MALMOE

10 Platten zu Weihnachten

Molchat Doma – Monument  (Sacred Bones Records)

Gute Nachrichten aus Belarus! Kein Witz, sondern ein neuer Release von Молчат Дома. Die Minsker Gruppe hat heuer ihr drittes Album veröffentlicht – Монумент. Wer musikalisch auf Post-Punk gepolt ist wird sie kennen, der Rest von euch verdient eine Erklärung. Die drei Jungs von Молчат Дома klingen, als würden sie die Asche von Ian Curtis auf einem Blech rauchen, bevor sie ins Studio gehen. Also irgendwie seelenverwandt mit Joy Division, statt deren faschomäßig angehauchter Ästhetik allerdings der nüchterne Stahlbeton des sozialistischen Realismus, gepaart mit einem Hauch Todessehnsucht aus den belarussischen Sümpfen. Wie romantisch, ich schmelze dahin! Und selbst wenn ich mehr über Semiotik wüsste, würde ich euch erzählen, dass auf dem Cover zwischen Hammer und Sichel ein riesiges Analplug zu sehen ist.

Bonnie Banane – Sexy Planet (Péché Mignon – Grand Musique Management)

Es gehört schon eine gute Portion Humor, Selbstüberschätzung oder Scheiß-Auf-Alles Attitüde dazu die erste EP Greatest Hits (2012) zu nennt. Von da an könnte die Geschichte zwei Wege nehmen können: Tonne oder Fahrstuhl. Für Bonnie Banane war es der Aufbruch in einen musikalischen Rausch, der sich jetzt mit der LP Sexy Planet noch weiter in ein Meer von Klängen und Samples manövriert. Von Hiphop Beats über zu ravigen Geschichten, nie gehen die einzelnen Tracks gänzlich in ein einzelnes Genre, das auch, weil sich in jedem Track Stimme aktiv in die Gestaltung einschreibt. Alle der verschiedenen Tracks von Bonnie Banane zeugen von einer distanziert asymmetrischen Tiefe, die einen so schnell nicht langweilig wird. Leicht melancholisch wirst du dann aber auch, bei den treibenden Nummern, die Ideen einer entfernten Rave wachrufen. In weiser Vorsicht sind die eher kurzgehalten und wirken wie Zitate an eine vergangene Zeit.

Cafe Exil – New Adventures in European Music 1972-1980 (Ace Records)

Ja okay, ne is klar. Wenn man über David Bowie und Iggy Pop im Jahr 2020 schreibt (#metoo, you know…) dann muss halt auch erwähnt werden, dass die beiden sich wie Monster im Drogenrausch aufgeführt und sich sexualisierter Gewalt schuldig gemacht haben. Mit Musik kannten sie sich aber auch gut aus und wusste wo sie Ideen stehlen. Gemeinsam mit Brian Eno wurde die lebendige Berliner (deutsche) Szene der späten 1970er und frühen 1980er leergehört und mit falschen Versprechungen ihrer musikalischen Ideen erleichtert. (Die zugesagten Kooperationen fanden alle nie statt). Was die abgefeierten Star-Arschgeigen im Berlin der 1980er gehört haben, kann jetzt auf einer feinen Kompilation nachgehört werden. Ein ungetrübter Genuss, denn von den kaum je zu Bekanntheit gelangten Artists „aus“ dem Berliner Café Exil (genau, das von dem berühmten Wiener Oswald Wiener) wissen wir zumindest auch kein Pfui-Gack aus deren Privatleben. Spitzensammlung die feinsten Krautrock auf die Plattenteller bringt.

P.S.: Das Konzept ist natürlich reine Phantasie, die Besucher des „Exil“, wie die Kunstgiganten Dieter Roth oder Jupp Beuys sind den weltbekannten Musikmonstern vermutlich nie begegnet, die meisten Artist der Platte waren auch nie in Berlin und finden die Stadt „kacke“ (Originalzitat von „Faust“). Die Kompilation soll eben eine Stimmung in der Berliner Szene porträtieren, die es nie gegeben hat – trotzdem gut.

Half Moon Run – The Covideo Sessions (Glassnote Records)

Ganz in Corona Manier gibt’s von den Indie boys eine Portion kanadische Kuschelsocken-Klangkultur aus der heimischen Holzhütte. Das passt zum charmant unprätentiösen Stil der Band und hangelt sich über eine kurze, kompakte Auswahl aus den bisher drei erschienen Platten, einmal extended Pianosolo, gewohnter vokaler Mehrstimmigkeit und einem Mischmasch trockener Heimstudio Atmosphären zu der gemütlichen Heimeligkeit, die es im anstehenden geschenkerauschigen Dezember sicher brauchen kann. Grow into love – mit dieser Scheibe? – ja gern. Da verzeihen sich auch die ein, zwei Percussion und non-metronomous Wackler im Track Call me in the Afternoon oder ist das vielleicht genau die Heimauthentizität die so ein Album mit dem Marker sowas-von-2020 versieht? Nebenbei haben die vier übrigens auch eine neue EP. Na wenn sich da kein Doppel-Vinyl in Vollmondoptik lohnt!

