MALMOE

Nachrichten aus dem ­beschädigten Alltag (#11)

Ganzjahresnutzung

Der ehemalige SPÖ-Bundesgeschäftsführer Josef Kalina twitterte in seiner Funktion als Wutbürger ohne genau definierten Geschäftsbereich: „Ich kämpfe dagegen, dass das sympathische Sportgerät Rad von einer extremen Minderheit zum ganzjährigen Verkehrsmittel uminterpretiert wird, einfach weil man Autos hasst.“ Da hat er natürlich vollkommen recht und die Sache ist präzise analysiert. Die Diagnose sollte erweitert werden: „Wir alle sollten dagegen kämpfen, dass das sympathische Denksportgerät (Gehirn) von einer extremen Minderheit zum ganzjährigen (außerhalb des Sonntags-Sudokus) Denkwerkzeug uminterpretiert wird, einfach weil man Totalverblödung hasst.“ Aber nicht mit dem Kalina-Flügel der SPÖ, dem ist nämlich nix zu doof. Und weil Kalina Wind und Regen und Straßen mit auch nur leichter Ansteigung als unüberwindbare Hindernisse interpretiert, soll auch in Zukunft mit dem zweitonnenschweren Schützenpanzer (SUV) ins Fitnessstudio gefahren werden, um sich dort auf die Spinningmaschine zu setzen – des Popöchens wegen. Die Umwelt kann sich eh freuen, denn das gemütliche Auto Kalinas, in dem er gerne FM4 und Ö1 hört, hat längst auch einen Elektromotor – alles wunderbar. Deswegen ist Kalina tief besorgt wegen dieses „apokalyptischen Kinderkreuzzugs“ der Klima­aktivist_Innen. Er hält nämlich wenig von Menschen, die sich a) um die Zukunft unserer Zivilisation sorgen und b) wirklich etwas ändern wollen. So etwas fiele dem SPÖ-Ex-Spindoktor niemals ein, wenn er im Stau stehend herumtwittert.

Freilich

Was alles möglich wurde unter Kurz-Strache: Die rechtsextreme Burschi-Partie sitzt nun wieder in allerhand Aufsichtsräten und in den Ministerkabinetten. Gleichzeitig vollenden sie ihren neuen „hippen“ Anstrich. Aus dem Leitmagazin der extremen Rechten, der Aula, wurde nun das Freilich. Statt einem Schriftleiter haben sie jetzt auch einen Chefredakteur – wie fortschriftlich. Kontakte zu Burschenschaften und Identitären bleiben gleich, die Erscheinung ist doch eine andere. Das Freilich will das Red-Bull-Magazin kopieren. Aufwendiges Design, bunt, wenn auch voller blauer Inserate, ein Magazin der lederhosentragenden Popkultur. Highlight der ersten Post-Ibiza-Ausgabe. Andreas Unterberger, ehemaliger Chefredakteur der Presse, porträtiert den jüngsten Ex-Kanzler der Republik. Die Aula in der Mitte der Gesellschaft. Na Freilich.

