MALMOE

Nachrichten aus dem beschädigten Alltag (#10)

Totes Land

Wollte man Österreich in einem einzigen Bild zusammenfassen, dann wäre es eine geodätische Kuppel aus Holz. Die in 1960er Jahren von Buckmister Fuller visionär ersonnene Sci-Fi-Architektur, die neue Formen des Zusammenlebens ermöglichen sollte, wird heute banalisiert mit heimischer Fichte nachgebastelt. Eine solche Kuppel zieht jetzt über’s Land in Austria und lädt Dorfgemeinschaften zur Diskussion ein. Ein EU-finanziertes Projekt, das beispielsweise kulturelle Vielfalt thematisieren soll. Nice. Die Bedarfsanalyse ist in einer Weise treffend, dass es einem ganz eng um’s Herz werden kann. Die Dörfer „brauchen“ das Kupperl aus dem Baumarkt, weil es in den teils Jahrtausende alten Siedlungen keinen Ort mehr gibt, an dem sich Menschen überhaupt begegnen können. Es gibt, wie die Initiator*innen richtig betonen, meist nicht einmal mehr ein Bankerl zum gemeinsamen Niederlassen. Vor einem halben Jahrhundert hatten die österreichischen Dörfer nahezu alles und waren eine vollständige Welt im Kleinen. Geschäfte, Gasthäuser, Kinos, Ämter etc. All dies waren Orte, an denen sich Menschen begegnen  und miteinander sprechen konnten. Heute sind die Straßen menschenleer. Die Häuser haben eine Demarkationslinie aus vorbildlichen Vorgärten und in der Einfahrt steht der „Zur-Seite-Arschloch-SUV“ (Stefan Gärtner). Mit diesen wird durch die historischen Dorfkerne gerast, auf dem Weg zum nächsten Einkaufszentrum an der Autobahnauffahrt. Das kugelförmige Dacherl von Fuller wird an dieser Gesellschaft, in der sich Menschen nur mehr durch die Windschutzscheibe sehen, leider kaum etwas ändern können.

Restposten der Zivilisation?

„In diesem Land ist jede weitere Filiale der McDonald’s-Hamburger-Kette eine neue Insel der Gastfreundschaft und eine erfreuliche Bereicherung der Esskultur“, schrieb einst der im Dezember verstorbene Wolfgang Pohrt in seiner charakteristischen, zugespitzten Art. Was Pohrt auf Deutschland bezog, gilt freilich auch für Österreich. Okay, schweigen wir von der Esskultur bei McDonald’s,  zumindest das Argument der Gastfreundschaft hat einen wahren Kern. Beobachten lässt sich dies in einigen Mäcis dieser Stadt, in denen von Armut und/oder Obdachlosigkeit betroffene Menschen für einige Stunden verweilen dürfen, ohne dass sie vom Personal angefuckt werden. Manchmal kann man auch beobachten, dass die Angestellten diesen Leuten eine Mahlzeit auf Kosten des Hauses an den Tisch bringen. In den meisten ach so österreichischen Kaffeehäusern würde man Obdachlose in Nullkommanix mit lautem Gezeter verjagen, wenn diese es wagen würden, dort nach ein paar Momenten in Ruhe und Wärme zu suchen.
     Die US-Administration und McDonald’s haben vor wenigen Wochen vereinbart, dass sich US-Bürger*innen in Österreich bei Notlagen in einer Filiale melden können und von dort Kontakt zur US-Botschaft hergestellt wird. Bis vor kurzem lag der Gedanke nahe, dass der eigentliche Grund für diese Abmachung sei, McDonalds zu einem sicheren Zufluchtsort auszubauen, wenn Kickl und Kameraden durch nichts und niemand mehr zu bremsen sind. Diese Gefahr ist seit Ibiza vorerst gebannt, alle US-Amis können künftig trotzdem Cola schlürfen und Burger mampfen, während sie ihren Reisepass als verloren melden.