Les Trucs – Wir zieh’n das Geld an wie ein Magnet (Ichiichi)

Zu Weihnachten soll, so will es alter Brauch, verschenkt werden was Freude macht oder Glück bringt. Die neue Les Trucs EP Wir zieh’n das Geld an wie ein Magnet trägt ihre Glücksversprechen gleich im Titel. Ansonsten ist bei den Frankfurter*innen alles beim Alten: Musik für Maschinenmenschen, die klingt als hätte Kim Gordon mit Detroit in Effect 1985 in einem westdeutschen Wohnzimmer auf einen Vierspurrecorder aufgenommen,Texte, die mal brachial direkt, mal opak verschlüsselt, erzählen vom Leben in der Konsumgesellschaft, von der Welt und vom Fühlen. Highlight ist dabei das Pechsaftha-Cover „Wir fahren Klaviere“, in dem das Leben auf der Autobahn zum Sinnbild des Hamsterrad wird.

Loser Youth – Warum haust du dich selbst? (RILREC)

Fuffzehn Lieder, keins länger als zwei Minuten. Punkrock würd ich sagen, aber heutzutage sagen da ja alle anders zu. Egal. Deutsche Texte jedenfalls. Und so Themen mit die Polizei und so. Achso, Warum haust du dich selbst? heißt das Album, Loser Youth die Band. Reicht das? Kauf das doch einfach. KAUFEN. Oder kostenlos kaufen, für kein Geld bei Bandcamp. Was red ich mir hier den Mund fusselich? Mach du mal was. Müll rausbringen wärn Anfang, wenn du schon kein Haus besetzen willst, du Polizist du! Ich sach dir, das wird nix. Richtig. Is nich. Einfach mal ne Nummer ziehen und Montach bis Freitach in die Maßnahme. Aber nicht wieder nur Handy spielen, sonst gibts was auf die Pfoten. Worum gehts? Achso. Meistens gehts um Jesus, Goethe und andere alte Männer, inhaltlich mein ich. Aber eher so dagegen, also-…

Mrs. Piss – Self-surgery (Sargent House)

In MALMOE schrieb Rosa Costa bis zuletzt regelmäßig über Körpersäfte. Ein passender Nachtrag zu dieser nun leider ausgelaufenen Kolumne ist die folgende Albumempfehlung: Self-surgery von Mrs. Piss. Dahinter versteckt sich die niemand geringeres als die Gothic-Rock-Koryphäe Chelsea Wolfe; der zweite Kopf von Mrs. Piss ist Jess Gowrie. Die beiden waren einst gemeinsam bei der Band Red Host, seit dem Album Hiss spun ist Gowrie Wolfes feste Schlagzeugerin. Mit Self-surgery schlagen sie mit geballter Faust in die Kerbe, die man von Wolfe kennt: Die acht Tracks mit insgesamt nur knapp 19 Minuten Spielzeit brettern kompromisslos voran, strotzen durchwegs von Rohheit und eben einer „Pissed off“-Haltung. Mrs. Piss verteilen eine Menge deftiger Watschen, Self-surgery ist nochmal etwas brutaler als Wolfes bisheriger Output.

Rosa Anschütz – Votive (Quiet Love Records)

2020 war kein Konzertjahr. Umso glücklicher ist die Redaktion, dass Rosa Anschütz zwischen den Lockdowns bei einer C19-Hochsicherheitsheftpräsentation samt Geburtstagsparty (20 Jahre MALMOE!) am 2. Juli im Fluc gespielt hat. Ein Lichtblick im Dunkel der ehemaligen U-Bahn-Station. Auch für den zweiten Lockdown bietet Anschütz sanften Trost, denn am 2. November ist ihr Debut-Album Votive erschienen. Müsste eine Farbskala für dieses gewählt werden, so wäre die wohl irgendwo zwischen Dunkel- bis Pechschwarz, jedoch unendlich kontrastreich. „Dark Ambience“ lässt sich auf Bandcamp lesen, wo sich die Platte zum freien Anhören findet, und es stimmt: die synthetische Soundkulisse umwebt die Hörenden wie das Dunkel die Nacht und über all dies legt sich Anschütz‘ Stimme wie die kalte Helle des Mondlichts. 

SAULT – Untitled (Black Is) (Forever Living Originals)

Es gibt nicht viel über das britische Musikkollektiv SAULT zu finden. Muss man auch nicht, ihre Musik spricht für sie. Aus ihrer Musik können wir raushören, dass sie der Mord an George Floyd extrem aufgebracht hat! Ihr Album Untitled (Black Is) behandelt die Variation an Emotionen, die man als Schwarze Person nach diesem Ereignis durchleben musste. Während Songs wie „Why we cry why we die“ einen traurigen Ton anschlagen und die Frustration gegenüber Gewalt an Schwarzen schildern, hört der Track „This Generation“ auf einer hoffnungsvollen Note auf. Durch den collagenartigen assoziativen Stil, der teilweise sehr kurzen Songs, kommen viele verschiedene Musikgenres zusammen. Ein hervorragendes Album um seiner Gefühlsvielfalt freien Lauf zu lassen, wütend zu sein, traurig zu sein, frustriert zu sein und zu hoffen, dass „the Revolution has come“.

Bruce Springsteen and the E Street Band – Letter To You (Columbia)

Ganz neue Platte, darauf zu hören, alte Dackel beim Musizieren. Sehr anrührend. Die Musik ist die gleiche wie vor fünfzig Jahren, sie war aber auch nicht unbedingt verbesserungswürdig. Letter To You: Der „Boss“ schreibt die Briefe an seine Frau in „ink and blood“ und ist sichtlich bemüht, inmitten der bekannten Rockergesten, um die Wahrheit seines Gefühlsausdrucks. Springsteen und seine Frau Patti Scialfa sind seit fast vierzig Jahren ein Paar und seit dreißig verheiratet. Hmmm. Cool. Der alte Herr macht es einem immer schwerer ihn nicht zu mögen. Wir sollten alle mehr Briefe schreiben.