MALMOE

Von zwei Wölfen im Schafspelz

Vom Wiener Bürgermeister ins Rathaus eingeladen und vom türkischen Präsidenten persönlich angerufen: Zwei junge Austrotürken dürfen sich gerade über viel Lob freuen. Was dabei ignoriert wird: Es handelt sich bei den zwei Männern um Mitglieder der Grauen Wölfe.

2. November 2020. Ein Anschlag ereignet sich in Wien. Die beiden türkischstämmigen Wiener Recep Tayyip Gültekin und Mikail Özen befinden sich zu dem Zeitpunkt inmitten des Geschehens und erleben, wie ein Polizist verwundet wird. Sie helfen und tragen ihn zum nächsten Rettungswagen. Die Tat katapultiert sie sofort in mediales Rampenlicht. Nachrichtenmagazine feiern die zwei Männer als „Helden von Wien“.

Zwei österreichische Muslime werden als Helden porträtiert. „Muslime können Helden sein“, lautete die Botschaft, die Muslime und Musliminnen aufatmen lässt. Der üblichen rassistischen Berichterstattung, die solche Anschläge immer wieder hervorrufen, wird mit dieser Erzählung etwas entgegengesetzt. Denn beinahe wirkt es so, als hätten bestimmte Nachrichtenportale nur auf ein Ereignis gewartet, um ihre rassistische Hetze zu betreiben. Hierbei allen voran die Kronen Zeitung und OE24. Kaum verwunderlich also, dass sowohl die Dokustelle als auch der Verein ZARA eine Häufung antimuslimischer Übergriffe seit dem Anschlag feststellen können.

Der Schein trügt

Fast zeitgleich äußern sich die ersten Stimmen, die mit der idolisierenden Berichterstattung der zwei Männer alles andere als zufrieden sind. Insbesondere von kurdischer Seite kommt Kritik. Auf den Facebook-Seiten der beiden jungen MMA-Kämpfer finden sich nämlich Bilder, auf denen sie den Wolfsgruß zeigen. Der Gruß ist das Symbol der rechtsextremen, turkofaschistischen Organisation der „Grauen Wölfe“ und seit 2018 in Österreich verboten. Özen postet am 24. Jänner 2018 ein Bild von einer Demo, auf der die kurdische Flagge zu sehen ist. Seine Bildbeschreibung dazu lautet „Serefsizz köpeklerr“, was ins Deutsche übersetzt so viel bedeutet wie „ehrenlose Hunde“. Ein weiteres Bild schockiert sehr. Zu sehen ist eine beschriftete Rakete: „Für Mikail“. Die dazugehörige Bildunterschrift ins Deutsche übersetzt lautet: „Für die Verräter in Afrin, eine Rakete von uns für euren Arsch, Inschallah sterben viele von euch Hurenkindern.“ Sozusagen eine Rakete, die in Özens Namen an die kurdische Region Afrin gesendet wurde und möglichst viele Kurd*innen töten sollte. Es existiert auch Videomaterial, wie er an den Ausschreitungen in Favoriten im Juni dieses Jahres teilnimmt, mit Grauen Wölfen mitmarschiert und dabei Angst und Terror verbreitet.

Auf Gültekins Facebook-Profil sieht es kaum besser aus. Als sich am 19. Dezember 2016 der Terroranschlag in Berlin ereignet, in dem ein Mann mit einem LKW in einen Weihnachtsmarkt fährt, postet er: „mir tut es überhaupt net leid, was ihn Berlin passiert ist“ (sic). Bei dem Anschlag, der ebenfalls dem IS zuzuordnen ist, kommen zwölf Menschen ums Leben. Auf einem weiteren Foto zeigt er sich mit dem Schriftzug „TÜRK“ am Oberarm, geschrieben in sogenannten „Orchon-Runen“. Die alttürkische Schrift wird von türkischen Nationalist*innen vielfach verwendet, allen voran von den Grauen Wölfen.

Es werden also zwei Männer hochgepriesen, die sich in nationalistischen Kreisen bewegen und sogar nachweislich Teil einer faschistischen Organisation sind. Kann hier also wirklich von zwei Helden die Rede sein?

Faschisten als Ehrengäste im Rathaus

Bürgermeister Michael Ludwig lädt die Männer zu sich ins Rathaus ein und nimmt sich Zeit für ein gemeinsames Fotoshooting. Später erhalten sie noch einen Anruf von Erdogan höchstpersönlich, der ihnen zu ihrer Heldentat gratuliert. Dieses Ereignis nutzt der Vater von Recep Tayyip Gültekin, um auf die Namensgleichheit zwischen Sohn und Präsident hinzuweisen. Tatsächlich soll Recep, wenn man den Worten seines überglücklichen Vaters glaubt, nach dem gleichnamigen Präsidenten benannt worden sein.

Während Politiker*innen den Augenblick zu nutzen wissen, um sich zu profilieren, schockieren vor allem unkritische Medienberichterstattungen, die über die Zugehörigkeit der beiden zu den Grauen Wölfen kaum ein Wort verlieren. Sogar das Magazin Biber geht, nachdem es Hinweise erhält, damit offensichtlich naiv um und erklärt, es handle sich bei dem Wolfszeichen bloß um das Team-Logo der beiden. Eine Aussage, die unkritisch und unkommentiert von Gültekin und Özen übernommen wurde.

Diese unreflektierte Idolisierung der beiden ist ein Schlag ins Gesicht, sowohl für Kurd*innen als auch für Feminist*innen und Mitglieder der LGBTQ+ Community, gegen die sich die Ideologie der Grauen Wölfe ganz klar richtet.

Wer Faschisten feiert, feiert Terroristen

Antimuslimische Übergriffe häufen sich, der Wunsch nach muslimischen Vorbildfiguren erscheint daher mehr als nachvollziehbar. Gerade jetzt braucht die muslimische Community Held*innen, auf die sie sich positiv beziehen kann, um eine Art Gegendarstellung zu islamophoben Schilderungen zu schaffen.

Doch wirkt es gleichzeitig sehr kontraproduktiv, wenn ausgerechnet Anhänger einer faschistischen Gruppierung auf unreflektierte Weise in den Mittelpunkt gestellt und gefeiert werden. Wer Faschisten feiert, feiert Terroristen. Die Ideologien gehen Hand in Hand. Ein Herz und eine Seele, sozusagen. Es ist unaufrichtig, auf der einen Seite Terror und rechten Hass zu verurteilen, auf der anderen Seite jedoch Faschisten als Helden darzustellen und so ihre Ideologie auf gefährliche Weise zu verharmlosen. Antifaschismus darf keine Ausnahmen haben. Entweder man lehnt Faschismus konsequent ab oder man heißt ihn gut. Ein Dazwischen ist nicht möglich, jede ausbleibende Kritik ist eine schweigende Unterstützung.

Öffentlich versucht sich Gültekin zumindest von seinem Berlin-Post zu distanzieren. Özen versucht es erst gar nicht und wirkt von der Kritik recht unbeeindruckt. Beide beteuern jedoch zu keiner Gruppe zu gehören. Der Wolfsgruß sei zwar in ihren Augen nicht schlimm, zu den Grauen Wölfen wollen sie aber nicht gehören. Das Wolfzeichen sei rein sportlich und stelle ein „Kampfsportsymbol“ dar, einen grauen Wolf, so die beiden MMA-Kämpfer.

Wer jedoch tatsächlich glaubt, dass es sich bei diesem Handzeichen nicht um ein rechtsextremes Symbol handelt, glaubt auch, dass sich jemand wie Strache wirklich nur drei Bier bestellen möchte.