Die Sicht der Kleinen

Eine der schwerwiegenden Belastungen eines jeden Landbesuchs sind jene als „Teufelslappen“ bekannte und von den getäfelten Wänden im Gasthaus herabhängenden Kleinformate. Überlebt haben nach gesteuerter Marktbereinigung nur zwei Postillen, Krone und eben Kleine, die aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten vom Zeitungsbetrieb weitgehend auf Eventbewerbung umgesattelt haben. Ein wenig machen sie aber noch einen auf Leitmedium und stellen sich moralische Fragen in ihren Leitartikeln. Das macht sie wiederum zum moralischen Problem, denn soll man sich vom klebrigen Biertisch erheben und sich die Lappen an den Tisch holen? Oder sich die Aufregung sparen, denn die anderen Besucher*innen im Gasthaus lassen die Kleinformate ja auch unberührt hängen? Schwierig. Nun ist aber durch den Zusammenbruch der letzten österreichischen Bundesregierung das österreichische Bürgertum als Ganzes blamiert worden. Schließlich gibt es den Videobeweis aus Ibiza, dass die Bürgerlichen sich haben verarschen lassen. „Verarschen“ ist hier übrigens das treffende Fachwort, alles andere wäre ein Euphemismus. Treublöd hat man Kurz die Stange gehalten und geglaubt, die Koalition mit den Rechtsradikalen würde die eigenen, kleinbürgerlichen oder mittelständischen Interessen wahren. Nö, den Türkis-Blauen geht es wirklich nur um sich selbst. Würden sich nun in den Teufelslappen Spuren dieser Enttäuschung finden lassen oder schreiben die sich den Betrug schön? Es nützt nichts, die „Sünde der Neugier“ (Hl. Augustinus) obsiegt, die Fetzen werden an den Tisch geholt und ausgebreitet. Gleich der erste Meinungsbeitrag öffnet die Augen und hilft beim sofortigen Zuschlagen des kleinen Blattes. Die Post-Ibiza-Argumentationslinie? Krokodilstränen über den allgemeinen Sittenverfall. Ach ja. Die Politik würde verrohen, der Ton immer rauer und die innenpolitische Auseinandersetzung sei „Politik aus der Gosse“. Faszinierend die Wende, wie die plumpe (und falsche) Verallgemeinerung funktionieren soll: Alle Parteien würden sich im Parlament der Falschheit, Lüge und Käuflichkeit bezichtigen. Schlimm, schlimm. und die Kleine Zeitung hat schlicht nicht mehr das redaktionelle Potenzial zu überprüfen, wer damit vielleicht recht haben könnte und wer nicht. Aber es kommt noch „grauslicher“! Sowohl Grünen-Chef Kogler als auch NEOS-Chefin Meinl-Reisinger benutzen das S-Wort! In der Wendung „Sch…dreck“ und sch…egal“, wobei die Zeitung die schändlichen Worte sogar auszuschreiben wagt. Damit sei nun endgültig in der moralischen Meinungssicht der kleinsten aller kleinen Zeitungen die Katastrophe perfekt, denn mit „Fäkalsprache“ und „Unflätigkeiten“ könne nicht mehr argumentiert werden. Die Teufelslappen werden schnell an die Wandtäfelung zurückgehängt und ohne sich umzudrehen wird zum Bahnhof geeilt. Dabei gilt ein letzter Gedanke den verkommenen Kleinformaten, die keinen Unterschied mehr erkennen können zwischen jenen, die Scheiße sagen und denen, die Scheiße sind.

Deutschland im Frühherbst

Wer im Abstand von Jahren deutsche Lande bereist, stellt gewisse Änderungen fest. Oder meint dies zumindest, denn der Blick aus dem Zugfenster und das Überhören eines Gesprächs am Nebentisch ist natürlich keine wissenschaftliche Erhebung. Aber eine Stimmung vermittelt sich durch Partikel. Die Hinweise mehren sich, dass man sich in Deutschland zunehmend schwer tut mit den Fremden. Sind die überhaupt mehr geworden? Schwer zu sagen, aber sie sind mehr im Fokus und sie stehen unter Beobachtung. Die Frau an der Supermarktkasse macht einen ungelenken Witz und tut, als wolle sie den Laden überfallen. Ihr Begleiter lacht gezwungen und versucht den Ball weiterzuspielen. Die wahre Gefahr, meint er, stünde in der Schlange weiter vorne. Dort stehen zwei afghanische Jugendliche. Sie wirken wie Leute, die es gewohnt sind, Blicke auf sich zu spüren. Unterwürfig höflich wenden sie sich an den Kassierer, der sie herablassend zurechtweist. Ein Muster. Die Frau mit Kopftuch, die den Eissalon betritt, wird von mehreren gesetzten Herren argwöhnisch begutachtet. Ihnen ist anzusehen, dass sie alle leidenschaftliche Kämpfer der Frauenrechte sind. Eine Gruppe nicht weißer Jugendlicher steht nutzlos am Straßenrand. Sie senken ihre Blicke zu Boden und es wirkt, als würden sie peinlich darauf achten, leise zu reden. Wagen sie es nicht mehr, laut Arabisch zu sprechen? Am Abend quasselt die Glotze das Hotelzimmer voll. Die Nachrichten scheinen nur ein Thema zu kennen. Ein Syrer hat einen Deutschkubaner erstochen, ohne eine Spur an der Tatwaffe zu hinterlassen. Verurteilt wird er dennoch, um den Mob zu beruhigen. Gerechtigkeit BRD 2019. In Duisburg haben Menschen „mit erkennbarem Migrationshintergrund“ sich an der Wasserrutsche aufgeführt. Die Stadt diskutiert. Ein Haufen Weißer richtet den abwesenden Nicht-Weißen aus, wie sie sich zu verhalten haben. Der Bürgermeister meint, alle müssten toleranter werden und aber auch die geltenden Regeln akzeptieren. Davon, dass die Kinder armer Familien häufiger sozial verwahrlosen, hat der Sozialdemokrat noch nichts gehört. Statt über Klasse redet er lieber über Rasse, die er als fremde Kultur verklausuliert. Das Zusammenleben in Deutschland wird schwieriger, der Rechtsruck ist Alltag geworden.