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Prinzip Hoffnung oder No Future?

Die Linke in Graz formiert sich gegen die neue schwarz-blaue Stadtregierung

Graz galt in den Mainstreammedien bis vor kurzem noch als eine Art gallisches Dorf. Denn in der steirischen Hauptstadt ist eine KPÖ-Hochburg, die Partei ist die zweitstärkste Kraft. Aber nicht nur das – sie war die letzten Jahre sogar in Regierungsverantwortung. Gegen diesen sanften Hauch von Kommunismus standen jedoch stets die Visionen von Langzeitbürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP), die meist an biedermeierlichen Verbotsfetischismus erinnerten. Nun regiert seit Anfang April 2017 eine schwarz-blaue Koalition, womit man dem Bundestrend schon voraus ist. Doch welche reaktionäre Schlagkraft besitzt das Bündnis aus rechtskonservativen Neoliberalen und rechtsextremen Neoliberalen? Wo hat sich bereits Widerstand formiert und welche Perspektiven könnte die Linke in Graz entwickeln?

Die FPÖ am Vormarsch

Die Gemeinderatswahl im Februar dieses Jahres wurde aufgrund von Uneinigkeiten in den Budgetverhandlungen vorgezogen. Hauptgrund dafür waren unüberbrückbare Konflikte in Hinblick auf den mittlerweile in vollem Gange befindlichen Bau des Murkraftwerks. KPÖ, SPÖ und Grüne forderten eine Volksabstimmung über das ökologisch und ökonomisch höchst umstrittene Projekt, aber ÖVP und FPÖ stellten sich quer. Das Murkraftwerk wurde zu einem Kernthema im Wahlkampf. Letztlich gewann die ÖVP die Wahl mit leichtem Zuwachs (38,2 %) vor einer nach wie vor außergewöhnlich starken KPÖ (20 %). Die FPÖ, mit 16 % die drittstärkste Kraft, wurde nichtsdestotrotz von Bürgermeister Nagl in die Regierungskoalition gehievt. Ein neuerliches Arbeitsabkommen mit der ehemaligen KPÖ-Vizebürgermeisterin Elke Kahr schloss Nagl von Beginn an aus.

Die Regierungsbeteiligung einer rechtsextremen Partei sorgte innerhalb der Grazer Linken verständlicherweise für viel Frust und auch Hysterie. Nun gilt es nüchtern einzuschätzen, welche konkreten Bedrohungen kurz- und längerfristig zu erwarten sind.

Bei genauerer Betrachtung wird klar, dass die FPÖ aufgrund des Proporz schon lange aktiver Teil der Stadtregierung ist. In den ihnen unterliegenden Ressorts und Ämtern feilte sie bereits die letzten Jahre an der Law-and-Order-Politik der ÖVP und an der Zuspitzung der rassistischen Grundstimmung mit. Für die ÖVP ist die FPÖ ein politischer Beiwagen, welcher zwar mit Zugeständnissen abgespeist werden muss, jedoch grundsätzlich als Instrument für die eigene Machtsicherung dienen soll.

Die FPÖ nutzt diese Position dafür, die politischen Diskurse und auch die Politik der ÖVP weiter nach rechts zu verschieben. Auf institutioneller Ebene setzt die FPÖ auf eine Strategie der Umfärbung, das heißt dass vermehrt Rechtsextreme administrative Funktionen übernehmen. Ein Knackpunkt in dieser Hinsicht stellte die Vergabe des Wohnressorts dar, welches über Jahrzehnte ein wichtiges Politik- und Mobilisierungsfeld der KPÖ war. In den Koalitionsverhandlungen stellte die Übernahme des Ressorts durch die FPÖ eine Kernforderung des Neu-Vizebürgermeisters Mario Eustacchio dar. Die tatsächlich erfolgte Übergabe des Ressorts an die FPÖ ist eine bedrohliche Entwicklung: Die „Fremd im eigenen Haus“-Kampagne gab bereits einen Vorgeschmack auf die rassistische Verschärfung, die zu erwarten ist.

Weitere konkrete Entwicklungen, wie zum Beispiel anstehende Einschnitte im Sozialbudget, werden wohl erst mit dem für Juni angekündigten Budgetentwurf sichtbar werden.

Linke Mobilisierung

Die nostalgische Hoffnung vieler Linker, dass die Koalitionsbeteiligung der FPÖ eine ähnliche Empörung und ein Politisierungsmoment auslösen könnte, wie Anfang der 2000er auf Bundesebene, wurde auf jeden Fall enttäuscht. Als Beispiel für solch ein Politisierungsmoment kann dennoch das linke Bündnis Gegenstrom genannt werden. Das sich aus Aufbruch, Interventionistische Linke, der Sozialistischen Linkspartei, System Change not Climate Change sowie Einzelpersonen zusammensetzende Bündnis gründete sich mit dem Anspruch, die Proteste gegen das Murkraftwerk in einen breiteren sozial-politischen Kontext zu setzen, welcher im Widerstand gegen Schwarz-Blau einen Kristallisationspunkt finden sollte. Die erste in diesem Rahmen organisierte Demonstration, die über linke Szenekreise hinaus mobilisieren wollte, setzte zwar ein kräftiges Zeichen, blieb aber hinter den Erwartungen zurück.

