Ein Kommentar zur Heteronormativität der Covid-19-Politiken
Der Corona-Diskurs löscht aus, was queerfeministische Akteur*innen erkämpft und an den Rändern der Heteronormativität oder jenseits von ihr lebbar gemacht haben. Ich könnte jedes Mal schreien, wenn diese Regierungs-Familienwerbung losgeht („Endlich wieder mein Enkerl sehen!“). Wo bleiben die Gegenstimmen?
Krisenfiguren und normalisierte LGBTIQ*s
Bestimmte Krisenfiguren tauchten mit dem Corona-Werbe- und Polit-Speech auf: das ängstliche Kind, die überforderte, mehrfach belastete Mutter, die geschlagene Ehefrau, die vereinsamende, dabei leicht störrische Oma, schließlich der sichtbar behinderte Körper zu füttern und zu hospitalisieren und noch weniger als die anderen Genannten in der Position, für sich selbst zu sprechen. Vorsichtig kritische mediale Statements verwiesen auf den (heterosexuellen) Gewaltzusammenhang Familie, auf die Existenz von (heterosexuellen) Alleinerziehenden, auf das (nie eindeutig negativ beurteilte) „Wegsperren“ der „Alten“. Diese Krisenfiguren sollen nun, da sich hierzulande alles re-normalisiert, wieder in den Hintergrund treten; den Rahmen des dominanten Diskurses haben sie ohnedies nicht überschritten. Der wäre ja auch nicht dominant, operierte er nicht gewaltförmig, heteronormativ, homo- und transfeindlich, sexistisch, ausgrenzend, rassistisch, ableistisch, klassistisch, ageistisch. Eh. Trotzdem ereignete sich Unerwartetes. In Österreich, wie international, dominiert ja innerhalb der LGBTIQ*-(Selbst-)Repräsentationen seit unfasslich langem die ganz traditionelle bürgerliche Familienorientierung, die Freude am Heiraten in Weiß und am Kinderkriegen in Regenbogenfarben. Nun wäre ich jederzeit davon ausgegangen, dass diese – höchst unqueere und potenziell homonationalistische – Normalisierungspolitik der „guten“ Lesben und Schwulen recht fest verankert, Teil des „Systems“. Die österreichischen Covid-19-Politiken wecken aber den Verdacht, es könnte sich um eine Fehleinschätzung gehandelt haben. Sobald etwa die mundnasengeschützte „Schau auf mich, Schau auf dich“-Kampagne der Regierung dran ist, scheint das adrette weiße schwule Paar, das wir bisher aus der Werbung kannten, eliminiert. Und den Antrag im Nationalrat auf Regenbogenbeflaggung aller Ministerien im Pride-Monat Juni lehnten die Grünen zusammen mit ihrem Koalitionspartner ab. Stellen die hübschen bunten Fahnen also doch irgendwie den gesellschaftlichen Toleranz-Konsens infrage? Wer hätte das gedacht …
Was ist los mit den queer-feministischen Zusammenhängen?
Wir erinnern uns: Queere, feministische, intersektionelle Aktivismen, die sich gewaltvoll-normativen Effekten entgegenstellen, gibt es grundsätzlich (auch in Österreich). Wo aber ist/war die Präsenz all dieser Szenen, Communitys, kulturellen Kontexte während „Corona“? Wie artikuliert/e sich im Lockdown, in der „neuen Normalität“, vor der Folie katastrophaler globaler Pandemie-Szenarien ein queerfeministisch positioniertes Wir – und wie nicht? In erster Linie blieb es still. Mir sind Aufrufe begegnet, für die einschlägige Infrastruktur zu spenden, aber sonst? Kohle für queere (feministische, antirassistische …) Projekte, Vernetzungen, Medien, Räume einzufordern, könnte gewiss offensiver geschehen. Ebenso böte sich an, den überbordenden Care-Diskurs zu queeren, Fürsorge- und Versorgungsleistungen, die nicht heteronormativen und kleinfamilialen Mustern folgen, zu erarbeiten (und dabei jedes Framing von Politik als „Care“ auch heftig zu hinterfragen). Neue und alte Formate der Artikulation nutzen, um andere als die dominanten Beziehungs- und Begehrenskonstellationen wahrnehmbar zu machen; darauf zu beharren, dass dies existiert: Wie hätte das gehen können? Ohne dass eine*r in Defensivität verfällt oder gleich selbst zum sauberen Werbebild wird?
