Ich bin Su, ich arbeite in einer psychosozialen Betreuungseinrichtung, in der junge Erwachsene betreut werden, die psychiatrische Diagnosen haben und die wir durch ihre Lebenssituationen begleiten. Dazu mache ich, so als eine Art zusätzliche Qualifikation, ein zweites Studium.
MALMOE: Was ist in deinem Arbeitsfeld durch Corona und die Maßnahmen dagegen anders geworden?
Su: Einerseits superviel, andererseits gar nicht so viel. Der Arbeitsalltag im Haus, in dem die betreute WG wohnt, ist in seinen Abläufen eigentlich sehr vergleichbar mit vorher gewesen. Die zwei großen Veränderungen waren vor allem in meinem Selbstbezug und in den Ressourcen, die ich zur Verfügung hatte.
Was meinst du denn mit Selbstbezug?
In dem Moment, in dem die Maßnahmen dann mal standen, habe ich diesen Aspekt von Kontrolle und Macht, der eh im Betreuen ist, sehr, sehr viel stärker wahrgenommen. Und auch irgendwie ein Problem damit hatte, die Maßnahmen zu kommunizieren, ohne die Vertrauensbeziehung, die es fürs Betreuen braucht, damit anzugreifen. Die Anteile haben sich da einfach sehr verschoben und ich habe gemerkt, dass ich ein Wissen haben sollte, das ich nicht habe. Auf einmal waren wir als Betreuungspersonen so Instanzen, die gefragt wurden: Wie lange geht das jetzt? Kriegen wir das jetzt alle? Und wir halt stark gefragt waren, diese Ängste zu beruhigen.
Wie haben deine Klient*innen Corona denn aufgenommen?
Für sie war der Hauptaspekt, der auch am meisten Leidensdruck erzeugt hat, das Verschwinden von alternativen Räumen. Die haben halt doch Freund*innenschaften oder Familie, und das ist auf einmal alles weggebrochen. Die Angst vor einer tatsächlichen Ansteckung ist bei den Klient*innen eher abstrakt geblieben, glaube ich, und wir als Betreuungspersonen haben dann viel auf Abstandsregeln geachtet.
Und für euch im Team?
Ja, es ist so, dass diese Arbeit sehr stark davon lebt, dass wir im Team verschiedene Qualitäten haben und die ein bisschen austauschen. Durch das Wegfallen der persönlichen Treffen hat sich das unglaublich verändert, so 1,5-h-Telefonkonferenzen reichen zum wichtigsten Informationsaustausch, aber ein Raum zum Reflektieren oder sich emotional Austauschen blieb nicht mehr. Dazu sind auch noch die Gruppensupervisionen weggefallen. Und zeitgleich haben halt durch die stressige Situation auch die belastenden Vorfälle zugenommen, die klar auch sonst zum Job gehören. Aber plötzlich hatte ich das Gefühl, ich bin da allein mit und dass ich alle Ressourcen aus meinem privaten Leben nehmen muss. Andererseits habe ich dadurch auch nochmal anders gemerkt, wie gerne ich mein Team hab.
Wie hast du den Kontakt mit anderen Institutionen in der Zeit erlebt?
Sehr stark, wenn ich mit Klient*innen draußen war – wir siezen uns im Umgang miteinander und da ist schnell anzumerken, dass wir nicht im selben Haushalt sind. Also klar war das abgeklärt und abgesichert, aber da gab es halt immer diese Geschichten von Polizeiübergriffen oder Ähnlichem, die immer mit im Hinterkopf dabei waren. Und insgesamt hatte ich den Eindruck, dass ich den Charakter der Zusammenarbeit – oder eben auch Nichtzusammenarbeit – mit angrenzenden Handlungsfeldern klarer gesehen habe. Also mit Psychiatrien oder der Polizei, die ihre eigenen Dinge macht und uns darüber nicht informiert. Und so etwas wie fehlende Kooperationsprozesse sind viel, viel deutlicher geworden über den Lockdown hinweg.
Welche Auswirkungen waren für dich privat am deutlichsten?
Auf einmal war mein stark verkleinerter Privatbereich der Ort, aus dem ich die ganze Kraft für meine Arbeit ziehen musste. Die Gespräche über was auf der Arbeit passiert ist führen, meine Emotionen nach Übergriffen oder problematischen Situationen soweit regulieren, dass ich weiter arbeiten kann – das hat auf einmal alles dort stattgefunden. Mir ist dabei zugute gekommen, dass ich mit einer Beziehungsperson lebe, mit der ich einen sehr ruhigen und zurückgezogenen Alltag habe, der einfach weiterlaufen konnte, und es nicht so einen Bruch gab. Aber irgendwann habe ich schon gemerkt, dass der Input und die Energie von anderen Menschen fehlen. Ich hab auch weder Kinder noch andere Menschen zu versorgen, das wäre sicher auch nochmal eine andere Hausnummer.
Und wie ist es dir mit dem Studium ergangen?
Anfänglich sehr, sehr chaotisch und desorientiert, aber es ist dann eigentlich zu einer Ressource geworden. Unsere Semesterplanung ist ein bisschen zusammengestürzt, weil es Anwesenheit und so etwas gebraucht hätte, und dann wurde schnell ein Projekt aus dem Boden gestampft, bei dem es um Corona und die damit einhergehenden Veränderungen ging. Und da konnte ich dann zu Veränderungen in pädagogischen Arbeitsprozessen forschen, was dann so eine Art Reflexionsort für die Arbeit gab. Aber es hat eine Weile gedauert, bis es sich wie etwas angefühlt hat, das funktioniert. Aber superintensiv.
So wie der Rest der letzten Monate auch?
Ja, das lässt sich vielleicht auch ganz allgemein sagen: Die vergangenen Monate waren so intensiv, als wären sie eigentlich das Dreifache an Zeit gewesen. Viele Menschen habe ich auch im Schönen neu kennen gelernt und viel neue Unterstützung erfahren. Was bei mir ganz stark war, war, dass ich immer dachte: Wenn diese unmittelbare Krise jetzt mal vorbei ist, dann wird politisch sehr viel passieren. Das finde ich auch schön, dass das jetzt auch so ist.