Geheimnis des Glaubens

Der Danziger Pfarrer Rafał Jarosiewicz hat eine Bücherverbrennung organisiert. Bei der wurden „magische“ Bücher, wie zum Beispiel J. K. Rowlings Harry Potter aber auch Buddha-Statuen durch die reinigend Kraft des Feuers „ihrer Macht“ beraubt. Kampf gegen magisches Denken mittels Magie also. So stellt sich das eine katholische Matschbirne eben vor. Das eigentliche Ziel ist hierbei, die eigene Macht über Denken und Gefühle der Mitmenschen festzuschreiben und das geht gut mit dem jahrhundertelang gewaltsam verteidigten magischen Alleinvertretungsanspruch. Die meisten katholische Priester wissen natürlich, dass die „Hoc est corpus meum!“-Backoblate keine magische Kraft besitzt, wollen aber ihren Gemeinden einen tröstenden Ritus anbieten. Fein, why not? Nur sollten sie dabei wehrhaft sein und Kollegen wie Jarosiewicz oder jene Priester die vor der linken Zeitung Gazeta Wyborcza eine Teufelsaustreibung veranstaltet haben, dringend hinter Klostermauern sperren, damit diese dort ihre heißgelaufenen Hirne in Weihwasser kühlen können. Der immer noch funktionierende, aufgeklärte Rechtsstaat in Polen reagierte zumindest vorbildlich und verurteilte Rafał Jarosiewicz zu einer Verwaltungsstrafe wegen unerlaubter Müllverbrennung.

Mann oh, Mann …

Der Rowohlt Verlag ist von Reinbek bei Hamburg in die Hamburger Innenstadt übersiedelt. Beim Reinemachen im Archiv wurden per Zufall bisher unbekannte Briefe von Thomas Mann gefunden. Die Frage liegt auf der Hand: Was haben die Rowohlts bitte schön für einen Haushalt beieinander?! Die Briefe werden jetzt jedenfalls ausgewertet.  Eine weitere Folge des Umzugs übrigens: Im Impressum der in diesem Frühjahr bei Rowohlt erschienenen Bücher stand nicht mehr wie in den letzten 57 Jahren „Erschienen in Reinbek bei Hamburg“, sondern „Erschienen in Hamburg bei Reinbek“. Was für ein Gag. Thomas Mann hätte sich zweifelsohne gekugelt vor Lachen.

Notre Dame de Paris

So sieht er also aus, der Zorn Allahs. Einen Augenblick schien es, als würde die altehrwürdige Kathedrale zum vollständigen Raub der Flammen werden. Später zeigte sich: Halb so schlimm, es brannte nur das Dach aus. 800 Jahre alte Balken, die ohnehin niemand als solche erkennen konnte, sind jetzt Asche. Ein theologischer Warnschuss also nur. Aber was hatte die alte Dame im Himmel so erzürnt? War ihr auf den Senkel gegangen, dass man in dem Gebetsschuppen das Raubgut des „heiligen“ Königs Henry aufbewahrt, der gleich zwei Kreuzzüge nach Jerusalem anleierte, die Zigtausenden das Leben kosteten? Ach, Quatsch, vergessen und vergeben, man muss gnädig mit seinen Followers sein. Ist also die liebe Göttin (aka Jahwe, aka Krischna, aka Weltglücksindex) wegen Aktuellem sauer? Kurz nachdem der Brand ausgebrochen war, meldete sich Donald Trump per Twitter zu Wort. Zugegeben, mit brennenden Dachstübchen kennt er sich gut aus und empfahl mit Flugzeugen Wasser über die Kathedrale zu gießen. Im Kopf dieses Mannes muss es aussehen wie in einem Comic von Itchy und Scratchy. Die Pariser Pompiers hatten nicht mal Zeit dies zu überhören und machten lieber das Richtige, um die Außenmauern des Gebäudes zu retten. Kein Grund also, den Menschen von göttlicher Seite besonders bös’ zu sein, es gibt hundserbärmliche Spinner, dafür aber auch kluge und mutige Menschen, die retten was zu retten ist. Was soll man sagen, it’s your creation. Du wolltest es ja so. Also was stinkt zum Himmel? Seit Jahren verfällt die Kathedrale und als es zu schlimm wurde, nahm man schlappe 17 Millionen Euro in die Hand, um ein bisschen zu flicken. Zu spät, zu wenig. Irgendeine der leider teuren Vorsichtsmaßnahmen wurde nicht befolgt und schon brannte die Bunde. So ist das eben, wenn man einen M. le Président hat, der einzig an die Austerität glaubt.

