Gestörtes Störendes (#8)
„Deine Arbeit ist dein Vater“, sagte K. neulich zu mir. Damit meinte sie mein Verhältnis zur Lohnarbeit. Ich fand den Satz irgendwie schräg, gleichzeitig fühlte er sich richtig an. Mein Verhältnis zur Arbeit ist geprägt von übertriebener Hingabe (eigentlich Verausgabung), „Gefallsucht“ (ein altmodisches Wort, das mir jedoch sehr präzise scheint), situationsunangemessenem Grübeln bis hin zu Krisen bei Kritik. Prinzipiell hat es sich über die Jahre zwar entspannt, aber es hat nichts Lockeres, Funktionales.
Treten wir zuerst mal einen Schritt zurück. Lohnarbeit ist zuvorderst Mittel zum Zweck: Den Lohn brauche ich für meine Reproduktion und jene meines unmittelbaren Systems (physisch und sozial); ich brauche ihn auch für gesellschaftliche Teilhabe im Sinne von Status/Position, damit ich mich zum produktiven Teil der Gesellschaft zählen kann; darüber hinaus kann Arbeit auch Funktionen der Sinnhaftigkeit und der Selbstwertstärkung erfüllen.
Je mehr wir unter Bedingungen von bedingter Liebe/Anerkennung aufwachsen, desto stärker verknüpfen wir unseren Selbstwert mit Leistung. In diesem Prinzip steckt eine Negation des Subjekts: Es selbst ist nichts wert, nur die Leistung, die es zu erbringen vermag. Es steckt in diesem Verhältnis zum Leben und zur Welt schon das Prinzip von Unterwerfung und Herrschaft: Alles soll funktionieren in einem blinden Ablauf von Steigerung und Perfektionierung, von Ausbeutung und Beherrschung. Die ÖVP verkörpert die bürgerliche Variante dieses Prinzips, die FPÖ ihre Essenz. Daher müssen sie auch die Noten in der Volksschule wieder einführen, um schon den Kindern die eigene Wertlosigkeit klarzumachen. Gnade gibt es nur, wenn die Leistung stimmt.
Die bedingungslose Liebe hingegen feiert das Leben in all seiner Absurdität und Sinnlosigkeit: Du bist gut, so wie du bist; es ist schön, dass du da bist; ich liebe dich einfach so. Auf den familiären und romantischen Beziehungen lastet daher das Gewicht des Menschlichen gegen die kalte Funktionalität von Wertproduktion und Wachstum. In dieser Form der Aufgabenteilung ist die (phantasierte) bedingungslose Liebe dieser Beziehungen allerdings funktional in ihrer Abspaltung: Das kalte Business und der warme Schoß der Familie sind ein Team. Im Konkreten vermischt sich das alles zu unterschiedlichen Graden. Es gibt Familien, die das Leistungsprinzip hochhalten (sehr zerstörerisch), und Arbeitsplätze, die Familie vorgaukeln (sehr verführerisch). In beiden Sphären geht es um Anerkennung, die ich für meinen Selbstwert und Lebenswillen brauche.
Für meinen Vater war seine Arbeit alles und ihr wurde alles untergeordnet – mein Vater und sein Geschäft waren eins. Auch wurden Menschen nur wegen ihrer herausragenden Leistungen bewundert, Faulheit wurde verachtet. Ich hatte jedoch keine besonderen Leistungen vorzuweisen, weder schulisch noch im Sport. Wieso liebte mich mein Vater trotzdem? Aus Mitleid? Aus Alternativlosigkeit, weil ich das einzige Kind war? Es tat sich hier eine Diskrepanz auf zwischen dem, was ich war, und dem, was er schätzte und anerkannte. Eine weitere Diskrepanz besteht zwischen unseren Lebensentwürfen. Er verschrieb sich dem Geldmachen, ich ging in den Sozialbereich; er arbeitete 60 Stunden, ich Teilzeit; er war ein Jedes-2.-Wochenende-Vater, ich bin immer da.
Und plötzlich dieser Satz, der mir einen Kern zu treffen scheint, plötzlich ist mir der fremde Vater ganz nah. Diese Nähe vollzog sich jedoch hinter meinem Rücken, unbewusst. Mit unbewussten Prozessen aber geht mensch nicht um, sondern sie gehen mit dir um. Jetzt, die Dynamik ans Licht geholt, kann ich mich dazu verhalten, auch wenn ich noch nicht recht weiß, wie. Zumindest habe ich den Knoten entdeckt, wiewohl noch nicht gelöst. Inzwischen ist meine Arbeitsmotivation jedenfalls deutlich abgesackt.