MALMOE

Dringend – drängend – Verdrängung!

Gestörtes Störendes # 14 Online Special

Muss ich jetzt über Corona schreiben? Eigentlich stehen zwei andere Themen auf meiner Liste, nämlich meine Gefühle beim Schauen von „Meine geniale Freundin“ und die Analyse eines Abspaltungsprozesses aus meiner Kindheit. Ich merke, dass ich einen großen Widerstand verspüre, mich mit dem Thema Viruskrise auseinanderzusetzen. Ein Teil von mir fühlt sich schlichtweg überfordert, daher verdränge ich sehr stark. Fragen, die meine unmittelbare Lebensplanung betreffen – z. B. wie bekommen wir in der sich potenzierenden Flexibilität des „Hochfahrens“ Lohnarbeitsanforderungen und Kinderbetreuung unter einen Hut, wie wird der Sommerurlaub aussehen? – stelle ich mir zwar, aber anstatt einer Antwort finde ich da nur eine Art Vakuum vor, was sich unangenehm anfühlt.

Große, gesellschaftliche Fragen – wie: kommt eine Wirtschaftskrise und wenn ja, wie stark bzw. was heißt das konkret, wie geht es mit dem Klimawandel weiter, wie wird sich die politische Situation in Österreich weiterentwickeln, was geschieht mit Europa? – hinterlassen mich gleich ratlos wie die kleinen. Also auch verdrängen.

In der Lockdown-Blase aus home office, home schooling und Hausarbeit fühlte ich mich recht wohl, auch wenn alles ineinander verschwamm, was punktuell auch sehr anstrengend war. Trotzdem gibt es einen Teil in mir, der dieses sich von der Welt Fernhalten genoss und gar nicht wollte, dass es aufhört. Nun, im „Hochfahren“, steigt auch der Stress wieder. Alles wird noch komplizierter, als es vorher eh schon war: Intermittierende Schultermine, teilweise für jedes Kind an anderen Tagen, immer mehr analoge Besprechungstermine, die innerlich verspürte Verpflichtung, sich wieder mit Freund_innen und Bekannten zu treffen usw.

Noch mehr Gründe also, die äußere Realität zu verdrängen. Eine Verdrängung von etwas Wichtigem darf mensch sich nicht auswirkungslos vorstellen, so nach dem Motto aus den Augen, aus dem Sinn. Etwas Wichtiges soll ja eigentlich wahrgenommen werden. Aus verschiedenen Gründen entscheide ich mich aber dagegen. Dort, wo das Verdrängte war, entsteht eine Leerstelle, ein Ungleichgewicht, ein Unsichtbares, das trotzdem Raum einnimmt, wie ein schwarzes Loch: unsichtbar, aber mit hoher Masse (keine Ahnung, ob das physikalisch so stimmt). Es wird zum berühmten Elefanten im Raum, über den niemand spricht. Der Elefant kann dabei beliebig groß sein. Je größer, desto umständlicher die Verdrängung und ihre Aufrechterhaltung. Diese ist nämlich permanente Arbeit, da es ein Drängen in beide Richtungen ist, da das Verdrängte diesen Platz nicht will und in die Sichtbarkeit zurückdrängt.

Mein Verdrängen der Corona-Krise und ihrer Ausläufer ist jedoch sehr bewusst, stellt also eine besondere Form dar, da es sehr meist unbewusste oder halbbewusste Prozesse sind, die da ablaufen. Ich verdränge, da ich kein Vertrauen darin habe, dass meine Fragen zufriedenstellend zu beantworten sind. Wenn ich in den Diskursraum hineinhöre, erschallt ein unglaubliches Geschnatter von einzelnen Wichtigtuern, Lobbyist_innen und wirklichen Expert_innen. Das überfordert mich. Auf was ist zu achten? Auf wen ist zu hören? Das Einzige, was mir individuell und kollektiv sinnvoll erscheint, ist ein Innehalten und Nachdenken über das, was war, was ist und was sein soll und diese erzwungene Zeit dafür zu nutzen. Aber das können wohl auch nur Privilegierte so machen. Natascha Strobl meinte auf Twitter, Corona verursache eine Hyperrealität, alles sei verstärkt, vergrößert, verknappt: Wer eng wohnte, wohnt noch enger, wer fünf Minuten für sich hatte, hat jetzt null usw. Mir fallen auch die Flüchtlinge in Griechenland ein, die sind jetzt noch unwichtiger als vorher. Und so geht es mir auch mit der allgemeinen Verunsicherung und Ratlosigkeit angesichts des Zustandes der Welt: Sie sind noch größer geworden.