt herum, zupft peinlich berührt an seinem Polohemdkragen, dreht das Radio ab und lässt sich auf seinen Hocker sinken. „Guten Morgen“, wiederholt Kuna theatralisch. „Was ist los? Warum hast du denn eine Maske auf?“
„Morgen, Kuna, das weißt du nicht? Wegen den Viren!“ Hinter der Maske zeichnet sich bereits ein breites Lächeln ab.
„Welche Viren, Konrad? Du bist doch zuhause, oder?“
„Schon, aber weißt du nicht, dass das Internet voller Viren ist?“ Aus Kunas Lautsprecher tönt ein Prusten.
„Ach Konrad, das ist nicht lustig. Nimm’ deine Maske ab, wir haben heute viel zu besprechen. Was hast du denn in dieser Woche im Homeoffice gemacht? Ich hab nichts von dir gehört.“
„Also, ich hab die Lagerbestände aktualisiert und sortiert und geschaut, was alles so …“
„Du warst im Geschäft?“
„Nein, natürlich nicht. Von zuhause. Ich hab die ganze Excel-Liste durchgesehen und wieder flottgemacht. Die Tabellen haben jetzt einen 14-Punkt-Rahmen, dadurch wirkt es gleich viel übersichtlicher …“
Kuna blickt auf die geschlossene Ladentür. Auf dem milchigen Glas ist ein Schatten zu erkennen. Wahrscheinlich Kundschaft. „Es ist ein Elend“, denkt sich Kuna. „Ich frag mich, wann wir wieder öffnen dürfen. Weißt du eigentlich schon, wann du geimpft wirst?“
„Keine Ahnung. Sommer, Herbst, Winter … Wir sind eben nicht systemrelevant“, antwortet Konrad resigniert.
„Systemrelevant“, Kuna dreht und wendet das Wort in ihren Gedanken. „Was heißt schon systemrelevant? Glaubst du, diese Regierung ist systemrelevant? Ich mein, dieses System gibt es in Österreich schon seit gut fünfzig Jahren und die Regierungen kommen und gehen und es ändert sich doch nur wenig.“
Konrad brummt: „Ich mein, da hast du schon recht. Insofern ist diese Regierung nicht systemrelevant, aber andererseits ist sie es ja doch. Denn sie bearbeitet dieses System recht ordentlich.“
„Was hältst du eigentlich – ganz ehrlich – von dieser Regierung?“
Konrad wählt die Worte mit Bedacht. „Also, bei den Türkisen scheint eine Form der intellektuellen Inkontinenz vorhanden zu sein, denn bei der Inkontinenz …“
„Konrad, ich weiß, was Inkontinenz ist.“
„Also, da geht immer etwas in die Hose. Und das, scheint mir, ist bei den Türkisen auch so. Sie haben irgendwie die Kontrolle verloren.“
„Sie sind nicht mehr in ihrer Mitte. So würde ich es ausdrücken“, ergänzt Kuna.
„Ja, das auch. Früher waren sie mehr in der Mitte. Jetzt schlägt das Pendel wie wild hin und her. Von Arroganz zu Dummheit, von Selbstverliebtheit zu Unvermögen. Früher waren sie genau dazwischen, irgendwie austariert.“
„Ich weiß nicht, Konrad. Das ist alles sehr negativ. Das Gute ist doch, hier ist ein Zusammenhalt spürbar. Von all den möglichen Koalitionspartnern, die sich der Bubenpartei anbieten, finde ich die Grünen am …“, Kuna hält kurz inne, „loyalsten! Weil sie immer so bedeutsam schweigen und damit das Werkl am Laufen halten. Das ist wie in einer gewachsenen Partnerschaft, da knirscht auch immer wer mit den Zähnen.“ Kuna beginnt nun, in Richtung der Webcam zu knuffen und Haken auszuteilen. „Und mit jedem Akt der duldsamen, stillen Unterstützung wird das zarte Band der Koalition enger geknüpft. Konrad, damals bei den Bildern aus Griechenland mit den Flüchtlingen, wer hat da ganz beseelt genickt, als der Innenminister die unliebsame Wahrheit verkündet hat?“
Konrad versucht behäbig, die Attacken abzuwehren, doch unerbittlich sausen ihm Fäustchen im Videofenster entgegen. Beleidigt und den Kopf schief haltend grummelt er: „Die Grünen. Doch die haben das nicht einfach so geschluckt. Da gab’s dann schon kritische Stimmen. Unser Herr Bundespräsident und dann der Aufstand der …“ Jetzt muss selbst Konrad grübeln, doch sogleich setzt er fort „… der Aufstand der Basis“.