Die zehn Dankbarkeitsgebote

Die FPÖ-Minister*innen wurden zwar abgesetzt, der schwer verhaltensauffällige niederösterreichische Landesrat Gottfried Waldhäusl ist aber immer noch im Amt. Dieser stellt bekanntlich gerne Hausordnungen auf. In einer Art religiösem Wahn hat er kürzlich die 10 Gebote neu formuliert. Asylwerber*innen in Niederösterreich sollen sich künftig in Wertekursen zu diesen bekennen. Ein völlig überflüssiges Papier, das von Asylwerber*innen demütige Dankbarkeit gegenüber Österreich einfordert, während man gleichzeitig gegen sie hetzt und ihnen demonstrieren will, „dass wir hier im christlichen Abendland leben“. Hinter dem Ibiza-Video, ein Lehrstück der Gebotstreue, vermutet Waldhäusl hingegen einzig eine Verschwörung der SPÖ und der „alten, schwarzen ÖVP“. Diese hätten nun zu erklären, wie jemand wie Strache überhaupt je Vizekanzler werden konnte. Vielleicht verrät es eine Schrift an der Wand.

Waldspaziergang

Ermüdet von einer langen Wanderung in der Frühsommerhitze lässt sich der frisch entlassene Innenminister der Republik Österreich auf ein Bankerl fallen und streckt seine Glieder von sich. Die Ruhe der alpinen Waldlichtung umhüllt ihn und im gleißenden Licht der Nachmittagssonne gerät er in grüblerische Gedanken. Plötzlich hebt sich sein Blick vom Waldboden da ein Schatten vor der Bank auftaucht. Er gehört zu einem großen, dunkel gekleideten Mann. Seltsam vertraut blicken sich die beiden an und ohne dass eine Einladung ausgesprochen worden wäre, lässt sich der Fremde auf der Bank neben dem Minister nieder. Dieser wiederum hat plötzlich das Bedürfnis sich zu erklären:
     „Es ist doch so“, beginnt er holprig, weil er sich über die eigene Offenheit wundern muss. „Es ist doch so, der Faschismus ist Dein Freund. Er gibt Dir Deine Ehre zurück, er sorgt für Sauberkeit und Ordnung in Deiner Nachbarschaft, er erzählt Dir davon, wie früher alles besser war, wie man sich nicht fürchten musste und dass es bald wieder so sein wird. Er gibt Dir einen Job, er wird Dich besser bezahlen und er lässt Dich wieder Stolz empfinden. Endlich wirst Du wieder jemand sein. Die anderen werden Dich achten, vielleicht sogar ein wenig fürchten. Jetzt kannst Du Deine Mutter in den Keller schicken, denn endlich muss man Dir zuhören. Der Faschismus wird Dich nie zu etwas zwingen, er will Dich doch nur einladen. Kein Soldat erhielt je den Befehl für ein Erschießungskommando – sie haben sich alle freiwillig gemeldet. Der Faschismus wird Dich frei machen. Endlich wirst Du wollen, was man von Dir verlangt. Alles wird einfach sein, niemand wird Dir mehr wagen zu widersprechen. Panzer und Patronenhülsen haben keinen Inhalt, ihr ganzes Wesen ist die harte Schale. Und auf die können sie stolz sein. Eines Tages wirst Du vergessen haben, was Wärme, Geborgenheit und Zuneigung sind und Du wirst ganz Ziel sein. Und auf dieses Ziel wirst Du zustürmen wie die Granate aus dem Mörser. Alles wird in Stücke fliegen und kein Stein mehr auf dem anderen sein.“ Irritiert muss er zögern, spricht aber noch einen letzten Satz: „Dann, in diesem letzten Augenblick, wird Dir vielleicht auffallen, dass Du das alles nicht gewollt hast.“
     Der Mann neben ihm nickt verständnisvoll und legt dem Minister seine schwere weiße Hand auf die Schulter. Einen kurzen Moment halten beide inne, dann erhebt sich die dunkle Gestalt, schultert ihre Sense und ist überraschend schnell aus dem Blick verschwunden.