Reproduktion verweigern. Expertise queeren.
Zwei Thesen hierzu: Erstens, das Einmahnen von „Future“ im politischen (Gegen-)Diskurs, die Tendenz zum „Alles für die Kids“, ist eine Normalisierungsfalle. Was ist aus der Radikalität geworden, mit der queer theories einst für queere anti-futurity plädierten, also für eine Demontage von Zukunftsprojektionen, die sich an der alles durchdringenden Figur „Kind“ ausrichteten? Es trifft doch nach wie vor zu, dass sich Heteronormativität in solch familialem Reproduktionsbegehren ebenso affirmiert wie im Topos der „Omas und Opas“, die nun gleichsam unter Dauerquarantäne gestellt werden müssten. In den queer theories ist die Skepsis gegenüber dem Primat des Zwischenmenschlich-Relationalen längst von einer liebevollen Nähe zur failure, zum queeren Missgeschick und Scheitern, überschrieben und von vielerlei Kritik seitens utopischer (politischer und künstlerischer) Entwürfe aufgemischt.1Zu diesen queertheoretischen Debatten vor allem aus den frühen 2000ern gehören Autor*innen wie L. Edelman, J. Halberstam und J. E. Muñoz. Utopisches Begehren, ja! Aber wenn eine fiktive „nächste Generation“ als konstitutives Moment für das eigene Leben, Lieben und Handeln gesetzt wird und gleich auch noch die „gegenseitige Sorge“ und „unser aller Verbundenheit“ dazu führt, dass politische Artikulation gar nicht mehr öffentlich wahrnehmbar wird, dann kann ich queerfeministische Positionen nicht mehr ausreichend vom Opa-Enkerl-Schau-auf-mich-Schau-auf-dich-Gerede unterscheiden.
Zweitens, queere politische Artikulation sollte sich zur eigenen historischen „Expertise“ ins Verhältnis setzen. Denn: Wer sind Expert*innen? Müssen sich „vulnerable“ Gruppen auf ihr Gefährdetsein reduzieren (lassen)? Prekarisierte Communitys sind in der Regel höchst erfahren, was die Verletzlichkeit von Körpern, Überlebenspraktiken und Widerständigkeit anlangt. Die zentrale historische Expertise, die im Corona-Diskurs jedenfalls hierzulande allzu unausgesprochen blieb, gründet in der Anfangszeit der HIV/AIDS-Pandemie in den 1980ern. Eine große, vielfältige Community musste sich damals mit den schweren Folgen von „Ansteckung“ konfrontieren, mit heute kaum mehr vorstellbaren Umbrüchen im Innenleben der Szene(n), in den Räumen und Begegnungen, mit Nicht- oder Halbwissen, was genau gefährdete. Ebenso ging es darum, eine Sprache für das Erleben und Handeln zu finden, Widerstandsstrategien und nicht zuletzt neue Perspektiven auf gesellschaftliche Entsolidarisierung oder Solidarität zwischen den verschiedenen Gruppierungen der sexuell (und anderswie) Marginalisierten. Die Erfahrung des Bashing – das damals noch „Totprügeln“ bedeuten konnte – war mitkonstitutiv für die Ausformung eines Aktivismus und einer Theoriebildung, die sich schließlich „queer“ nannten. Sollte sich diese historische Erfahrung auf rein generationelle reduziert haben, und nur die (Nicht-)Opas und (Nicht-)Omas erinnerten sich noch (altersspezifisch mühsam …) daran? Sie selbst hätten etliche Lektionen aus der AIDS-Pandemie für die Gegenwart gelernt, schreiben ältere AIDS-Aktivist*innen in den USA. Eine davon betrifft ebenso lapidar wie konsequenzenreich die Einsicht, „the government will not save you“. Eine andere gemahnt an die kämpferische Kraft fragiler Körper. Auch wenn sie gehalten sind, auf Distanz zu bleiben.2Masha Gessen: What Lessons Does the AIDS Crisis Offer for the Coronavirus Pandemic? In: The New Yorker, 08.04.2020; Marc Schoofs: How to Survive Yet Another Plague. In: Buzzfeed News, 20.03.2020.