„Papperlapapp“, kichert Kuna, „beides Schnee von gestern, das interessiert niemanden mehr. Die Zeit ist schnelllebig, Konrad. Schnelle Information, schnelles Vergessen. Und überhaupt sind das nur unbedeutende Verästelungen im Strom des Werbens um den unentbehrlichen Koalitionspartner. Konrad, kannst du mir folgen? Bist du jetzt wieder eingefroren?“ Kuna tippt den Bildschirm an, als würde ihr virtueller Partner in einem Datennadelöhr festhängen.
„Ich bin eh noch da, hab halt konzentriert zugehört. Und wenn ich mich bei der alten Telefonmodeminternetverbindung beweg, dann wird der Sound so schlecht“, murmelt Konrad und zuckt ganz langsam mit den Schultern.
Kuna stützt sich nun auf den Tresen, als wäre er ein steinernes Rednerpult. „Also, niemand braucht Einparteiensysteme. Die Zukunft in diesen turbulenten Zeiten liegt in der Eintracht der koalierenden Parteien. Man spricht auch mit einer Stimme, wenn der andere schweigt.“
Konrads Stirn flimmert etwas kraus auf dem Bildschirm, doch dann nickt er. „Es stimmt schon. Die Leute wollen Ruhe und Zusammenhalt. Auch wir könnten unser Geschäft nicht so erfolgreich führen, wären wir ständig uneinig. Das ist eben unser Erfolgsrezept. Aber stell dir vor, neulich bin ich bei der Hofburg spazieren gewesen und rate mal, wen ich dort gesehen habe?“
„Also, unser Erfolg ist einzigartig, aber auch relativ. Wir sind pleite.“
Konrad lässt sich von dem Einwurf zunächst nicht unterbrechen. „Zwei Omas! Mit einem Taferl: Wann holen wir Menschen aus Moria nach Österreich! Ist das nicht lustig? Die stehen dort immer noch. Bei denen ist der Schnee von gestern wohl immer noch nicht geschmolzen. Omas gegen rechts. Was glauben die, wo doch die halbe Regierung grün ist? Das ist doch …“, und nun dämmert ihm, was Kuna eben gesagt hat. „Aber … Was meinst du mit: Wir sind pleite?“
„Pleite heißt bankrott. Ich glaub, du hast dich verschätzt im Einkauf. Aber keine Panik, ich werde uns da rausholen.“
Konrad protestiert heftig, nimmt einen Schluck Kaffee direkt aus der Espressokanne und lässt sich fast zu einem Veitstanz vor der Webcam hinreißen. Bei Kuna hingegen scheppern nur Wortbrocken aus dem Laptoplautsprecher: „Chttschdingding entendorf, fffifinaz prüff fug, zzzu schschüsse, chrchr ilcourage.“
„Ja, Zuschüsse und Courage braucht’s für eine erfolgreiche Zweisamkeit, da sind wir ausnahmsweise einmal einer Meinung“, versetzt Kuna süffisant mit verschmitztem Lächeln. „Mit deinen Rücklagen kommen wir wieder in die Erfolgsspur. Bist ja doch mein liebster Juniorpartner.“