Ein Grund, warum Versuche der moralischen Empörung über die neue Stadtregierung eher bescheiden ausfielen, ist vor allem der aus der liberalen Mitte ermöglichte Normalisierungs- und Enttabuisierungsprozess gegenüber der FPÖ. Die FPÖ ist im Alltagsverstand als anerkannter demokratischer Player mit Regierungslegitimation angekommen. Auch wenn Skandalisierungsversuche nur ein limitiertes Potential für Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse haben, könnten sie dennoch als Politisierungsmomente dienen. Ein Beispiel diesbezüglich liefert der massive Widerstand von Kunst- und Kulturschaffenden gegen Ernst Brandl, Redakteur der rassistisch-hetzerischen Formate Der Uhrturm und Zur Zeit. Brandl wurde als neuer Aufsichtsrat des prestigeträchtigen Kunst- und Kulturfestivals Steirischer Herbst bestellt.

Schwarz-Blau: Schreckgespenst für’s Kulturleben

Dass es in der Kunst- und Kulturszene bereits öffentliche Positionierungen gegen Schwarz-Blau gibt, wie zum Beispiel durch das etablierte Forum Stadtpark, ist nicht weiter verwunderlich. Einerseits befürchten Kunst- und Kulturschaffende finanzielle Einschnitte, andererseits stellt Kulturpolitik ein höchst ideologisiertes Feld dar, das Schwarz-Blau noch vermehrt zum Machtausbau nutzen könnte. Die Aufnahme der Volkskultur in Form des Events Aufsteirern in die Kulturagenda der neuen Regierung beweist, dass völkisch-identitäre Heimatdiskurse einen Platz in der ansonsten von der ÖVP durchneoliberalisierten Eventkultur einnehmen sollen.

Auch in der Kunst- und Kulturszene gilt, dass die neue Regierung keinen Einschnitt aus dem Nichts darstellt. Die im Grunde fehlende Kulturpolitik von SPÖ, KPÖ und Grünen hat dazu beigetragen, dass ÖVP und FPÖ mit der Besetzung wichtiger Ämter, wie dem Bauamt oder dem Veranstaltungsmagistrat, bereits seit längerem progressive Akteure verdrängt haben. Ein wichtiger Schritt für die Kulturszene wäre es, über den eigenen Tellerrand zu blicken und in einen produktiven Diskurs mit anderen Gegner_innen von Schwarz-Blau zu treten. Inwiefern der Wunsch nach Veränderung des gesellschaftlichen Gesamtkontextes bei den verschiedenen Akteur_innen auf der Agenda steht, variiert jedoch stark.

Wie wird man handlungsfähig?

Trotz der tristen Perspektiven gibt es in Graz einiges Potential für die Herausbildung eines dritten Pols, der sich dem sozialkonservativen Neoliberalismus der ÖVP und den völkischen Phantasien der FPÖ entgegenstellen könnte. Die KPÖ ist immerhin noch zweitstärkste Kraft im Gemeinderat. Auch wenn sie sich organisatorisch nicht nachhaltig in den von ihnen bearbeiteten sozialen Feldern verankert hat, ist sie tagespolitisch mit konsequenter Umverteilungsrhetorik äußerst präsent.

Auch der linke Flügel der Grünen hat in Graz feste Wurzeln. Neben den sich vor der völligen Abkapselung befindenden Grünen Studierenden und den Jungen Grünen, gibt es auch in der Partei Akteurinnen, die mit der zahnlosen „Graz bleibt bunt“- und „Bio macht schön“-Agenda unzufrieden sind. Außerparlamentarisch lassen sich eine allemal handlungsfähige links-autonome Szene, undogmatische Organisierungsversuche wie die Interventionistische Linke oder Aufbruch, eine etablierte Subkulturszene sowie eine liberale katholische Gemeinschaft finden. In ihren Begehren nach einer offeneren, solidarischeren Gesellschaft gibt es durchaus einige Schnittstellen zwischen diesen Akteurinnen. Der Wunsch nach einer „Stadt für Alle“, also nach urbanen Strukturen, die soziale und kulturelle Partizipation aller Menschen sowie die konstruktive und soziale Nutzung des öffentlichen Raumes ermöglichen, könnte eine gemeinsame, antagonistische Alternativerzählung gegen die schwarz-blaue Politik der Verbote und der chauvinistischen Ausgrenzung sein.

Beispiele für eine erfolgreiche Annäherung und eines Sichtbarwerdens der verschiedenen Akteurinnen in diesem dritten, solidarischen Pol wären das Bündnis Solidarität statt Abschiebungen, aber auch der Austauschprozess während der Proteste gegen das Murkraftwerk zwischen dem bürgerlich-liberalen Rettet die Mur-Bündnis und dem zuvor erwähnten linksradikalen Zusammenschluss Gegenstrom. Im Großen und Ganzen ist dieser skizzierte diffuse Pol nichtsdestotrotz noch sehr weit von einer gemeinsamen Artikulation und kollektiven Handlungsfähigkeit entfernt. Ein Hauptgrund dafür mag einerseits das Ausbleiben einer ehrlichen und konstruktiven Debatte sein. Andererseits lassen viele identitätspolitische Ressentiments nur sehr langsam auflösen. Die Frage, ob die anstehende Zäsur unter Schwarz-Blau auf Gemeinde- und womöglich auch auf nationaler Ebene ein weiteres Zusammenrücken der Akteurinnen befördern wird, ist mit Spannung zu beobachten. Zumindest eines spricht für ein solches Zusammenrücken, nämlich die Dichte der politischen Landschaft in Graz. In Österreichs zweitgrößter Stadt treten die progressiven Kräfte sich beinahe auf die Füße. Dadurch entsteht ein gewisser Zwang sich mit seinen Mitstreiter*innen auseinanderzusetzen.